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Host
& Guest
Letzte
Seufzer
Aus
dem Nichts taucht der sympathische koreanische Independent "Host &
Guest" auf, der einander zwei sehr Fremde sich nahe kommen lässt.
Das
vorletzte Wort im Leben des nicht mehr ganz jungen Filmdozenten Ho-jun (Kim
Jae-rok) lautet um ein Haar standesgemäß "Godard". Es folgt,
kurz vor dem Schwinden des Bewusstseins, noch ein letzter Seufzer: "Und
ich habe keinen einzigen Film gedreht." In die Lage, beinahe letzte und
vorletzte Worte zu sprechen, ist der Mann eher unversehens gekommen. Das Schloss
seiner Badezimmertür ist defekt, er ist drin im Raum und kommt nicht mehr
raus. Das Bad fensterlos, sein Schreien ungehört, die Tür unüberwindbar,
droht Ho-jun im Innern des eigenen Heims zu krepieren. Sein Widerstand gegen
dies Verhängnis ist geringer, denkt man, als er sein könnte - in der
Tat hat er sein Leben gerade in eine formidable Sackgasse geführt. Scheidung
von der Frau, den heiß geliebten Sohn verliert er an sie, selbst sein
Unijob ist bedroht. Wir haben ihn vor dem Badezimmerdesaster schon einsam masturbierend
vor dem Computer und zweisam, aber auch nicht viel glücklicher, mit einer
Prostituierten gesehen.
Und
doch geschieht ein Wunder. Tags zuvor waren Zeugen Jehovas an der Tür.
Ho-jun, der mit Religion nichts zu tun haben will, wimmelt sie ab. Einer der
Zeugen aber, sein Name ist Gye-sang (Kang Ji-hwan) lässt nicht locker und
kommt am nächsten Tag wieder. Er merkt, dass etwas nicht stimmt, sprengt
die Badezimmertür auf und rettet dem unglücklichen Filmdozentenn wenn
nicht die Seele, so doch immerhin das Leben. Weil er wirklich ein arger Stinkstiefel
ist, dankt Ho-jun es ihm kaum, zunächst jedenfalls. Ein bisschen ist der
Film dann, was zu befürchten ist: die Geschichte der Entwicklung einer
sehr unwahrscheinlichen, aber umso wunderbareren Freundschaft.
Ein
bisschen mehr ist der Film das dann aber auch wieder nicht. Unter anderem weil
er ein gutes Auge für merkwürdige Abschweifungen, oder eher noch:
einen Sinn für leicht absurde Randbemerkungen hat. Einmal steht, ohne Plotfunktion,
ein Polizeiauto im Bild und lässt einmal kurz die Sirene aufheulen. Es
folgt daraus aber nichts. Das Nichtsdarausfolgenmüssen ist eine weithin
unterschätzte Tugend in der Kunst des Erzählens; wenn sie, wie hier,
richtig dosiert ist, ist die Begegnung mit funktionslos aus einem Text ragenden
Strängen und Zweiglein eine sehr schöne Sache. Auch sonst ist in diesem
Film fast alles richtig dosiert. Über seinen griesgrämigen Helden
und Möchtegern-Filmregisseur zum Beispiel macht er sich immer wieder auf
sympathische Weise lustig. So nämlich, dass er ihm die Unterstützung
letztlich doch nicht verweigert. Er stellt ihn uns vor als einen, der, im ungelenken
Versuch, ein Gespräch anzufangen, der Verkäuferin im Tante-Emma-Laden
an der Ecke völlig ungefragt Fassbinders "Angst essen Seele auf"
zur Ansicht empfiehlt. Sie hat allerdings andere Sorgen und das war es dann
auch erst einmal mit den beiden.
Seinen
neuen Freund, den Zeugen Jehovas, schleppt Ho-jun ins Kino, einen türkischen
Klassiker zu sehen. Dabei führt er sich selbst dann aber dermaßen
unmöglich auf, dass der Kinobetreiber die Polizei ruft. Das ist alles recht
tragikomisch. Es gibt aber auch Szenen, die vor allem lustig sind: Ein sich
zur veritablen Autoprügelei aufschaukelnder Streit im Taxi etwa. Daran
ist zweierlei sehr bemerkenswert. Erstens die Art, in der der Regisseur Shin
Dong-il auf dem Höhepunkt aus dem Auto in die frontale Außenperspektive
schneidet: Ohne Ton und mit Blick von draußen wird das Ganze zum urkomischen
Puppenspiel. Diesen präzisen Sinn für den oft komisch ausbeutbaren
Sinn, den die Wahl der Einstellung macht, beweist "Host & Guest"
immer wieder. Und zweitens ist auch die Entstehungsursache des Streits signifkant:
Ein älterer Herr preist lautstark die Politik von George W. Bush und Ho-jun
hält das verständlicherweise nicht lange aus. Es ist nicht die einzige
Gelegenheit, bei der sehr konkret Tagespolitisches überraschend ins Bild
kommt. (Schon zuvor einmal landet Sperma im Gesicht von George W.)
Was
man daran auch sieht: Der Film ist nicht sonderlich aktuell, sein Entstehungsjahr
ist 2005. Macht ja eigentlich nichts. Ist auch begrüßenswert, dass
ein so sympathischer wie exzentrischer Sonderling dieser Art aus Korea wenn
auch nur winzig klein in deutschen Kinos zu sehen ist. Unverkennbar allerdings
ist, dass Regisseur Shin in manchem dem wohl wichtigsten zeitgenössischen
koreanischen Auteur Hong Sang-soo nacheifert: vom hoch problematischen filmaffinen
Protagonisten, über ein exzessives Trinkgelage und bis hin zur Lust am
funktionslosen Detail. Allerdings sind Hongs Filme doch von ungleich größerer
formaler Intelligenz und Stringenz. "House & Guest" ist im Grund
seines Herzens sehr versöhnlich gestimmt; ein freundlicher Epigone. Aber
so läuft das dann manchmal: das sehr viel bedeutendere Original wird weiterhin
in deutschen Kinos nicht gesichtet. Eine - wirklich: sehr sympathische - Kopie
taucht aus dem Nichts einfach auf. So sei die Devise: Nehmen wir, was wir kriegen.
Ekkehard
Knörer
Dieser
Text ist zuerst erschienen am 19.11.2009 in: www.perlentaucher.de
Host
& Guest
Südkorea
2005 - Originaltitel: Bangmunja - Regie: Shin Dong-il - Darsteller: Kim Jae-rok,
Kang Ji-hwan - Fassung: O.m.d.U. - Länge: 92 min. - Start: 19.11.2009
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