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I
Can’t Think Straight
Doppelfehler
Der lesbische Film tendiert ja seit Jahren
zur Konfliktlosigkeit, Romantisierung, Erotisierung und irgendwie auch Bagatellisierung.
Ausnahmen wie Raus
aus Åmål
oder Water
Lilies in allen Ehren,
aber Filme wie Better
Than Chocolate oder
When Night is Falling bedienen doch immer wieder das Schema
F: Zwei übermäßig schön anzusehende junge Damen räkeln
sich in lasziven Umgebungen und kunstsinnigen Körperkontaktentschuldigungen
wie leichtem Sport oder Ausdruckstanz, bis sie zu dem Ergebnis kommen, dass
sie zu ihrer Homosexualität stehen müssen, es ihrer Familie sagen
und schlussendlich glücklich weiterknutschen dürfen.
I Can’t Think Straight hätte das Potential gehabt, dieses
Schema zu transzendieren: Ein trikultureller Plot zwischen Jordanien, Indien
und England mit muslimischen und christlichen Protagonisten verspricht Originalität
im lesbischen Genre. Aber von dem vermeintlichen kulturellen Sprengstoff bleibt
nur eine dünne und schnell vergessene Patina aus Alibipolitik. Stattdessen
entsteht durch eine oberflächliche Telenovela-Ästhetik in pittoresken
britischen Landhäusern und sonnendurchfluteten Loftbüros und durch
die gestelzten Dialoge und sich sinnlos hinziehenden Szenen eine Art jordanisch-britisch-indische
Reich und schön-Variante, komplett mit klischierten Nebenfiguren wie den
hyperkonservativen Müttern, der shoppingfixierten, intriganten Schwester,
dem karrieregeilen Schwager – selbst die Hauptfiguren bleiben im Stereotyp stecken:
Sheetal Sheth bleibt als schüchternes Mädchen aus der reichen indisch-muslimischen
Familie, die sich in den britischen Landadel hochgeschuftet hat, zwar halbwegs
fehlerfrei, kann aber auch nicht glänzen. Lisa Ray derweil versucht sich
als vermutlich noch reichere jordanisch-christliche, burschikose Draufgängerin,
die Verlobungen bricht wie andere Leute Brot, in schmollmundigem, spitzfindigem
Dialogwitz. Einige Male landet sie damit Treffer, aber zu häufig stolpert
sie auch über das eigene Rapier: Das Drehbuch gibt einfach die Schlagfertigkeit
nicht her, die sie gerne für ihre Figur hätte. Die beiden Schauspielerinnen
standen schon für Sarifs Regiedebüt Die
verborgene Welt als lesbische
Hauptfiguren vor der Kamera, mit ähnlichem Effekt.
Shamim Sarif will auch in ihrem zweiten
Spielfilm wieder eine Perfektion vortäuschen, die weder notwendig noch
besonders schmeichelhaft ist. Stellvertretend für den ganzen Film versucht
die Regisseurin, das Tennisspiel der beiden Schauspielerinnen als atemberaubenden
Ballwechsel zu montieren, aber die Schnitte sind zu offensichtlich verfälschend,
Winkel und Geschwindigkeiten passen nicht zueinander, und zu deutlich erkennt
man, dass die beiden Darstellerinnen einfach nicht besonders gut spielen, sondern
den Ball nur von sich fortdreschen. Es ist weniger dieses Unvermögen der
Figuren, das uns als Zuschauer stört – sie könnten trotzdem ein wirklich
nettes Pärchen abgeben. Aber die Perfektion, die die Regisseurin ihnen
unterschieben will, bekommt ihnen nicht. Ähnliches passiert beim Polo,
einem Sport, von dem sich die Macher wohl sicher sind, dass ihn sowieso kein
Zuschauer kapiert, weswegen man einfach ein paar elegant aussehende Momentaufnahmen
zusammenmontiert, mit reißerischer Musik unterlegt und zu einer spannenden
Sportsequenz erklärt. Aber wer glaubt das? Diese technischen Amateurfehler
überraschen vor allem, weil die Montagesequenzen ohne die beiden Hauptdarstellerinnen
vom britischen Editorveteranen David Martin oft ausgezeichnet gelöst wurden
und voller Esprit zwischen kleinen persönlichen Details und großen
Momenten zum Beispiel einer Hochzeitsvorbereitung hin- und herschneiden können.
Es bleibt der Verdacht, der Regisseur hätte vor allem in der Hauptplotlinie
einfach nicht genug interessantes Material geliefert.
Aber das Problem liegt tiefer, ist geradezu
ideologisch: Intimität wird hier nur behauptet, der Zuschauer erhält
keine Gelegenheit, sie selbst zu entdecken. Die vermeintliche Anziehung der
beiden Figuren zueinander kommt aus dem Nichts, sie ist bestenfalls genauso
oberflächlich sexualisiert wie die Ästhetik des Films und schlimmstenfalls
einfach willkürlich. Aber, und hier lauert die eigentliche Crux: Der Film
will die beiden einander gar nicht begehrenswert machen. Er will, dass wir sie
begehren. Das schließt sich natürlich nicht gegenseitig aus, aber
Sarif ersäuft den Film in schmachtenden Blicken für seine Protagonistinnen,
die so aufdringlich, teilweise sogar grenzvoyeuristisch sind, dass man ihnen
als Zuschauer irgendwann nicht mehr folgen möchte. Es ist die Vorgehensweise
der Pornographie, Charaktere zu zeigen, die ohne sichtbaren Grund nur aufeinander
gewartet zu haben scheinen. Und obwohl I
Can’t Think Straight keineswegs
pornographisch ist, folgt er einer ähnlich unglücklichen und letztlich
ähnlich erfolglosen Strategie – zu simpel und klischeehaft sind die Motive
der Figuren, zu schamlos die Manipulation mit romantischer, trauriger oder erotischer
Holzhammermusik. Der Film hat ein Glaubwürdigkeitsproblem.
Immerhin, es gibt einige amüsante
Momente durch schön ausgedachte Nebenfiguren: die jordanische Dienerin,
deren Hauptziel darin besteht, der zickigen Mutter des Hauses buchstäblich
in die Suppe zu spucken, deren so präparierte Getränke und Speisen
aber immer wieder in letzter Sekunde ihr Ziel verfehlen. Oder die Väter
der beiden, die auf das lesbische Coming Out der Töchter schon mal reagieren
mit: »But I’ve only been away for half an hour.«
Ansonsten bleiben nur Popmusikmontagen
von jungen kaffeefarbenen Frauen in knappen weißen Tennishosen, die durch
Marmorhallen und Moscheen jetsetten, um sich in Zeitlupe das Tennisdress wieder
auszuziehen. Die Locations bleiben Postkarten, der Himmel ist immer strahlend
blau und von einzelnen Wolkenstrahlen durchzogen, und selbst in der englischen
»Originalfassung« herrscht eine komisch flache Nachsynchronisation,
die aus jedem Wort ein Schlafzimmergeflüster macht. Und so wird erst zu
romantischer Gitarrenmusik auf den eigenen und später zu noch romantischeren
auf den fremden Lippen herumgebissen, und zur Abwechslung gibt es mal nicht
Ausdruckstanz und Body Painting, sondern Bauchtanz und schmachtende Poesie.
Wer wirklich eine originelle lesbische Dialogkomödie mit tollen Onelinern
sehen will, sollte einen Videothekar seines Vertrauens nach Kissing Jessica
Stein fragen.
Daniel Bickermann
Dieser Text ist zuerst erschienen im: schnitt
I Can't Think Straight
GB 2007. R,B: Shamim Sarif. B: Kelly Moss. K: Aseem Bajaj. S: David Martin. M:
Raiomond Mirza. P: Enlightenment Productions. D: Lisa Ray, Sheetal Sheth, Dalip
Tahil, Antonia Frering, Anya Lahiri, Rez Kempton, Amber Rose Revah, Daud Shah
u.a.
80 Min. Pro-Fun ab 16.4.09
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