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Greenberg
Kaputt
in Indiewood
Wenn
man für ein Festival akkreditiert ist und von Auftrags wegen auf eine Schiene
des Festivals abonniert ist, ergeben sich manchmal hübsche Überraschungen:
Da ich sowieso die Wettbewerbsvorführungen um 12 Uhr besuche, schaue ich
(meist) im Vorfeld gar nicht erst näher hin, was mich erwartet. Entsprechend
erstaunt war ich, als sich in "Greenberg" plötzlich Ben Stiller
(in der Titelrolle) mit verwuschelter Frisur ins Bild dreht und - er hatte kurz
zuvor einen Nervenzusammenbruch - verstört ins Telefon flüstert: "Da
sind Leute im Pool." An dieser Stelle ist der Film schon einige Minuten
alt und hat bis dahin seine Signale deutlich gesendet: Indiewood. Ein lose verbandelter
ästhetischer, motivischer, vor allem aber distributorischer Nischenzusammenhang
des amerikanischen Kinos, der mittlerweile ein fester Bestandteil im Verwertungskalkulationen
der "Großen" ist. Stiller erwartet man in solchen Filmen dennoch
nicht unbedingt.
Für
Indiewood-Filme sind einige Zutaten fast obligatorisch: Ein bisschen slice
of life,
leicht nerdige, zumindest aber überforderte Protagonisten mit gebrochenen
Biografien oder zumindest kontra-intuitiver Lebensgestaltung, ein skurriler,
leicht lakonischer Humor, ein mit alten Songs durchsetzter Soundtrack und wenigstens
gelegentliche Tabubrüche, die, als solche ausgestellt, fast schon wieder
gekittet sind. Wie sehr dieser Mix derzeit zur festen Form gerinnt (und damit
vieles verliert, was daran mal spannend gewesen ist), lässt sich in "Greenberg"
ziemlich gut - und leider auch: ziemlich ermüdend - nachvollziehen, Stiller-Überraschung
hin oder her.
Greenberg,
aus der Nervenheilanstalt gerade erst entlassen, kommt von New York nach L.A.,
in die Villa seines ungleich erfolgreicheren Bruders, der mit seiner Familie
gerade zum Urlaub nach Vietnam geflogen ist. Dort trifft er auf Florence (eine
viel versprechende Entdeckung: Greta Gerwig), die Assistentin des Bruders. Oder
vielmehr: Sie auf ihn, da sie als eigentliche Hauptfigur erst lange eingeführt
wird, bis sich der Fokus, leider, auf Greenberg verschiebt.
Beide
sind ganz klar sozial überfordert, mitunter seltsam. Sie, mit 25, auf noch
charmante Weise, er, mit über 40, impertinent, soziophob, um nicht zu sagen:
Ein Arschloch, das seine Neurosen im Leben anderer Menschen abstellt. Was folgt,
sind mindere bis größere Katastrophen: Der Hund wird krank, der Pool
flutet über, der erste Sex, wenn man ihn so nennen kann, zwischen Florence
und Greenberg ist auf sehr seltsame Weise seltsam. Greenberg trifft sich mit
alten Bandkumpels, man lernt: er war früher, vor seinem Nervenzusammenbruch,
kaum anders.
Das
alles steht ausgekippt im Raum versammelt, weil "Greenberg" viel von
allem will, aber nichts so richtig: Ein bisschen Woody Allen für die Indie-Welt,
ein bisschen post-neurotische Rückschau für die 90er Grunge-Generation,
einen sachten Geschmack von mumblecore für
die Festival-Crowd, einige krasse Momente für das pubertäre Publikum,
das Ben Stiller wegen ins Kino kommt, und noch genügend Gefälligkeit
für entspannte Stimmung bei den Finanziers.
Das
ist auch insofern schade, da "Greenberg" sich in der Tat manches heraus
nimmt: Unkommentierter Drogengebrauch, Schimpfwörter, Nacktheit und eine,
zum Glück, nicht näher dramatisierte Abtreibung findet man in dieser
Mischung selten im Para-Mainstream. Allein, es geschieht, es passiert, es will
nichts, schon gar keinen vor den Kopf stoßen, plätschert durch. Wie
sehr wünscht man sich in diesen Momenten einen Judd Apatow wenigstens auf
dem Stuhl des Produzenten!
Thomas
Groh
Dieser
Text ist, im Kontext der Berlinale 2010, zuerst erschienen bei: www.perlentaucher.de
Greenberg
USA
2010 - Regie: Noah Baumbach - Darsteller: Ben Stiller, Greta Gerwig, Rhys Ifans,
Jennifer Jason Leigh, Brie Larson, Juno Temple, Chris Messina, Susan Traylor,
Mark Duplass, Merrit Wever, Dave Franco, Max Hoffman - FSK: ab 16 - Länge:
107 min. - Start: 1.4.2010
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