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Gravity

Die Welt steht Kopf und dreht Kreise

Wie lange reicht die Luft? In seinem Science-Fiction-Film "Gravity" erzählt Alfonso Cuarón von der Neugeburt des Menschen (hier George Clooney), der sich im Angesicht einer technologischen Katastrophe wieder die wesentlichen Fragen stellt.

"Houston, I have a bad feeling about this", sagt George Clooney, einkokoniert in seinem Raumanzug, wie der letzte, zufriedene Mensch im All schwebend, mit Vintage Country-Rock im Ohr. In bloßer Katastrophenprognostik hat sich der Satz allerdings noch nicht erschöpft, vielmehr umspannt er en miniature ein ganzes Referenzsystem: "Houston, wir haben ein Problem", steht seit Tom Hanks in "Apollo 13" für die Lakonie der Weltraumkatastrophe im Film - und ganz miese Gefühle werden in der "Star Wars"-Saga am laufenden Meter empfunden. Von Kubricks "2001 - Odyssee im Weltraum" übernimmt Regisseur Alfonso Cuarón noch die Stille des Alls und dessen majestätisch leeren, darin bedrohlichen Raum - sowie nicht zuletzt das philosophische Projekt: "Gravity" erzählt von der Wiedergeburt des Menschen im Angesicht einer technologischen Katastrophe.

Vorschnell könnte man sagen: Ein Amalgamfilm, der sich in der Kinogeschichte frei bedient. Der Vorwurf ist nicht ganz falsch, verfehlt aber den Kern der Sache: Cuarón dampft - eine Wohltat nach all den storymäßig überfrachteten Blockbustern der ausklingenden Saison - seine Geschichte aufs Minimum ein - ein technischer Einsatz in 600 Kilometer Höhe wächst sich zur existenziellen Meditation übers nackte Überleben aus -, setzt Science-Fiction-Partikel und -Anschlüsse gerade so ein, dass sie offenkundig werden, nicht aber zum Wesenskern, und konzentriert sich - dergestalt abgesichert, dass man sich immer noch im für die Refinanzierung des Ganzen so wichtigen Unterhaltungskinosegment befindet - im wesentlichen auf die zentralen Achsenelemente des Kinos: Zeit und Raum - in einem Film, in dem erstere sich in zuletzt im Mainstream selten gesehener Konsequenz als intakte Nahezu-Echtzeit der Realität des Zuschauers annähert, während zweiterer jeglicher Verlässlichkeit des Alltagsempfindens komplett entbunden ist: In "Gravity" steht die Welt Kopf und dreht Kreise, oben und unten zählt zur Orientierung nicht mehr viel. Die Kamera - sofern sich in so einem profund künstlich-digitalen Setting von einer solchen überhaupt noch sprechen lässt - umgleitet und fixiert das Geschehen aus immer neuen Perspektiven. Alles beginnt mit einer atemberaubenden Digital-Plansequenz, die alle Einzeleinstellungen miteinander vernäht, die ihren Weg vom überwältigenden Space-Panorama bis ins Innere eines Astronautenhelms findet - und alles in hervorragendem 3D.

Kubrick wählte für seine maximal realistische Simulation einer Outer-Space-Situation noch den geometrisch exakt gefassten, in sich ruhenden Fixpunkt. Cuarón unterdessen subjektiviert das Geschehen in Form einer entfesselten Kamera und erweitert das Bild in die dritte Dimension: Was zuletzt nur noch wie ein künstliches Manöver zur Ticketpreiserhöhung oder am Ende einfach nur wie ein Schutz vor mitfilmenden Piraten erschien, wird hier endlich einmal wieder als zwingendes ästhetisches Konzept in die Pflicht genommen. Der Titel "Gravity" bringt lakonisch das visuelle Spektakel auf den Punkt, um das es Cuarón zentral geht: In der Schwerelosigkeit des freien Falls rund um den Globus sind es die Implikationen aus Schub und Abbremsung, die immer neue Relationen der physischen Körper zueinander im Raum bedingen und die Situation mal existenziell zuspitzen oder abdämpfen. Die Leinwand wird zur unmerklichen Membran vor einem größeren, weiteren Raum, in dem es wieder um das wesentliche geht: Wie kommen wir von hier nach dort, wie lange reicht die Luft, wo Halt suchen im Rausch der Beschleunigung, wie den Schub überwinden? Schmerzhaft, ruckhaft, wuchtig geht das oft vonstatten.

[Spoilerwarnung]

Die Gravitas, die im Titel ebenso anklingt, wirkt vor solcher Raumkunst-Akrobatik nurmehr wie ein Zugeständnis, die zudem noch an der eigenen Werkgenese scheitert. Wenn Sandra Bullock sich aus dem Kokon des Raumanzugs herausschält und sich - wie eine ent-metaphysierte Entsprechung zum Starchild bei Kubrick - zum Embryo einrollt, um am Ende als neuer erster, unsicher stolpernder Mensch aus Wasser und Schlick geboren zu werden, wenn also am Ende der Ausbruch des Menschen aus der ihm zur zweiten Natur gewordenen Technik steht, dann entwickelt sich spätestens vor der Produktionsgeschichte des Films, für den, wie für kaum einen zweiten, Menschen von Technik ummantelt wurden, eine leicht bizarre Dialektik: Der Inhalt beäugt mit Skepsis, was die Form geradezu enthusiastisch zelebriert.

[/Spoilerwarnung]

Man kann und sollte das beiseite schieben: Als Erzählkino-Raumzeit-Abstraktion ist "Gravity" ein hypnotisch-faszinierendes Groß-Kunstwerk - und als solches wiederum nur voll zu genießen in der Ummantelung eines technisch hochgerüsteten Kinosaals.

Thomas Groh

Dieser Text ist zuerst erschienen im: www.perlentaucher.de

Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte

 
Gravity
USA / Großbritannien 2013 - 120 min.
Regie: Alfonso Cuarón - Drehbuch: Alfonso Cuarón, Jonás Cuarón - Produktion: Alfonso Cuarón, David Heyman - Kamera: Emmanuel Lubezki - Schnitt: Alfonso Cuarón, Mark Sanger - Musik: Steven Price - Verleih: Warner Bros. - FSK: ab 12 Jahren - Besetzung: Sandra Bullock, George Clooney, Basher Savage, Eric Michels
Kinostart (D): 03.10.2013

 

 

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