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Das
Herz von Jenin
Schwer
allegorisch
Der Dokumentarfilm "Das Herz von
Jenin" folgt der erstaunlichen wahren Geschichte einer Organspende, die
viele heikle Punkte des Israel-Palästina-Konflikts berührt.
Drei Brüder werden in früher
Kindheit getrennt und von ihren Pflegeeltern als Christ, Muslim, Hindu erzogen.
Eines Tages landen sie, als Erwachsene und ohne einander zu erkennen, im selben
Krankenhaus, um dort einer verunfallten Frau, die zufällig - was sie auch
nicht wissen - ihre Mutter ist, gemeinsam Blut zu spenden. Diese Szenerie ist
so abstrus wie schwer allegorisch und zu bewundern ist sie als nach mehr als
zwanzig Minuten erst erscheinender Vorspann-Sequenz in Manmohan Desais durchgeknallter
Bollywood-Komödie "Amar Akbar Anthony". Hier zu bewundern, ab 2:33.
Daran musste ich denken angesichts des
wahren und ganz gewiss kein bisschen komischen, aber auf ähnliche Weise
allegorisch zu nehmenden Falls, von dem Marcus Vetters und Leon Gellers Dokumentarfilm
"Das Herz von Jenin" erzählt. Zwölf Jahre alt ist Ahmed
Khatib, als er im palästinensischen Flüchtlingslager in Jenin im Westjordanland
von einem israelischen Soldaten erschossen wird. Ahmed hat mit einem Plastikgewehr
gespielt, der Soldat hat das missverstanden und geschossen. Ahmed ist nicht
auf der Stelle tot, sondern wird über die Grenze ins Krankenhaus nach Haifa
gebracht und dort für hirntot erklärt. Der Vater wird vor die Frage
gestellt, ob er einer Organentnahme zustimmen will. Nach kurzem Bedenken und
der Besprechung mit religiösen Beratern und Freunden sagt er ja.
Fünf Menschen werden dank der gespendeten
Organe weiterleben können. Und zwar in Israel. Drei von ihnen stellt der
Dokumentarfilm "Das Herz von Jenin" vor, zwei wollten anonym bleiben.
Zur politischen Allegorie taugt das Ganze eben deshalb, weil Ismael, der Vater,
eine Vergangenheit als militanter Kämpfer gegen die israelische Politik
hat. Dennoch stimmt er der Freigabe der Organe ohne Einschränkung zu. Der
Fall sorgt in den Medien für Aufsehen, die Kameras des Fernsehens sind
frühzeitig dabei. Die Fernsehbilder sind nun auch in den Dokumentarfilm
integriert, der die Vorgeschichte noch einmal ausführlich erzählt
und die Schicksale der Beteiligten weiter verfolgt.
Zum zentralen Erzählstrang des Films
wird eine zwei Jahre nach dem Tod Ahmeds stattfindende Reise Ismael Khatibs
zu den drei Empfängerfamilien in Israel. Zu einem Beduinen in der Negev-Wüste
im Süden, zu einer Drusen-Familie im Norden - und, das ist natürlich
der eigentlich spektakuläre Fall: einem orthodoxen Juden in Jerusalem.
Der hatte, noch im Krankenhaus befragt, unverblümt zu erkennen gegeben,
dass ihm das Organ eines Juden für seine Tochter allemal lieber wäre.
Später ruderte er, wenig überzeugend, zurück. Aus seinen Vorurteilen
gegen Araber und Palästinenser macht er freilich nach wie vor keinen Hehl.
"Das Herz von Jenin" ist ein
sehr ambivalenter Film, der vor allem durch seinen gitarresken Musikeinsatz
immer wieder völlig unnötig emotionalisieren will, was ohne dies Zutun
schon interessant genug wäre. Allein für die schwer erträgliche
Szene aber, in der Ismael - inzwischen Leiter eines Kinderzentrums in Jenin
- bei Familie Levinson auf dem Sofa sitzt, lohnt der Kinobesuch. Der reaktionäre
Orthodoxe und der generöse Palästinenser haben sich buchstäblich
nichts zu sagen, was nicht nur daran liegt, dass Ismaels auf der anderen Seite
der Grenze lebender arabisch-israelischer Verwandter dolmetschen muss. Levinson
schlägt vor, Ismael solle doch nach Europa gehen, in die Türkei zum
Beispiel, Arbeit zu suchen. In der Tat hat Ismael immer wieder seine Arbeit
verloren, vor allem jedoch deshalb, weil Israel in Angriffen auf Jenin, ein
Zentrum des bewaffneten Widerstands, die Häuser zerstörte, in denen
sich seine Geschäfte befanden.
Ismael antwortet auf diesen unverschämten
Rat nicht. Nur an seinen Verwandten gerichtet ist seine resigniert-wütende
Antwort: Warum geht Levinson nicht selbst nach Europa? Ansonsten: Schweigen.
Herumsitzen. Ein Dialog scheint nicht möglich. Zaghafte Übergabe eines
Geschenks von Levinson an Ismael Khatib. Er wird es im Film niemals auspacken.
Was bezeichnend ist, nicht für Ismael, sondern den Film. Der schlägt
sich ganz auf die Seite Khatibs und macht einen gerade wegen der von der Musik
untermalten Einseitigkeit, mit der er das tut, seiner eigenen Position gegenüber
reichlich skeptisch.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen
am 06.05.2009 in: www.perlentaucher.de
Das
Herz von Jenin
Israel
/ Deutschland 2008 - Originaltitel: The Heart of Jenin - Regie: Marcus Vetter,
Leon Geller – Mitwirkende: Ismael Khatibs - Prädikat: besonders wertvoll
- FSK: ab 12 - Fassung: O.m.d.U. - Länge: 89 min. - Start: 7.5.2009
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