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Hunger
Der Videokünstler Steve McQueen
gestaltet in seinem ersten Spielfilm "Hunger" das Schicksal des IRA-Kämpfers
Bobby Sands als Triptychon.
"Hunger", das Spielfilmdebüt
des Videokünstlers Steve McQueen, erzählt eine wahre Geschichte aus
den finstersten Zeiten des Nordirland-Konflikts. Die wahre Geschichte des IRA-Mannes
Bobby Sands, die im Jahr 1981 spielt, entfaltet der Film nach einem kurzen Prolog
in der Außenwelt zum Triptychon in drei sehr unterschiedlich konzipierten
Altarflügeln, vom Betreten der Hölle zur Auffahrt in die Märtyrergeschichte.
Diese drei im Film aufeinander folgenden Flügel seien hier kurz beschrieben:
Auf dem linken Flügel sehen wir den
Eintritt von Sands (Michael Fassbender, zu allem bereit) in den Raum, in dem
er die Hoffnung fahren zu lassen schnell lernt, einen Raum, aus dem er auf dem
Weg, auf dem lebende Menschen Räume verlassen, nicht mehr entkommen wird.
Sands kommt in den Knast. Man sperrt ihn,
als er sich weigert, die Anstaltskleidung zu tragen, mit einem anderen Gefangenen
nackt, nur im härenen Überwurf, in eine Zelle. Sie hat ein Fenster
zum Licht, ist selbst aber umso mehr ein Reich der Dunkelheit, darin die Grenzen,
deren Aufrechterhaltung das Menschliche ausmacht, zerfließen.
Das ist wortwörtlich und buchstäblich zu verstehen. Alles, was Gestalt
war, wird hier zersetzt in Teile von Körpern, in Schläge, in bloße
zerstörerische Bewegung. Im Gegenzug gewinnt das Zersetzte neue, andere,
in seiner Schönheit groteske Gestalt. Wieder und wieder mustert die Kamera
die eigentümliche Kreise und Ornamente an der Wand: Sie sind, wie man bald
begreift, nichts anderes als verschmierte Scheiße. Nicht nur die Fäkalien,
sondern auch die Nahrung erscheint merkwürdig amorphisiert, ein Brei von
grenzwertiger Stofflichkeit, der etwa an die Materialstudien des Künstlers
Dieter Roth gemahnt. Alles ist auf diesem dunklen, wie durch tiefrot getönte
Kirchenfenster beleuchteten linken Flügel des Films auf seine Materialität
reduziert. In einer lang ausgespielten Szene tönt auf dem leeren Gefängnisflur,
von dem die Pisse gewischt wird, aus dem Radio die Stimme Margaret Thatchers
hinein in die Hölle. Es muss die Stimme des Antichrist
sein.
Auf dem mittleren Flügel sehen wir
zunächst aus mittlerer Distanz die folgende Einstellung: An einem Tisch
im Gesprächszimmer des Gefängnisses sitzt, mit nacktem Oberkörper,
links Bobby Sands, rechts ein Priester, der frühere Protestaktionen der
IRA unterstützt hat. Den Plan, den Sands nun entfaltet,
hält er jedoch für reinen selbstmörderischen Wahnsinn. Geplant
ist ein Hungerstreik, der fortgesetzt wird, bis die Thatcher-Regierung einlenkt.
Anfänglich geht der Dialog zwischen den beiden, das eigentliche Thema vermeidend,
hin und her. Die Kamera bleibt starr und ergreift keine Partei. Wie Pingpong-Bälle
fliegen die Dialoge. Dann aber geht es zur Sache. Du machst dich zum Anführer
eines Himmelfahrtskommandos, ich kann dich dabei nicht unterstützen. Scharf
kritisiert der Priester den zu allem entschlossenen Sands. Dann macht die Kamera
einen Schnitt auf das Gesicht des Gefangenen, der nun eine Geschichte, eine
Art Gleichnis, aus seiner Kindheit erzählt. Es geht um ein verletztes,
Schmerzen leidendes Fohlen, das zu töten einst einzig Bobby Sands den Mut
hatte. Während er dieses Gleichnis erzählt, verbleibt die Kamera die
ganze Zeit auf seinem Gesicht. Sie ergreift Partei, was nur noch deutlicher
wird, wenn sie zuletzt doch noch einmal kurz umschneidet auf den Priester: Der
hat nichts zu entgegnen, sitzt am Tisch und schweigt. Damit ist das Schicksal
des Bobby Sands besiegelt.
Auf dem rechten Flügel erleben wir
Bobby Sands' Tod, Auferstehung und Himmelfahrt. Eine Transsubstantiation des
Körpers, der hier in der Art seiner Inszenierung zum sakralen Körper
wird - die Frage, wie er als eben solcher politisch noch oder gerade wieder
funktionalisierbar wäre, lässt "Hunger" offen. Während
er auf dem linken Flügel kein Subjekt mehr war, sondern die Erniedrigung
selbst, abjekt im Abjekten, während er im Mittelflügel seine Diskursivität
und eine politische Position wiedererlangte, wird der Körper von Sands
nunmehr zum Märtyrerkörper in möglicherweise machtvoller Passivität.
Mit offenen Augen zeigt Steve McQueen, was es heißt, Hungers zu sterben.
Mit bloßem Abmagern ist es mitnichten getan. Wir sehen die Wundmale an
Sands Körper, wir sehen ihn Blut speien, wir sehen ihn umkippen, wir sehen
seine Visionen von auffliegenden Vögeln. Also sehen wir Sands einerseits
elend verenden. Gefilmt aber ist das in fast stummer Abfolge von seltsam lichten
Sequenzen. Der Film, der nun ganz und gar mit Sands selbst identifiziert ist,
verklärt den sterbenden Körper des IRA-Kämpfers. Willig folgt
er ihm, in idyllischen Kindheitsvisionen, aus dieser in eine andere Welt.
Die historischen Fakten, wie sie in Chroniken
verzeichnet werden, sind reduziert auf den Vor- und den Abspann. Einzig die
Stimme des Antichrist ertönt im dritten
Flügel des Triptychons ein weiteres Mal.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen am 12.08.2009 in: www.perlentaucher.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Hunger
Großbritannien
/ Irland 2008 - Regie: Steve McQueen - Darsteller: Michael Fassbender, Liam
Cunningham, Stuart Graham, Laine Megaw, Brian Milligan, Liam McMahon, Karen
Hassan, Frank McCusker - FSK: ab 16 - Fassung: O.m.d.U. - Länge: 91 min.
- Start: 13.8.2009
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