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Ichi
- Die blinde Schwertkämpferin
Ein
Schwert, ein Stock, ein Damenunterrock
Wer eine »Hamlet«-Inszenierung
besucht, gleichgültig ob im Theater oder auf Film, tut dies aller Wahrscheinlichkeit
nach nicht, um sich von den Plotwendungen überraschen zu lassen. Längst
achtet man weniger auf die altbekannte Handlung als vielmehr auf die Variationen
und die Zwischentöne, die immerneuen Bedeutungen, die der immergleiche
Stoff annehmen kann. Dies gilt insbesondere für modernere oder interpretatorische
Inszenierungen, wenn Hamlet beispielsweise als weiblicher Charakter von Sarah
Bernhardt, Anna Dickinson oder Angela Winkler verkörpert wird.
Eine direkte Parallele erlebt man nun
in der aktuellen Variation des »Zatoichi«-Stoffs nach der legendären
Romanvorlage von Kan Shimozawa, in der Drehbuchautor Kan Shimosawa und Regisseur
Fumihiko Sori die Titelrolle als junge Goze-Sängerin interpretieren statt
wie üblich als angegrauter Landstreicher und/oder Masseur. Die Kenner werden
die Versatzstücke des bekannten Stoffs erkennen: das im Blindenstock versteckte
Schwert, der berühmte Rückhandschwung, der Ausflug in die Würfelhalle,
die marodierenden Gaunerbanden, die ein unschuldiges Dorf terrorisieren – dies
alles sind feste Motive, die so sicher kommen wie der Selbstmordmonolog auf
Helsingör.
Nun gehen Shimosawa und Sori mit dem großen
Nachteil ins Rennen, dass der japanische Großmeister Takeshi Kitano erst
vor wenigen Jahren einen ebenso ikonoklastischen wie mehrheitsfähigen Zatoichi vorgelegt hat, der als wegweisende Neuinterpretation
gelten darf. Und aus diesem Schatten kommen die Macher auch durch den Geschlechterwechsel
der Hauptfigur nicht heraus. Sicher, Kameraneuling Keiji Hashimoto gelingen
fabelhafte Bilder von verschneiten Landschaftspanoramen, er hält die elegante
Stilisierung gemeinsam mit einem beinahe irreal schönen Setdesign und pittoresken
Kostümen bis in die Kampfsequenzen hinein aufrecht. Die entschieden unjapanische
Musik der Weltreisenden Lisa Gerrard ist ebenso interessant. Letztlich aber
haben Schauspieler und Drehbuch der simplen Schwarzweißmalerei des alten
Plots nicht viel hinzuzufügen: Haruka Ayase mag schön und mysteriös
wirken, sie hat aber einfach nicht die wettergegerbte, traurige Tiefe, die man
von dieser ikonischen Figur erwartet und die man hier schmerzlich vermisst;
Takao Osawa kommt als ihr Sidekick nicht mal dann aus der Tollpatschigkeit heraus,
als sich sein Charakter zum heimlichen Helden wandeln soll, und Shido Nakamura,
der als Oberbösewicht Banki wie eine aufgedunsene japanische Tarantino-Variante
aussieht, vergisst vor lauter Grimassenschneiden und abfälligem Schnaufen
jeglichen Schauspielauftrag. Vor allem aber fehlt die Sympathie: Bei Kitano
waren die Trottel und die Transvestiten, die Infantilen und Invaliden noch die
eigentlichen Helden, Zatoichi war nur ihr ebenso abgerissener Erwecker. In dieser
Neuversion dagegen bleiben selbst die Heldenfiguren Reißbrettideen ohne
echten Empathiewert.
Inszenatorisch immerhin ist Ichi
faszinierend, weil Editor Mototaka Kusakabe den modernen japanischen Schnittstil
auf die Spitze treibt: Er hält geduldig die gemäldeartigen Einstellungen,
die den Zuschauer in falscher Sicherheit wiegen und den Kontrast zum zwangsläufig
kommenden Jump Cut noch verstärkt (der in diesem Genre idealerweise gleich
auch von einem tatsächlichen Schwertschnitt begleitet wird); er springt
bevorzugt vom Close Up in die Total und vom langen Panorama ins minutiöse
Detail, von kalter weißer Schneelandschaft in rotgefärbte Schlafzimmer,
von Dunkelheit zur blendenden Überbelichtung, von Romantik zu Demütigung
und zurück. Es ist das Kino der Kontraste, das den westlichen Zuschauer
manchmal schockiert und manchmal erleuchtet.
Regisseur Sori versucht sich derweil mit
inszenatorischen Anklängen an Kurosawa und Leone, dieser ewigen ost-westlichen
Bruderschaft – selbst vor einem Doppelgesichtsbild à la Bergman schreckt
er nicht zurück. Wäre doch nur die Geschichte ebenso ambivalent und
vielseitig ausgefallen wie die Form. So bleibt Ichi nicht mehr als eine hübsch anzusehende,
aber letztlich apokryphe Kuriosität im »Zatoichi«-Kosmos, die
der eine oder andere Freund des Genres interessiert zur Kenntnis nehmen wird.
Die Neulinge in der Kunst des blinden Schwertkampfs sollten sich dagegen erstmal
den Klassikern zuwenden.
Daniel Bickermann
Dieser Text ist zuerst erschienen im: schnitt
Ichi
- Die blinde Schwertkämpferin
Ichi.
J 2008. R: Fumihiko Sori. B: Kan Shimosawa. K: Keiji Hashimoto. S: Mototaka
Kusakabe. M: Lisa Gerrard. P: FUNimation Entertainmen,
Rapid Eye Movies, Shochiku Company u.a. D: Haruka Ayase, Shido Nakamura, Yôsuke
Kubozuka, Takao Osawa, Kazuma Chiba, Akira Emoto, Yoshihiro Ishizuka, Mitsuki
Koga u.a.
120 Min. Rapid Eye Movies ab 14.5.09 (D)
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