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Harry
und Sally
Wir
können ja Freunde bleiben
Man muss sich die Atmosphäre im Jahr 1989 vorstellen,
als dieser Film entstand: Das Kino wurde beherrscht vom Zweikampf zwischen Sylvester
Stallone und Arnold Schwarzenegger, wer die größere Wummengurke produzieren
kann; und die erfolgreichsten Kinokomödien waren „Kuck mal, wer da spricht“
und „Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft“. In dieser trostlosen Zeit redeten
auf der Leinwand plötzlich ein Mann und eine Frau über ihre Gefühle.
Sie taten es mit Ehrlichkeit, Witz, Klugheit und Charme, sie taten es über
Jahre hinweg, und man fragte sich unweigerlich, warum das eigentlich nicht alle
Leute und vor allem alle Filme so machten. „Harry und Sally“ war eine Wiederbelebung
des Geschlechterkampfs als Screwball-Komödie in einer Zeit, da diese Form
seit drei Jahrzehnten scheintot auf dem Boden des Schneidetischs lag.
Wer
war verantwortlich für diese triumphale Reanimation? Tatsächlich ist
der Film ein perfekter Zusammenschluss der richtigen Leute zur richtigen Zeit.
Natürlich spielen Billy Crystal und Meg Ryan so begnadet, dass der Film
ohne die beiden undenkbar erscheint. Und doch sollte dies der Höhepunkt
ihrer beider Filmkarrieren bleiben. Lag es vielleicht doch an Regisseur Reiner?
Auch dessen Œuvre hat goldene Höhepunkte, aber auch echte Enttäuschungen
und scheint stark von der Qualität des Drehbuchs abhängig zu sein.
Und genauso schwer ist es, Drehbuchautorin Nora Ephron als Alleinverantwortliche
herauszustellen (dafür hat sie inzwischen mit allzu wechselhaftem Ergebnis
versucht, den gleichen Versuchsaufbau zu wiederholen) – aber es ist auch kaum
möglich, sich den Film ohne ihre brillanten Dialoge vorzustellen. Nein,
hier ist Film ganz Kollektivarbeit, und wie durch einen goldenen Zufall sitzt
hier jeder genau an dem Platz, an den er gehört.
So
hat der Film denn auch alles: Eine ebenso provokative wie dann doch tiefgreifende
Grundfrage (Können Männer und Frauen Freunde sein? Und wenn ja, wie
sieht das dann mit der Liebe aus?), zwei keineswegs zuckersüße, sondern
gerade richtig austarierte Hauptfiguren (Crystal gibt den leicht arroganten
Polit-Snob, der sich vom Weiberheld zum Scheidungsopfer und Frauenversteher
mausert; Ryan die idealistische Journalistin, die sich von spießiger Prinzipientreue
in eine spielerische Lebefrau verwandelt), eine Handvoll grandioser Nebendarsteller
(vor allem der zu Lebzeiten immer wieder unterschätzte und übersehene
Bruno Kirby und die endlich aus den "Star
Wars"-Tiefen
zurückgekehrte Carrie Fisher), ein schier endloses Feuerwerk an absurden
Sight Gags (die Traubenkerne, die Harry gegen das Beifahrerfenster spuckt; das
Scheidungsgespräch inmitten einer Laola-Welle), melancholische Situationskomik
(das Stöhnen vor dem Schlafengehen; das öffentliche Karaoke) und gnadenlose
Oneliner („Ted Kennedy? Tot?!“). Vor allem aber hat „Harry und Sally“ ein echtes,
schlagendes Herz.
Dass
sich die Beziehungskomödien nach einigen Jahren voller Epigonen und schwächerer
Nachahmer inzwischen wieder zu den klamaukigen Familienschmonzetten zurück
entwickelt haben (und niemand kann mir erzählen, dass die sinkende Geburtenrate
der Bundesrepublik damit nicht direkt zusammenhängen würde), zeigt
nur, wie wichtig alle paar Jahrzehnte mal ein solcher Paukenschlag ist. Denn
„Harry und Sally“ ist mehr als ein Film, „Harry und Sally“ ist eine Lebensform.
Daniel
Bickermann
Dieser Text ist zuerst erschienen im: schnitt
Harry
und Sally
When
Harry Met Sally. USA
1989. R: Rob Reiner. B:
Nora Ephron. K: Barry Sonnenfeld. S: Robert Leighton. M: Harry Connick, Jr.
P: Castle Rock. D: Billy Crystal, Meg Ryan, Bruno Kirby, Carie Fisher, Steven
Ford, Gretchen Palmer, Kevin Rooney, Joseph Hunt u.a.
96
Min.
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