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Holy Motors
„Wo bleiben nachts eigentlich all die Limousinen?“ fragte gerade erst
Robert Pattinson in David Cronenbergs „Cosmopolis“. Die
Antwort liefert nun Leos Carax‘ neuer Film „Holy Motors“. Da versammeln sich
am Ende des Tages die Stretch-Limousinen der Stadt in einer Garage im Randbezirk,
„Holy Motors“ steht in flackernden Neonlettern über dem Gebäude –
und irgendwie erinnert der Auflauf tatsächlich an eine religiöse Prozession.
Auch das Wunder lässt nicht lange auf sich warten. Als der letzte Chauffeur
die Halle verlassen hat, erwachen die Autos zum Leben und beginnen, über
ihren Arbeitstag zu klagen. Das Gespräch spannt den ganz großen philosophischen
Bogen vom Profanen zum Erhabenen: Arbeitgeber, Fahrtstrecken und, ewiger Klassiker,
der Tod. Die heiligen Maschinen, deren Geist längst unseren Alltag transzendiert
hat und deren Schicksal darin besteht, von immer kleineren Prozessoren ersetzt
zu werden. Mögen sie in Frieden ruhen. Amen.
Diese bizarre Schlusseinstellung fügt sich nahtlos in Carax‘
unberechenbaren kleinen Geniestreich von Film, der trotz zahlreicher Absurditäten
eine geradezu musikalische Melancholie in sich trägt. Der Tod ist ein ständiger
Begleiter von Monsieur Oscar. Neun „Verabredungen“ hat er im Auftrag einer ominösen
Agentur zu erledigen; für jedes Treffen liegt ein kleiner Ordner bereit,
der ihn über seinen nächsten Auftrag informiert. So lässt er
sich im Fond der Limousine von Termin zu Termin befördern, umsorgt von
seiner treuen Chauffeurin Claire. Verlässt er den Wagen, schlüpft
er in eine neue Rolle: eine verkrüppelte Bettlerin, einen besorgten Familienvater,
einen rothaarigen Gnom. Monsieur Oscar verfügt über viele Avatare.
Ein Job führt ihn buchstäblich in die virtuelle Realität. Für
ein Fantasy-Rollenspiel zeichnet er im Motion Capture-Verfahren Martial Arts-Übungen
auf, später hat er mit einer Latex-Gespielin Drachensex.
Dreizehn Jahre liegen zwischen „Pola X“ und „Holy
Motors“, zwischenzeitig hat Leos Carax lediglich einen Beitrag zum Episodenfilm
„Tokyo“ (2008) gedreht. Motive der Episode „Merde“ haben Spuren in seinem neuen
Film hinterlassen, ebenso wie David Lynchs hypnotische Traumgespinste und die
labyrinthische Logik eines Luis Borges. „Holy Motors“, so Carax, sei aus seinem
Unvermögen entstanden, in den Bildern, die ihm vorschwebten, eine Geschichte
zu entdecken. Stattdessen nun also dieser Fundus an opernhaften Tableaus, theatralischen
Miniaturen, existenziellen Stimmungsschwankungen, großen Gefühlen
und so grandiosem wie irritierendem Unsinn. Vorneweg natürlich die Zwergen-Episode,
eine Groteske um einen Modefotografen und sein Supermodel (Eva Mendes) auf einem
Pariser Friedhof. Der als Gnom verkleidete Monsieur beißt der Foto-Assistentin
zwei Finger ab und entführt die Schöne in die Unterwelt, wo er ihr
Designerkleid wie ein Tschador herrichtet und sich schließlich mit erigiertem
Schwanz in den Schlaf singen lässt.
Doch so irrwitzig dieses kleine Zwischenspiel auch klingt, es gehört
nicht einmal zu den stärksten Momenten in „Holy Motors“. Denn im Grunde
ist Monsieur Oscar eine tragische Figur: ein ewiger shape shifter, eine Hülle
ohne eigene Identität. Einem Abgesandten der Agentur (Michel Piccoli) erklärt
er, dass er das Kino vermisse. Die Kameras würden immer kleiner, bis sie
irgendwann unsichtbar seien. Das Gefühl von Tod und Vergänglichkeit
ist im Film allgegenwärtig. Mit einer Kollegin spielt Monsieur Oscar eine
unglaublich bedrückende Sterbeszene durch. Ein anderes Mal tötet er
einen Kriminellen, verwandelt ihn in seinen Doppelgänger und legt sich
zum Sterben neben sein Ebenbild. Nur ist der Tod keine Option, nicht für
ihn.
Hauptdarsteller Denis Lavant, ein alter Bekannter aus früheren Carax-Filmen,
ist mit seinem sehnigen Körper und diesen tiefliegenden Augen, deren Müdigkeit
weder Gesichtsprothesen noch Theaterschminke verbergen können, schon physisch
nicht für eine tragischen Heldentod beschaffen. Ein solches Privileg genießt
nur eine Diva wie Kylie Minogue (hier mit Jean Seberg-Pixieschnitt), die
Lavant beim Schlendern durch die baufällige Pracht der „Samaritaine“-Korridore
ein Liebeslied singt, das die Mauern zum Weinen bringen könnte. Wer waren
wir, was ist aus uns geworden? Die Liebenden haben sich in Monster verwandelt.
Es ist zum Sterben schön. Monsieur Oscar aber muss noch weiter, zu einer
Schimpansenfamilie. Sein leerer Blick aus dem Fenster spricht Bände, am
Ende eines langen Arbeitstages.
Andreas Busche
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Holy Motors
Frankreich / Deutschland 2012 - Regie: Leos Carax - Darsteller: Denis Lavant,
Edith Scob, Kylie Minogue, Eva Mendes, Elise Lhomeau, Michel Piccoli, Jeanne
Disson, Geoffrey Carey, Nastya Golubeva Carax - FSK: ab 16 - Länge: 115
min. - Start: 30.8.2012
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