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Herzen
Der
letzte Winter in Paris
Das
neueste Alterswerk des mittlerweile 84-jährigen Alain Resnais verheddert
sich selbstverliebt in die eigene Symbolik. Die Unbarmherzigkeit aber, mit der
am Ende gescheitert wird, versöhnt wieder mit der bekanntlich allzu müden
Mittelschicht
Man
kann diesem Film nicht einen ausgeprägten Stilwillen absprechen. Kein Bild,
kein Detail von "Herzen", dem neusten Alterswerk des mittlerweile
84-jährigen Alain Resnais, sieht aus, als könnte es aus einem anderen
Film stammen. Sechs einsame, um je eine Marotte herum konstruierte Figuren aus
der Feder des von Resnais bewunderten britischen Dramatikers Alan Ayckbourne
begegnen und verpassen sich in einem unter allgegenwärtigen Schnee begrabenen
und unwirklich weiß leuchtenden Paris. Schneeflocken fallen aber auch
als kleiner, zwischen die Szenen geschobener Vorhang bei jedem der überaus
zahlreichen Schauplatzwechsel. Und dieser poetisch gemeinte Hinweis auf den
narrativen Schnitt ist nicht das Einzige, das hier ein bisschen überdeutlich
gesagt wird.
Immer
müssen die Personen herumlaufen, etwa um eine Bar, wenn sie sich unterhalten,
als gelte es, ein Bühnenbild auszunutzen. Auch andere theaterhafte Momente
in den mit viel Liebe gebauten Kulissen, etwa der wiederkehrende, fragende Blick,
den der alternde Immobilienmakler jedes Mal auf das Konterfei seines Vorfahren
wirft, wenn er seine Wohnung betritt, sind unnötig überdeutlich. Zur
Beschleunigung einer ohnehin nicht gerade übereilten Erzählweise tragen
sie so wenig bei wie die endlose Exposition der je einen (geheimen) Besonderheit
der Charaktere.
Fast
alle filmischen und präfilmischen Entscheidungen werden in ihren Konsequenzen
mehr als einmal vorgeführt. Keine Szene wird erzählt, ohne dass die
Kamera genießerisch an symbolischen Raumteilern, Milchglasscheiben, Kettenvorhängen
entlangschweift, die von der durchlässigen Einsamkeit der sechs Figuren
künden sollen. Auch das Motiv der nicht passenden Wohnung, die gleich den
ganz falschen Lebensentwurf mitbedeutet, erlebt viele Durchläufe. Schließlich
wird auch die angedeutete Künstlichkeit der Szene, das Bekenntnis zum Erzählen
durch metonymisch mit den Darstellern verbundene Dinge und Kleidungsstücke
nie zu der entschiedenen und durchgeknallten Klarheit getrieben, die uns an
"Das Leben ist ein Chanson" erfreute. Stattdessen wird auf dem dauerhaften
Schauwert von Innendekor-Ideen insistiert, die auch schon nach kürzerer
Zeit ihren Charme bereits restlos entfaltet haben.
"Herzen"
entwirft eine Welt von Menschen, die aus der Gegenwart gefallen sind, ohne deshalb
an irgendeinem anderen Ort gelandet zu sein. Die nicht ganz taufrische Erzählweise
und Charakterschilderung des gehobenen Unterhaltungstheaters eines Alan Ayckbourne
weiß viel von diesem unwirklichen Aufenthaltsort einer alternden Mittelschicht,
der selbst noch ein richtiges Ressentiment gegen die Gegenwart zu viel Mühe
wäre. Immer wieder gibt es kleine Hinweise darauf, dass keine der Figuren
mit der wirklichen Welt noch etwas zu schaffen hat: Es gibt nichts im Fernsehen,
das sie ertragen können. Mit äußerster Abscheu berichten sie
davon, dass es in der wirklichen Welt Subjekte geben muss, die Rap hören,
und - besonders unwirklich - wenn sie eine Wohnung in Paris suchen, gehen sie
einfach zum Makler und lassen sich eine zeigen, mitten in der Stadt. Als könnte
irgendeiner dieser Kleinbürger sich das leisten.
Folglich
ist man am Schluss überrascht, dass das etwas müde Figurenensemble
dann doch noch genügend Format und Herz hatte, um in tragischer Hoffnungslosigkeit
auseinanderzugehen und so auf ganzer Linie zu scheitern. Eine Aufnahme wird
dann richtig rührend, die erstmalig die zwei durch Glas getrennt nebeneinander
arbeitenden Angestellten des Maklerbüros plötzlich von hinten und
nebeneinander als Bewohner von zwei Hälften eines Raumes zeigt und dabei
den Blick auf die immer noch eingeschneite Außenwelt freigibt, auf die
sie die ganze Zeit schauen. Dass die ganze Metaphorik und Symbolik von Winter,
Ausklingen, Enden und Auseinandergehen zu sich selbst kommt und tatsächlich
alle einsam bleiben, hatte man nach 120 Minuten nicht mehr erwartet.
Das
liegt daran, dass man diese doppelt obsoleten Menschen längst abgeschrieben
hatte - und nicht einmal eines tragischen Scheiterns für fähig gehalten.
Doppelt obsolet, weil durch die betuliche Erzählweise und die Betulichkeiten,
von denen sie erzählt, die armen Alternden gleich zweimal distanziert werden.
Der aus der Armee unehrenhaft entlassene Alkoholiker, die überspannt religiöse,
"Porno"-Videos drehende Sekretärin, der mit seinem pathologisch
pöbelnden Vater unversöhnte Barkeeper bleiben auf ein einziges Symptom
ihrer weitgehend unerzählten Leidensgeschichte reduziert. Über dieses
tragikomische Symptom erfahren wir in den zwei Stunden eigentlich nur, dass
es zwar beim einsamen Leben geholfen hat, dass aber der Versuch, die Einsamkeit,
die es verursacht hat, zu überwinden, die Leute nur noch tiefer in sie
hineintreibt. Am Ende, so die Idee des Stücks, werden wir alle nur noch
wunderlicher und noch trauriger. Wenigstens aber trägt die gehobene Wunderlichkeit
der Darstellung nicht zu einer falschen Versöhnung mit dieser Idee bei.
Diedrich
Diederichsen
Dieser
Text ist zuerst erschienen in der taz
Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte
Herzen
Frankreich
2006 - Originaltitel: Cœurs - Regie: Alain Resnais - Darsteller: Sabine Azéma,
Isabelle Carré, Laura Morante,
Pierre
Arditi, André Dussollier, Lambert Wilson, Claude Rich, Françoise
Gillard, Anne Kessler - FSK: ab 12 - Länge: 120 min. - Start: 29.3.2007
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