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Hochzeitspolka
Ein wildes Schland
Es beginnt mit drei hinreißend bissigen Szenen,
die erst mal alles in Trümmer hauen. Zuerst hintergeht der Protagonist
seinen besten Kumpel, ohne mit der Wimper zu zucken, um einen Posten als Geschäftsführer
zu kriegen. Dann erfahren die Eltern, dass besagter Posten in Polen ist, und
der Vater flüstert mit perfekter 1950er-Jahre-Pseudobildungsstimme: »Im
Grunde ist das ein wildes Land« Und dann haben wir die zweifelhafte Ehre,
einem extra importierten Indianerscout dabei zuzusehen, wie er den polnischen
Grenzern die Fährten der illegalen Einwanderer aufspüren helfen soll,
schließlich ist man jetzt die letzte östliche Bastion der EU gegen
– mindestens – die Tartaren.
Der Rest des Plots setzt dann einige Jahre später
ein, um das Schicksal des deutschen Geschäftsführers an der noch immer
gewöhnungsbedürftigen Arbeitsstelle zu zeigen, um die Möglichkeit
einer deutsch-polnischen Verbindung in Form einer Hochzeit zu überprüfen
und, natürlich, um den Protagonisten von seiner zugleich ehrlicheren, aber
auch unendlich peinlicheren Vergangenheit in der Lüneburger Heide einholen
zu lassen.
Man kennt solche Sujets seit Alexander von Humboldt,
oder spätestens seit Karl May: Ein Deutscher bricht auf, um die unzivilisierten
Erdteile zu erkunden und vor allem zu »befreunden«. Diesmal ist
es ausgerechnet Christian Ulmen, der als prototypischer Germane stellvertretend
für uns Daheimgebliebene die Welt erforscht, hier die polnischen Nachbarn
im Fernen und Wilden Osten. Ulmen ist mangels Wandelbarkeit noch immer kein
Schauspieler im eigentlich Sinne des Wortes – und noch immer hat ihm niemand
das Overacting ausgetrieben, er reagiert auf jede Pointe größer
als Oliver Hardy persönlich – aber zu seiner Ehrenrettung: Er hat verstanden,
dass es bei der Interpretation dieser Rolle weniger auf Innovation als auf Wiederentdeckung
von Tradition ankommt: das Doppelkinn, das Theo-Lingen-Stottern, die Hallervorder-Gedenkmimik,
das übertriebene Zurückzucken vor dem weiblichen Körper – einen
derart deutschen Michel hat man seit den 1970ern nicht mehr gesehen. Sein Name,
Frieder Schulz, sagt schon, dass wir in diesem Charakter nicht gerade charakterliche
Subtilitäten erwarte sollten. Er könnte genauso gut Fred Jedermann
heißen. Immerhin gibt es kleinere Aktualisierungen, das neue Michel-Modell
ist gewissermaßen eine Schland-Variante – unter dem drögen
Business-Anzug wartet neuerdings nämlich das AC/DC-T-Shirt. Sonst ändert
sich nix.
Wie schon Lars Jessens gelungene Nostalgie-Komödie
„Am Tag, als Bobby Ewing starb“ in die Vergangenheit wanderte, um die Gegenwart zu
beschreiben, so geht Hochzeitspolka ins Ausland, um die Tiefen der deutschen
Seele zu erforschen. Auch dies gelingt mit einigen hintersinnigen historischen
Anspielungen und Klischee-Umdrehungen, wenn Brandts Kniefall nachgestellt wird
oder die deutschen Einwanderer ein polnisches Auto klauen. Auf einer Meta-Ebene
erkennt man selbst finsterste deutsche Alpträume wieder, nur dass »Ich
hatte nur Küchendienst im Krieg, von der Judensache habe ich nichts mitgekriegt«
sich verändert hat zu »Ich bin ein respektabler Europäer und
würde niemals eure Arbeitsplätze vernichten und/oder in die Ukraine
verlegen«. Anstatt der Kriegsvergangenheit wird die neue Generation nur
von den früheren Rockbandkollegen heimgesucht – immerhin.
Woran also liegt es, dass, obwohl der Film doch offensichtlich
zum Nachdenken angeregt und komplexe Botschaften vermittelt hat, man trotzdem
– wenn auch nur milde – enttäuscht ist von „Hochzeitspolka“? Es liegt an
dem eigentlich anvisierten Genre: „Hochzeitspolka“ will unmissverständlich
eine Komödie sein und zieht auch entsprechend vom Leder. Man muss dafür
dann doch auf manches Klischee, wie die Stripperin beim Junggesellenabschied,
zurückgreifen. Aber solche und ähnliche Situationen entwickeln keine
echte Komik, die Pointendichte bleibt einfach zu spärlich. Es ist nicht so, dass
viele Witze in die Hose gehen würden, es gibt nur eindeutig zu wenige davon.
Für ernstere Momente wiederum fehlt das echte Drama oder die Figurentiefe
(wie gesagt: Frieder Schulz). Ganze Szenen verstreichen so ohne echte Zuspitzung
in Pointen oder Erkenntnissen, ganze Teile des Films verschwinden daher sofort
wieder aus dem Gedächtnis, und im Rückblick wirkt das Ganze denn leider
eher dünn. Jessen und sein Drehbuchautor Ingo Haeb, mit dem
er nach „Am Tag, als Bobby Ewing starb“ erneut zusammenarbeitet, versuchen,
die Völkerverständigung als turbulentes Festival der Missverständnisse,
im Zweifelsfall unter Alkoholeinfluss, zu predigen – solange man nur gemeinsam
lacht, kann es nicht so schlimm sein. Und solange ein Übersetzer vor Ort
ist, der schamlos lügt. Das wäre eine charmante Message, nur leider
ist sie mit zu wenig Gusto vorgetragen.
Daniel Bickermann
Dieser Text ist zuerst erschienen im: schnitt
Hochzeitspolka
D/PL 2010. R,B: Lars Jessen. B: Ingo Haeb, Przemyslaw Nowakowski. K: Marcus Kanter, Michael Tötter.
S: Sebastian Schultz. M: Jakob Ilja. P: Pandora Filmproduktions
GmbH, STI Studio Filmowe (PL). D: Christian Ulmen, Katarzyna Maciag, Fabian
Hinrichs, Waldemar Kobus, Lucas Gregorowicz, Jens Münchow, Alexandra Schalaudek, Klaudiusz Kaufmann u.a.
98 Min. X Verleih ab 30.9.10
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