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Hangover
Eierschaukeln
In Todd Phillips' "Hangover",
der Hollywood-Erfolgskomödie dieses Sommers, fragen sich drei nur sehr
bedingt erwachsene Männer nicht nur, wo ihr Kumpel in der Nacht vor seiner
Hochzeit abgeblieben ist.
Man klaut, wo man kann. Der Tiger im Badezimmer
erinnert doch ein wenig an die Raubkatze, die Katherine Hepburn in "Leoparden
küsst man nicht"
zur Beaufsichtigung Cary Grant in die Hand drückt. Man erinnere sich, dass
die von Cary Grant gespielte Figur am nächsten Tag eine strenge Kollegin
heiraten will. Der in-letzter-Minute-jemand-anderen-Heiraten-Plot kommt auch
in "Hangover" vor, betrifft hier allerdings die rasch entflammte Liebe
eines Zahnarzts zu einer Edel-Prostituierten. Überhaupt hören die
Ähnlichkeiten recht schnell wieder auf. Zur Screwball-Eleganz des Howard-Hawks-Films
fehlt der Brachialkomik, auf die "Hangover" setzt, doch kaum weniger
als alles.
Die eigentliche Ausgangs-Pointe, die für
den Großteil der folgenden Witzzufuhr sorgt, ist dann dem Amnesie-Genre
entnommen, "Memento" & Co. Drei wachen auf, vermissen
den vierten, erinnern sich an nichts, nehmen mit Staunen den Tiger zur Kenntnis,
das Baby und den fehlenden Zahn und begeben sich auf die Suche nach der verlorenen
Zeit in der Nacht davor. Konfrontiert sind sie mit den Folgen eines Tuns, das
sie als das ihre mit Mühe und unter Schmerzen begreifen. Aus einem Himmel,
der ihnen heiter schien, werden sie beschimpft und attackiert und - schlimmer
noch - geliebt und müssen sich selbst immerzu befragen: das also habe ich
getan? Andererseits: Auch mit den identitätsphilosophischen Fragen von
"Memento" hat dieser Film wenig am Hut.
So geht es los: Mit dem Jägermeister
hat was nicht gestimmt. Genauer gesagt: mit den Ecstasy-Pillen, die in der Nacht
vor der Hochzeit Alan (Zach Galifianakis) seinen drei Kumpeln Doug (der Bräutigam;
Justin Bartha), Phil (Bradley Cooper) und Stu (Ed Helms) heimlich in den Jägermeister
gemischt hat. Die Ecstasy-Pillen waren, weil der stereotype schwarze Drogenhändler
sich irrte, Roofies - die Vergewaltigungsdroge, die dafür sorgt, dass man
sich an nichts, was geschah, danach noch erinnert. Die Komik bezieht "Hangover"
genau daraus, dass er das Blackout-Geschehen ins Off seiner eigenen Erzählung
verlegt - und das Off dann fruchtbar macht, als Schoß, aus dem zum Beispiel
ein nackter Asiate springt und auf die drei ernüchterten Männer einschlägt
oder aus dem ein echter Mike Tyson kriecht und, horribile dictu, zu Musik von
Phil Collins singt.
Die drei ernüchterten Männer
sind eben das nicht: Männer. Klare Fälle vielmehr jener intellektuellen,
emotionalen und sozialen postadoleszenten Entwicklungshemmung, die männliche
US-Komödienhelden der letzten Jahre fast durchweg auszeichnet. In den Komödien
des Meisters Judd Apatow liegt die Komik (und, wenn man großzügig
formuliert, auch die Tragik) darin zu sehen, wie die Kinder in Männerkörpern
schicksalhaft dem großen Anderen begegnen (Frauen, Verantwortung, tatsächlich
Erwachsenen) und ihre anarchischen Impulse zugleich nicht aufgeben wollen. Bei
Apatow steht, anders gesagt, Wichtiges auf dem Spiel: Wie wird man Teil der
Gesellschaft, ohne die zerstörerischen und gesellschaftsfeindlichen Impulse,
die das Leben des Individuums doch auch ausmachen, ganz aufzugeben? Das heißt:
bei Apatow gibt es Potenzial und Zwang zur Entwicklung, es gibt, wenn man wiederum
großzügig formuliert, zeitgenössische Updates des guten alten
Bildungsromans. (Der ein männliches Genre
ist. Frauen haben traditionell andere Probleme, zu denen die Tatsache, dass
sie sich in Beziehungen plötzlich nicht nur mit tatsächlichen, sondern
auch als Männern getarnten Kindern konfrontiert sehen, durchaus gehört.)
"Hangover", der große
Überraschungserfolg des Hollywood-Sommers, wählt die in allen Hinsichten
bequemeren Lösungen. Hier ist alles nur Einverständnis und Karneval.
Dem über die Stränge Schlagen wird per Ritual eine Frist eingeräumt:
Junggesellenabschied, Nacht vor der Hochzeit. Hier ist Unterleib, hier darf
er sein. Das ICH, das sich mit dem vergessenen nächtlichen Wirken des ES
konfrontiert sieht, ist im Grunde nicht reifer und/oder reifungsbedürftiger
als eben sein ES. Die Männer, die Kinder sind, bleiben das. Für den
Film heißt das: Auch er verharrt glücklich im Stereotypen und greift
ohne Bedenken auf sexistische und rassistische Klischees zurück. Was durchaus
komisch ist, immer wieder, aber kaum auf befreiende Weise. Am Ende sind die
Helden mit sich dann im Reinen und der Film ist es auch: Im Abspann sieht man
fotografisch die Bilder der Nacht, die als Tag der Komödie eingeholt worden
ist. Mit Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten hat das aber gar nichts zu
tun. Alles nur Eierschaukeln und glückliches Entwicklungshemmungssyndrom.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen
am 22.07.2009 in: www.perlentaucher.de
Hangover
USA
2009 - Originaltitel: The Hangover - Regie: Todd Phillips - Darsteller: Bradley
Cooper, Ed Helms, Zach Galifianakis, Justin Bartha, Heather Graham, Sasha Barrese,
Jeffrey Tambor, Ken Jeong, Rachael Harris, Mike Epps - FSK: ab 12 - Länge:
100 min. - Start: 23.7.2009
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