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Gravity
Schon beim Titel fängt das Ärgernis an, denn
ihn nicht mit "Gravitation" zu übersetzen, ist offensichtlich
schwachsinnig. Tatsächlich bestimmt die Gravitation den ganzen Handlungsverlauf
dieser Weltraumoper, die gut im Physikunterricht einsetzbar ist, um das Newton'sche
Kraftgesetz anschaulich zu machen - allerdings nicht ohne korrigierenden Kommentar,
denn wie man hört, wurde die Physik an der einen oder anderen Stelle doch
etwas strapaziert. Spektakulär etwa der Fehler, dass die Schleusenluken
im Film nach außen aufgehen und dabei Druck ausüben, während
sie in Wirklichkeit natürlich nach innen aufgehen. Die Positionierung der
drei erwähnten Raumstationen stimmt nicht; die Entfernung zwischen Hubble
und der ISS läßt einen Flug, wie im Film gezeigt, nicht zu. Die Visualisierung
der extraterrestrischen Effekte (unter nicht schwerelosen Drehbedingungen) ist
immerhin das größte Verdienst dieses Films, und die Stereoskopie
dürfte bei kaum einer anderen Kinoproduktion so bezwingend und atemberaubend
eingesetzt worden sein. Dies dürfte einen Teil der insgesamt zu reichlich
vergebenen sieben Oscars motiviert haben. Ansonsten ist die Dramaturgie in diesem
"intelligenten Thriller" - so nennt man das wohl - höchst fragwürdig
und schwer erträglich, wobei die Bestimmung zum Starvehikel (für G.
Clooney und S. Bullock) noch die gelindeste Zumutung ist. Üblicherweise
werden in einem solchen 2-Personen-Kammerspiel - auch der Weltraum kann dazu
herhalten - psychische Intimität und existenzielle Tiefe angestrebt, und
das ist hier nicht anders. Die Existenz steht naturgemäß fortwährend
auf dem Spiel, weil der Weltraum an sich tödlich ist. Die psychische Interaktion
der Protagonisten, die bei dem heterosexuellen Paar selbstverständlich
erotisch durchtränkt sein muss, läßt sich als Therapiesituation
auffassen und mit dem Programm oder Therapieziel zurück ins Leben beschreiben.
Auf dem Wege dorthin wird jedoch kein Klischee ausgelassen
und auch die Wahrscheinlichkeit reichlich strapaziert. In die scheinbar realistische
Konstellation, eine Reparatur am Hubble-Teleskop auszuführen, um danach
zurückzukehren, wird ein massives Katastrophenelement gebracht: ein von
Russen (in ihrer natürlichen Destruktivität) versehentlich zerstörter
eigener Satellit ist fortan als Strom gefährlicher Bruchstücke unterwegs
und ruiniert das für die Rückkehr nötige Raumschiff Explorer.
Auch die im Außeneinsatz tätigen Astronauten Stone (Bullock) und
Kowalsky (Clooney) haben größte Mühe, in dem Bombardement zu
überleben. Kowalsky muss die bereits abgetriebene Stone einfangen, und
das Seil zwischen ihnen figuriert als Nabelschnur. Der Mann, der auch noch die
dröhnende amerikanische Flapsigkeit dick auftragen muss, den längsten
Weltraumspaziergang anstreben zu wollen, erscheint in dieser Phase als Vertrauen
erweckender Beherrscher der Technik, der aber auch die Gefahrendimension erkennt.
Die dumme Frau hingegen, die als Medizintechnikerin doch wirklich nichts mit
Maschinenbau am Weltraumteleskop zu tun haben kann, glaubte in ihrem Pflichteifer
noch, ihre Arbeit regelgerecht abschließen zu sollen, und musste vom Helden
gewaltsam in Sicherheit gebracht werden - ein oft wiedergekäutes Motiv.
Um den Verlust der Heimat zu visualisieren, braucht der
Film pompös patriotische Motive. Wenn der dritte Astronaut, dem ein Partikel
dekorativ mitten durchs Gesicht geflogen ist, als Leiche durch den Raum treibt,
schwebt ein Papierbild seiner glücklichen Familie neben ihm her. Den Flug
zur ISS vertreiben sich Stone und Kowalsky mit Erinnerungen an die Jugend in
den USA, und Stone gibt zu, über den Unfalltod ihres Kindes nicht hinweggekommen
zu sein. Kowalsky muss ihr daher Lebens- und Reproduktionswillen neu einpflanzen,
was später, bei seinem endgültigen Abschied, auch seine letzte Botschaft
für sie sein wird. Im Weltraum wird also das amerikanische Staatsziel Familie
zelebriert.
Vor Erreichen der ISS ändert ein weiterer Teilchensturm
die existenzielle Konstellation. Als irgend eine topologische Situation angeblich
- physikalisch aber unzutreffend - nur einem von beiden Astronauten eine Erfolgschance
lässt, löst Kowalsky das Seil, d.h. der Mann trennt sich von der Frau,
um ihr das Überleben zu ermöglichen, und opfert sich. Aus der Ferne
des Todgeweihten gibt er der Frau, die sich bis zum Eintritt in die Schleuse
bei obligatem Sauerstoffmangel qualvoll dumm anstellt, noch Ratschläge
und schickt außerdem einen absurden Kommentar zu seiner eigenen Attraktivität
hinterher. In der Tat hat Sandra Bullock nach Erreichen der ISS nichts Besseres
zu tun, als sich auszuziehen und in Fötus-Lage zu gehen. Dass dabei unterschlagen
wird, wie sehr Astronauten auf ihren mehrstündigen "Weltraumspaziergängen"
von einer akzeptablen Verrichtung ihrer Notdurft abhängig sind, also Windeln
tragen müssen, zeigt, wie unrealistisch Cuarón die Handlung konstruiert
und wie tendenziös sein Blick auf die Protagonistin ist.
Dann beginnt das Kapitel "Frau und Technik". Da alle anderen
tot sind, muss sie selbst navigieren, ohne es gelernt zu haben, also gewissermaßen
aus einem vollgestellten Parkplatz einen Ausweg finden. Als Frau braucht sie
dafür naturgemäß ein dickes Handbuch mit vielen Bildern. Als
ob dies nicht lächerlich genug wäre, klopft dann auch noch Kowalsky
an die Scheibe, und weil die konsternierte Frau einfach keinen klaren, handlungsfähigen
Kopf bekommen will, bricht er eben gewaltsam ein - etwa so, wie ein Spermium
in eine Eizelle eindringt. Sofort dröhnt der Schwadroneur wieder und faselt
etwas von zufällig entdeckten Batteriereserven seines Rucksackantriebs;
auch ein von den Russen dankenswerterweise übriggelassener Whisky signalisiert
noch einmal das männliche Ego. Auffällig rasch verschwindet er dann
wieder, denn er hat als gebärunfähiger Mann seine Pflicht, die Wissensweitergabe,
erfüllt. Stone setzt das dumme Geschwätz mit unsäglichen Selbstgesprächen
fort, die zum Glück, von der monströsen Geräuschkulisse
und der aufdringlichen Musik verdeckt, fast unverständlich bleiben.
Nach der Zerstörung der ISS bleibt nur noch eine benachbarte
chinesische Raumstation als Rettungsoption, denn dort soll es eine rückkehrfähige
Kapsel geben. Mit dem von Kowalsky genannten Trick, die Bremsraketen zum Vortrieb
zu verwenden - worauf die unkreative Frau naturgemäß nicht verfallen
konnte -, gelangt sie in die Nähe der Chinesen. Diese hatten inzwischen
immerhin Funkkontakt aufgenommen, redeten aber, wie Chinesen eben sind, nur
Chinesisch, und wollten die Amerikanerin in ihrer Notlage einfach nicht verstehen.
Die internationale Raumfahrt ist also nicht einmal so international wie die
internationale Luftfahrt. Der Funkverkehr ist darüber hinaus noch mit einem
besonderen Seelentrampler gespickt, einem schreienden Kleinkind (das wohl zum
Bodenpersonal gerechnet werden muss). Stone wird also an ihren Verlust erinnert
und an ihre gynäkologische Verpflichtung.
Die Annäherung und Inbesitznahme der chinesischen Raumstation
erfordert noch ein letztes Notmanöver. Da ein reguläres Andocken für
unmöglich gehalten wird, lässt sich Stone aus ihrer Kapsel schießen
und muss sich mit den wenigen verbliebenen Rückstößen aus ihrem
Feuerlöscher an die Oberfläche des Raumschiffes herantasten. Man darf
durchaus argwöhnen, dass das Drehbuch vorher das Feuer in der Kapsel nur
deshalb inszeniert hat, um den Feuerlöscher ins Spiel zu bringen. Das chinesische
Schiff ist allerdings ebenfalls erheblich zerstört und menschenleer, sodass
Stone auf sich gestellt die Rückkehr versuchen muss. Dabei sind chinesische
Schriftzeichen auf den Tasten zweifellos ungemein hilfreich, und das Schiff
als Ganzes ist auch eine einzige Rüttelmaschine. Ob dies schon Turbulenzen
beim Eintritt in die Atmosphäre sein sollen, wird nicht klar. Auffällig
wird hingegen, dass dieser Eintritt von Sandra Bullock die Simulation eines
Orgasmus verlangt. Nicht anders und nichts weniger als peinlich geschieht dieser
Rücksturz zur Erde. Wenn man so will: sie gewinnt die zum Weiterleben motivierende
sexuelle Potenz wieder. Passend dazu zeigt der Film die anderen Trümmer
als glühende, leuchtende Sternchen, Illumination des Ausnahmezustandes.
Bei der erfolgreichen Wasserung wird der Frau erneut ihr mangelndes physikalisch-technisches Wissen zum Verhängnis. Sie weiß nicht, dass sie sich vor Wassereinbruch schützen muß, und geht prompt mit ihrer Kapsel unter. Natürlich wäre der Raumanzug auch als Tauchanzug zu verwenden, aber dumm wie sie ist, legt sie gerade den ab, damit der Zuschauer Sandra Bullocks Formen unter Wasser bewundern kann. Nach dem Auftauchen ist praktischerweise auch schon das Festland in Reichweite, d.h. der Zufall, gerade in Landnähe zu wassern, ist wahrhaft astronomisch. Regisseur Cuarón entblödet sich auch nicht, Sandra Bullock in der letzten Einstellung am Strand in heroischer Untersicht zu zeigen, in wiedergewonnener Standhaftigkeit gegenüber dem Leben, aber natürlich auch zwecks Ausstellung ihrer körperlichen Attraktivität. So hat man dann einerseits die Frau traditionell als begehrenswertes Sexualobjekt des Mannes inszeniert und kann andererseits den Feminismus bedienen: nur eine starke Frau überlebt und kann auch die Menschheit fortsetzen, d.h. reproduzieren.
Gerhard Bachleitner
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Gravity
USA / Großbritannien 2013 - 120 min. - Regie: Alfonso Cuarón -
Drehbuch: Alfonso Cuarón, Jonás Cuarón - Produktion: Alfonso
Cuarón, David Heyman - Kamera: Emmanuel Lubezki - Schnitt: Alfonso Cuarón,
Mark Sanger - Musik: Steven Price - Verleih: Warner Bros. - FSK: ab 12 Jahren
- Besetzung: Sandra Bullock, George Clooney, Basher Savage, Eric Michels
Kinostart (D): 03.10.2013
DVD-Start (D): 21.02.2014 - IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt1454468/
Details zur DVD:
Bild: 2,35:1 (anamorph - Sprache: Deutsch, Englisch (DD 5.1) - Untertitel: Deutsch
- FSK: ab 12 Jahren - Verleih: Warner
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