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Guru – Bhagwan, His Secretary & His Bodguard
So richtig nachvollziehen kann man die Anziehungskraft,
die von Person und Lehre des Bhagwan Shree Rajneesh in den 1970er-Jahren ausgegangen sein muss, heute nicht mehr. Aus
heutiger Sicht hat die Figur des spirituellen Führers, dessen Idee einer
Kombination aus westlichem Materialismus und östlicher Spiritualität
durchaus hausbacken erscheint, fast etwas Verschmitzt-Koboldhaftes. Doch auf
welche Bedürfnisse der westlichen Welt der Bhagwan so erfolgreich reagierte,
spart der Dokumentarfilm von Sabine Gisiger und Beat Häner aus, obwohl er sich aus einem reichen Fundus an historischem Material
bedient.
In England hört der junge Hugh Milne eine Unterrichtung
des Bhagwan auf Audiotape und beschließt, nach Indien aufzubrechen.
Hugh wird einige Jahre ein Leibwächter des Bhagwan und
berichtet hier gewissermaßen aus erster Hand über die Entwicklung
der Lebensgemeinschaft hin zur Sekte mit totalitär-paranoiden Zügen.
Milne hat den Ashram als Dissident verlassen. Er ist es, der das Thema des
Films benennt: „Where did it begin to go wrong?“ Die zweite Gesprächspartnerin der Filmemacher
ist die ehemalige Sekretärin und das Sprachrohr des Bhagwan, Sheela Birnstiel, die heute in der Schweiz lebt und im Pflegedienst tätig
ist. Sie organisierte seinerzeit den spektakulären Umzug der Sekte aus
Platz- und Steuergründen von Poona in Indien nach Oregon,
USA. Dort wurden die US-Behörden beim Erwerb eines als Farmland ausgewiesenen
größeren Stücks Land getäuscht, was dann auch das Binnenklima
der Sekte umschlagen ließ: Die Bhagwan-Jünger versuchten gewissermaßen,
eine ganze Region zu unterwandern. 1986 wurde Birnstiel in
den USA zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Zu den Anklagepunkten
gehörten Anstiftung zum Mord, Arrangement von Scheinehen und die Installation
von Abhöranlagen.
Die Diskrepanz zwischen den von Ekstase und Ich-Dissoziation
geprägten Anfängen in Indien und dem abgeschotteten Leben voller Fronarbeit
und Unterwerfungsrituale in Oregon könnte kaum größer sein.
Obwohl sich die Filmemacher der Mitwirkung zweier prominenter Ex-Sannyasin versichern konnten, kommt der Film nicht recht vom Fleck. Die gestellten
Fragen sind derart unpräzise, dass man sich fragt, worauf die Filmemacher
eigentlich hinauswollen; die Antworten der Interviewten lavieren mit freundlichem
Lächeln oder vieldeutigem Schweigen um das Entscheidende herum. Zudem bleibt
das Archivmaterial lückenhaft und willkürlich montiert, auch eine
Kontextualisierung unterbleibt. Entscheidendes Manko aber ist die fehlende Haltung
der Filmemacher zum Bhagwan selbst, der wie eine Leerstelle erscheint, die an
entscheidenden Stellen des Films das Projekt zu torpedieren scheint. Nie wird
einsichtig, worin die Faszination von Bhagwans Erscheinung oder Lehre gelegen
haben könnte. Geht es zu Beginn noch um die Ego-Auflösung mittels
Meditation und tantrischem Sex, mündet das schließlich ins Sammeln
von Rolls-Royce-Limousinen im sanften Drogenrausch, was man durchaus als subversive
Geste gegenüber den eigenen Anhängern deuten könnte. Wenn der
spirituelle Führer schweigt, übernimmt seine Sekretärin das Wort
– und wird doch später von ihm selbst als „Papagei des Meisters“ degradiert.
So bietet „Guru“ eine zwar chronologisch strukturierte, aber reichlich obskure,
andererseits allzu bekannte Geschichte um Aufbruch, Blüte, Paranoia und
Niedergang einer verschworenen Gemeinschaft, der es an allen Ecken und Enden
mangelt.
Letztlich erscheinen die Jahre der Bhagwan-Sekte wie
ein bizarrer Spuk, der gar nicht so weit von einer Parodie wie „The Love Guru“
(fd 38 913) entfernt ist, nur eben ungleich langweiliger.
Um hinter das Geheimnis des „Ganz entspannt im Hier und Jetzt“ (wie seinerzeit
ein Bestseller über das Leben in Poona titelte, für
das sich ja auch Theoretiker wie Rudolf Bahro erwärmen konnten), braucht
es wohl mehr kritischer Intelligenz, als die Filmemacher aufzubieten hatten.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen in: film-Dienst
Guru - Bhagwan, His Secretary
& His Bodyguard
Schweiz 2010 - Regie: Sabine Gisiger, Beat
Häner – Mitwirkende: Sheela Birnstiel,
Hugh Milne - Länge: 98 min. - Start: 23.9.2010
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