zur startseite
zum archiv
I’m
not there
Make
your own Bob Dylan
Auf den ersten Blick ein allzu entschwebtes,
chaotisches, vielsilbiges, überlanges Etwas von einem Biopic. Unnahbar,
nicht greifbar: Sechs Bob Dylans gibt es hier,
sie sind jung, sie sind alt, mal groß, mal klein, mal weiß, mal
schwarz, mal in Schwarzweiß, mal in Farbe. Jeder kann ein Bob Dylan sein.
Und diese sechs versprengten Bob Dylans befinden sich in sechs versprengten
Episoden, innerhalb eines unwägbaren Wirrwarrs ohne Fixpunkt, einer Verflechtung
nicht zurückverfolgbarer Fäden. Der Film entbehrt also jeglichen irdischen
Erzählflusses und ist eine einzige große Collage, abgehoben und doch
zu geerdet, um lynchesk zu sein. Ein Song laufe von alleine, heißt es
hier. Und beileibe das tut Haynes’ Werk auch. Es bewegt und bewegt sich. Nur
wohin läuft es?
Es obliegt ganz und gar den ersten Eindrücken,
sich daran abzuarbeiten. Das Auge nimmt die Form wahr, begreift aber nicht,
was sie sich dabei gedacht hat. Warum nennt eine Biographie den versechsfachten
Biographisierten nicht, wirklich kein einziges Mal, beim Namen? Und wenn Bob
Dylan not there ist, wo ist er dann? Phrasenhafte Antwort:
überall und nirgendwo. Bob Dylan ist nicht zu verorten, Bob Dylan ist ein
Gespenst und Chamäleon. Am ehesten erinnert das Konzept, das eben nur anfänglich
konzeptlos erscheint, an eine multiple Persönlichkeitsstörung. Verschiedene
Identitäten ein und derselben Person. Das klingt zugegeben doch wieder
irgendwie nach David Lynch und seinen Multiplikaten. Und der Gedanke verflüchtigt
sich nicht unbedingt in Anbetracht „stream of consciousness“-gleicher, fragmentarischer
Szenen. Allerdings herrscht hier keine Gewaltherrschaft der Entgrenzung wie
bei Lynch.
Todd Haynes hat kraft Abstraktion einen,
seinen Weg zu Bob Dylan gefunden. Es muss einem nicht gefallen, wie Haynes -
anders als beispielsweise Anton Corbijn im nahezu zeitgleich entstandenen gedankenschweren
„Control“ - die chronologische Geradlinigkeit
eines Biopics auflöst, wie sorgfältig die Zusammenhangslosigkeit stilisiert
ist, er hin und wieder starke Kunstbeflissenheit an den Tag legt und wie er
manchmal der Weitschweifigkeit und Überfüllung verfällt; man
kann und wird nicht alles, was zu sehen ist, jede Anspielung, jede Metapher,
jeden Hintergrund, sofort verstehen. Trotzdem hat man nicht das Gefühl,
„I’m not there“ verliere sich im Nichts. Die unterschiedlichen Bob-Dylan-Identitäten
ergeben als Puzzlemotive durchaus einen Sinn. Vielleicht kann zwar doch nicht
jeder Bob Dylan sein, aber: jeder kann sich einen entwerfen. Bastel Dir Deinen
eigenen Bob Dylan! Genau die richtige Mischung aus dem schwarzen, trampenden
und vagabundierenden Bob Dylan, dem privaten Bob Dylan, dem philosophierenden,
sinnierenden und schlagfertigen Bob Dylan, dem wildwestromantischen Bob Dylan
oder dem Rockstar Bob Dylan. Und wenn man der Anweisung folgt, ist das fertige
Portrait dann ein einzigartiges und so self-made wie Dylans Musik.
Die ist mal so, mal so, mal folkiger,
mal rockiger, aber immer ehrlich. Ohne Seele geht es nicht. Es ließe sich
viel über Bob Dylans Musik schreiben, wenn es entsprechende Worte gäbe.
Sie lieber einfach für sich sprechen zu lassen, das drückt Todd Haynes
weniger über die Musik aus, als vielmehr über den großartigen,
strubbligen Cate Blanchett’schen Bob Dylan, der sich nicht als Folk-Musiker
oder politische Protestfigur vereinnahmen lässt, wie es auch der Film mit
keiner Bob-Dylan-Identität tut. Die Musik einfach Musik sein lassen.
Daniel Szczotkowski
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
I'm
not there
USA
2007 - Regie: Todd Haynes - Darsteller: Christian Bale, Cate Blanchett, Heath
Ledger, Richard Gere, Julianne Moore, Michelle Williams, Ben Whishaw, Charlotte
Gainsbourg, Marcus Carl Franklin, David Cross - FSK: ab 12 - Länge: 135
min. - Start: 28.2.2008
zur startseite
zum archiv