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Hunger
Im Teufelskreis
der Scheiße
"Hunger" – das Kino-Debüt
des britischen Videokünstlers Steve McQueen zeigt schonungslos, wie
inhaftierte IRA-Terroristen ihren Körper als politisches Kampfinstrument
einsetzen.
Wenn das Kino das Verhältnis von
Staat und Gewalt reflektiert, landet es früher oder später beim Terrorismus.
Wer die Staatsmacht herausfordert, bekommt ihre Gewalt zu spüren. Demjenigen,
der sich ihr entgegenstellt, bleibt nichts übrig, als sich aus der Überzeugungskraft
seines politischen Gedankens zu legitimieren und auf die moralische Unterstützung
der Mehrheit zu hoffen. Der britische Videokünstler und Turner-Prize-Gewinner
Steve McQueen arbeitet sich in seinem Kinodebüt Hunger am Verhältnis von Staat und Gewalt
ab, knüpft jedoch an einem anderen Punkt des Diskurses an. Für ihn
ist die Frage der politischen Legitimation zweitrangig. Wie der Titel nahelegt,
geht es McQueen um eine andere Annäherung. Der Körper spielt eine
zentrale Rolle: als politisches Subjekt sowie als Träger individueller
Freiheit. Der große Hungerstreik der IRA-Häftlinge im Frühjahr
1981 dient McQueen als Vorlage für eine visuell und konzeptuell beeindruckende
Studie über die Bedingungen des politischen Kampfes.
Mitleidsloser Tonfall
Hunger
vermeidet die Rhetorik traditionellen Polit-Kinos. Eingangs gibt es lediglich
eine kurze Erläuterung der Umstände. Ab 1976 befanden sich die Insassen
des berüchtigten Maze-Gefängnisses im so genannten Handtuch-Streik:
Aus Protest gegen die Haftbedingungen weigerten sich die inhaftierten IRA-Mitglieder,
die Anstaltskleidung zu tragen. Zwei Jahre später folgte der „schmutzige
Protest“, dessen Ziel die Anerkennung ihres politischen Status’ war. Noch während
die Titel laufen, befindet sich der Zuschauer mitten im Geschehen, angefeuert
vom rhythmischen Trommeln der Gefangenen. McQueen unterstreicht schon mit seiner
Eröffnung, dass er Wert auf formale Strenge legt. Ton spielt hier eine
ebenso wichtige Rolle wie Bildgestaltung. Hunger arbeitet bevorzugt mit Mitteln der künstlichen
Überhöhung. Passagen der Stille und lange Einstellungen erinnern an
die Ästhetik von Video-Installationen und erzeugen frostige Distanz. Die
Reserviertheit wird mit Bildern exzessiver Gewalt kontrastiert.
Das Regime im Maze-Gefängnis zielt
auf Entmenschlichung ab. Der mitleidslose, leicht leiernde Tonfall in Margaret
Thatchers Stimme liefert den atmosphärischen Hintergrund für die gezielten
Übergriffe des Wachpersonals auf die inhaftierten IRA-Mitglieder und deren
Wortführer Bobby Sands, den Michael Fassbender bis an die Grenzen seiner
körperlichen Leistungsfähigkeit spielt. Bei Ankunft werden die Gefangenen
ihrer Kleidung entledigt und brutal untersucht. Der Spießrutenlauf gehört
zum Gefängnisalltag. Wer Gegenwehr zeigt, wird Opfer von Übergriffen.
Der Film führt diese in schonungsloser Direktheit vor. Das Ausmaß
der Gewalt ist ein Schock, aber der erfüllt eine wichtige Funktion. So
marginal McQueen die unmittelbaren politischen Zusammenhänge interessieren,
umso genauer richtet sich sein Blick auf die Mechanismen der staatlichen Zurichtung,
in der persönlicher Sadismus und strukturelle Gewalt auf perfide Weise
zusammenfallen. Einen der Wärter hebt er exemplarisch hervor, verleiht
ihm so etwas wie eine Persönlichkeit – die aber aus nicht mehr als Routine
besteht. An diesem Punkt kommt der Film leider nicht weiter.
Umso verstörender sind die Bilder
aus dem Gefängnistrakt, die an Pasolinis Höllenkreis
der Scheiße aus
Die
120 Tage von Sodom
gemahnen. Die Zellenwände sind mit Exkrementen beschmiert, wie Höhlenzeichnungen
aus der Frühphase der kindlichen Entwicklung. Regression als Protest. In
der dunklen Ecke des Raumes häufen sich faulige Essensreste; Baumaterial
für „Staubecken“, die die Häftlinge vor ihren Türen errichten.
Diese werden täglich mit Urin gefüllt, der sich durch den Türschlitz
in den Gefängnistrakt ergießt. Die Wärter müssen die Zellen
mit Atemmaske betreten, um die Wände mit Hochdruckreinigern zu kärchern.
Danach beginnen die Insassen ihre Schmierereien von vorne. Ein ewiger Kreislauf.
Ursprüngliches Element
Steve McQueen, ganz visueller Künstler,
findet in diesen wiederkehrenden Abläufen eine formale Schönheit.
Man mag das verwerflich finden, aber es macht das Szenario manchmal erträglich.
Einmal bewegt sich ein Wärter beim Streuen von Desinfektionsmitteln aus
der Tiefe des Raumes auf die Kamera zu. Als er fertig ist, kehrt er an das Ende
des Gangs zurück und beginnt, die Lachen aus Pisse sorgfältig abzuziehen,
bis er wieder im Vordergrund angekommen ist. Dreieinhalb Minuten dauert diese
Einstellung, die schließlich in das unheilvolle Genörgel Thatchers
übergeht. So muss man sich die Hölle wohl vorstellen.
Im Bild der nackten Gefangenen, reduziert
auf ein Häufchen Mensch, in seiner Höhle aus Kot und Urin, klingt
Giorgio Agambens Figur des Homo sacer an. McQueen vermisst mit Hunger das Verhältnis von Souverän
und Individuum. „Nicht das einfache natürliche Leben,“
schreibt Agamben, „sondern das dem Tod ausgesetzte Leben ist das ursprüngliche
politische Element.“ Bei McQueen wird der gnadenlos entwürdigte Mensch
zum politischen Subjekt. Er ist mehr als bloß Märtyrer. Sein Körper
bleibt die letzte Domäne, die dem Zugriff der staatlichen Instanzen verwehrt
ist. Indem die Häftlinge das Waschen verweigern und mutwillig ihre Exkremente
verschmieren, errichten sie um sich eine Art Schutzwall. Sie bemächtigen
sich ihrer eigenen Körper und ziehen eine symbolische Grenze zwischen sich
und der Einflusssphäre des Staates.
Ähnlich argumentiert später
im Film Sands, wenn er gegenüber einem katholischen Priester den politischen
Kampf bis zur Selbstaufgabe, dem Hungerstreik, verteidigt. Dieses 22-minütige
Gespräch, von denen 17 Minuten in einer einzigen statischen Kameratotalen
gedreht wurden, stellt den Dreh- und Angelpunkt des Films dar. Die beiden Männer,
zwei irische Kodderschnauzen, sitzen sich an einem Tisch gegenüber und
nähern sich über den Smalltalk dem Wesentlichen. McQueen hat die Politik
seines Film in dieser Szene gebündelt,
die trotz der Wortlastigkeit einen hochgradig formalen Aufbau hat. Spätenstens
ab diesem Punkt zieht der Vorwurf der politischen Parteinahme nicht mehr. Fassbender
ist ein sagenhafter Charismatiker, aber sein glühender Fanatismus, die
Opferbereitschaft bis zum bitteren Ende, ohne Rücksicht auf Verluste, diskreditiert
auch das Menschenbild der IRA.
Steve McQueens langjährige Faszination
für Sands wird erst im Schlussdrittel evident, wenn sein Film in die Ästhetik
eines Passionsspiels verfällt. Tatsächlich sind Parallelen zwischen
Hunger
und Mel Gibsons Die
Passion Christi nicht
von der Hand zu weisen. Beide stellen das körperliche Leiden in einen höheren
Sinnzusammenhang (wobei hier kein Wort darüber verloren werden muss, dass
Gibson nicht annähernd über das visuelle Repertoir McQueens verfügt).
So neigen die letzten Bilder eines abgemagerten und von Ekzemen und Geschwüren
übersäten Sands, gehüllt in leichte Tücher, zu hoffnungsloser
Verklärung. Dabei ist der Messias gerade in der politischen Allegorie eine
eher fragwürdige Erscheinung.
Andreas Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: Freitag
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Hunger
Großbritannien
/ Irland 2008 - Regie: Steve McQueen - Darsteller: Michael Fassbender, Liam
Cunningham, Stuart Graham, Laine Megaw, Brian Milligan, Liam McMahon, Karen
Hassan, Frank McCusker - FSK: ab 16 - Fassung: O.m.d.U. - Länge: 91 min.
- Start: 13.8.2009
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