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Harry
Potter und der Halbblutprinz
Entspannt
in der Parallelwelt
Die Kritiker haben kritisiert, die Schwärmer
geschwärmt - und in Erinnerung bleibt, dass Ron eine Freundin hat: "Harry
Potter und der Halbblutprinz" hat die Ruhe des Nach-Potter-Hypes.
Die eingefleischten Fans werden es kaum
hören wollen, aber der Blick auf die Bestsellerlisten enthüllt, dass
die große Zeit der "Harry Potter"-Serie vorbei ist. Dort nimmt
nun mit Stephenie Meyer und ihrer "Bis(s)"-Reihe das nächste
Phänomen die vorderen Plätze ein, das allein wegen seines durchschlagenden
kommerziellen Erfolgs in Schrift und Bild, Literatur und Kino, von sich reden
macht. Statt über die Popularität eines Brille tragenden Waisenkinds
mit Zauberbegabung spekuliert nun alles über die Bedeutung sexueller Enthaltung
bei Vampiren …
Für die Verfilmung des sechsten und
vorletzten Potter-Bands, "Harry Potter und der Halbblutprinz" (der
siebte wurde auf zwei Filme verteilt, deren Start für 2010 bzw. 2011 angekündigt
ist), heißt das, dass er ohne das gewohnte Medienrauschen ins Kino kommt.
Irgendwie scheint alles gesagt. Die Kritiker haben kritisiert und die Schwärmer
geschwärmt, der Stoff ist durchanalysiert. Die Fans haben derweil zu Ende
gelesen und wissen, wie "es ausgeht". Der Rest hat Schwierigkeiten,
sich an das, "was bisher geschah", zu erinnern.
Das alles hat durchaus seine Vorteile:
Man kann nun einfach so in den Film gehen - und, befreit von jedem Druck, ein
Zeitphänomen verstehen zu müssen, vielleicht sogar feststellen, dass
das alles ganz unterhaltsam sein kann: Hogwarts, dieses typisch englische "Public
School"-Gehabe mit seinen Roben und Ritualen und das geheimnisumwitterte
Ringen mit dem ewig Bösen in Form von "Todessern" und dem "Dunklen
Lord".
Die genaue Kenntnis dessen, was in den
vorherigen fünf Folgen erzählt wird, ist jedenfalls nicht vonnöten.
Es reichen ungefähre Vorstellungen von der "Potter"-Welt, wie
etwa zu wissen, dass in "Hogwarts" statt Mathe Unterricht im Zaubertrankbrauen
erteilt und statt Crickett Quidditch gespielt wird, eine Art Hockey auf Flugbesen.
Und, ach ja, Harry Potter ist als "Auserwählter" geoutet, was
bedeutet, dass der "Dunkle Lord" ihn auf dem Kieker hat.
Zusätzlich zur Entspannung des Zuschauers
trägt bei, dass sich nach fünf Folgen jeglicher Überraschungseffekt
abgeschwächt hat. Die Hogwarts-Welt und ihre spektakulären Eigenheiten
wie etwa die Fotos, die eigentlich kleine Filmchen sind, haben ihre digitale
Kinogestaltung erfahren und sind eingeführt. Nur noch am Rand muss etwas
hinzu erfunden werden. Der "Halbblutprinz", bei dem wie schon bei
Teil 5 David Yates Regie führte, verzichtet weitgehend auf Actionsequenzen,
als gäbe es ein müdes Abwinken: Jetzt, wo man dank Digitaltechnik
alles darstellen kann, jede Art von Bewegung und jede zauberhafte Verwandlung,
wird "Action" schnell langweilig.
Das verschafft der sechsten Folge eine
Ruhe, die positiv wirkt. Wo die früheren Teile oft hektisch Handlung abwickelten
und in Spezialeffekte umsetzten, kann sich hier endlich so etwas wie Stimmung
ausbreiten. Da das Böse in den letzten Teilen immer mehr an Macht gewonnen
hat, beginnt "Harry Potter und der Halbblutprinz" auf einer düsteren
Note. Die Himmel sind grau in Muggelland beziehungsweise London. Und die Straßen
wirken merkwürdig unbelebt, als hätten die Menschen keine Freude mehr.
In der Gasse, in der Harry und seine Freunde einst ihre Zauberstäbe erworben
haben, sind die Zeiten so schlecht, dass ein Geschäft nach dem anderen
schließt. Und dann wird auch noch die Millenniumsbrücke durch ein
Attentat zum Einsturz gebracht. Krise und Verunsicherung überall also,
fast ist man verführt, diesen "Harry Potter" für ein Werk
mit aktuellen Zeitbezügen zu halten. Dabei war das Schöne bislang
doch immer, dass er gerade mit nichts zu tun hatte, dieser Harry Potter, weder
mit "9/11" noch mit der Bankenkrise noch mit dem Niedergang von British
Labour.
Doch mit den aktuellen Anspielungen hat
es sich, sobald die Zauberschüler wieder ins Internat zurückkehren.
Auch dort ist die Stimmung düsterer als sonst, was nicht allein auf das
Konto von finsteren Mächten geht, breitet sich doch unter den Schülern
eine gewisse Abschlussjahrwehmut aus, ganz so, als ob sie selbst schon wüssten,
dass der nächste Teil nicht mehr in Hogwarts spielen wird. Orchestriert
wird diese Melancholie des vorauseilenden Trennungsschmerzes von allerlei Schwärmereien
untereinander, die, wie es in diesem Alter eben so ist, erst mal mehr Unglück
anrichten als Glück bereiten. Ein paar dramatischere Dinge passieren auch,
aber trotzdem wird man diesen Film am Ende wohl als den in Erinnerung behalten,
in dem Ron seine erste Freundin hat.
Barbara Schweizerhof
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der: taz
Harry
Potter und der Halbblutprinz
Großbritannien
/ USA 2008 - Originaltitel: Harry Potter and the Half-Blood Prince - Regie:
David Yates - Darsteller: Daniel Radcliffe, Emma Watson, Rupert Grint, Helena
Bonham Carter, Jim Broadbent, Robbie Coltrane - FSK: ab 12 - Länge: 153
min. - Start: 16.7.2009
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