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Henry
– Portrait of a Serial Killer
Die
Wegwerf-Gesellschaft
In den ersten fünf Minuten von John
McNaughtons Film sehen wir fünf ermordete Menschen, aber keinen Mord. Die
fünfte Leiche schwimmt in einem See. Dieser See ist nicht der See am Anfang
von Peckinpahs Bring
me the Head of Alfredo Garcia.
Es ist nicht der wunderschöne und glasklare See, an dessen Ufer Schreckliches
seinen Ausgang nehmen wird, das Idyll, das zerstört werden wird. In diesem
See schwimmt Müll und zwischen dem Müll schwimmt, was vom Menschen
übrig bleibt. White Trash. Der Mensch als Müll zwischen Müll.
Der Film hat vielleicht gerade erst begonnen, aber die Welt, in der er spielt,
war sicherlich schon vorher kaputt und dreckig.
Die Kamera ist in langsamer aber beständiger
Bewegung. Nüchtern registriert sie das dreckige Geschirr auf dem Tresen
eines Cafés oder das Blut im Gesicht einer verstümmelten Frauenleiche.
Alles was sie registriert, registriert sie nüchtern. Nüchtern registriert
sie, wie Henry, der Protagonist und Serienkiller, im Auto von Mord zu Mord fährt.
Wie die Kamera ist auch Henry, auch das erfahren wir bereits in den ersten fünf
Minuten, ständig in Bewegung.
Dieser Kamerablick, ist nicht der Blick
des Killers im Sinne einer filmischen first person narration, durch subjektive
Einstellungen o. ä., aber es ist ein Blick, für den die Gewalt etwas
Alltägliches und Normales ist. Ein Blick, für den verstümmelte
Leichen genauso sehr oder genauso wenig ein Grund zum Verweilen sind, wie etwa
der Müll im See oder das dreckige Geschirr auf dem Tresen. Es ist ein betont
gefühlloser Blick und dieser Blick soll aufmerksam machen auf eine betont
gefühllose Welt. Altbekannte psychoanalytische Erklärungsansätze,
warum Henry, den seine Mutter prügelte, dazu zwang, Frauenkleider zu tragen
und ihr und ihren vielen Liebhabern beim Sex zuzusehen, bis er sie umbrachte,
tötet, gibt es in diesem Film, doch letztendlich will er nicht erklären,
sondern zeigen.
Zeigen, wie Henry und sein Kumpel Otis
ihre Ohnmacht als Abfall der Gesellschaft in Macht verkehren, indem sie sich
das Recht heraus nehmen, über Leben und Tod zu entscheiden. Sie töten
willkürlich, weil jede Macht, die sie in ihrem Leben kennen gelernt haben,
willkürlich handelte. Von der Macht, die darüber entscheidet, wer
in einer kaputten trailer park-Familie aufwächst und wer nicht bis zu ihren
Eltern, die sie schlugen und missbrauchten.
Besonders deutlich wird dies in einer
viel diskutierten Szene, in der Henry und Otis mit einer Videokamera aufnehmen,
wie sie eine Familie foltern und töten und es sich hinterher im Fernsehen
ansehen. Wie die Kinder, die sie niemals waren, freuen sie sich, ihr eigenes
Fernsehprogramm zu machen, das sie später gebannt beobachten. Torture porn
als homemade Unterschichtenfernsehen als Aneignung
diskursiver Macht durch diejenigen, die sonst dazu verdammt sind, nur zu konsumieren,
was man ihnen vorsetzt und was sie sich leisten können.
Kann die Liebe einen wie Henry retten?
Kann es Erlösung für ihn geben? Sühne? Nein. Denn es gab schon
am Anfang kein Paradies mehr, in das man zurückkehren könnte. Kein
Idyll, nirgendwo. Nur Müll. White Trash. Was bleibt von Liebe, von Hoffnung,
von Menschlichkeit – und schließlich auch vom Menschen selbst, das passt
in einen Koffer und dieser Koffer muss entsorgt werden. Wie Müll.
Nicolai Bühnemann
Henry:
Portrait of a Serial Killer
HENRY.
PORTRAIT OF A SERIAL KILLER
USA
- 1986 - 80 min. - Verleih: endfilm, VMP (Video) - Erstaufführung: 4.3.1993/22.11.1993
Video
Produktionsfirma:
Maljack Prod./MPI Home Video - Produktion: Waleed B. Ali, Malik B. Ali
Regie:
John McNaughton
Buch:
Richard Fire, John McNaughton
Kamera:
Charlie Lieberman
Musik:
Robert McNaughton, Ken Hale, Steven A. Jones
Schnitt:
Elena Maganini
Darsteller:
Michael
Rooker (Henry)
Tracy
Arnold (Becky)
Tom
Towles (Otis)
Ray
Atherton (Hehler)
David
Katz (Henrys Chef)
Eric
Young (Bewährungshelfer)
Rick
Paul (hilfreicher Autofahrer)
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