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Im
Sog der Nacht
Mit
einem Ohr im Grab
Was sagt man zu einem jugendlichen Nachbarn,
der gerade versucht hat, sich mit einem alten Armeegewehr den Schädel wegzublasen
und der sich statt dessen aus lauter Unvermögen
nur ein Ohr abgeschossen hat? »Ich mag Dich jetzt schon«, feixt
der Draufgänger Chris den blutenden Trottel an. Später wird er den
schüchternen Roger schon mal »unseren kleinen van Gogh« nennen.
»Ein Film von Markus Welter«
prangt vor und nach dem Film auf der Leinwand, und selten war diese schon immer
umstrittene Aneignung eines »Filmautoren« irreführender als
hier. Denn der Film Im
Sog der Nacht, von Welter
durchaus routiniert inszeniert, von Kameramann Pascal Rémond wunderschön
Schwarz auf Schwarz beleuchtet, von Michael Sauter mit einer exzellenten Musik
unterlegt und von einem Trio junger Schauspieler streckenweise furios gespielt,
schuldet seine massiven Qualitätsschwankungen keinem der bisher Genannten,
sondern allein Moritz Gerber und seiner teils ausgezeichneten, teils unerträglichen
Drehbuchadaption des Romans von Fredrik Skagen. Gerbers Drehbuch erinnert dabei
an den Protagonisten: Das eine Ohr für die Alltagssprache ist intakt und
scheinbar sehr alert, das andere scheint vollkommen zerstört.
Wenn die Dialogexperimente gutgehen, dann
hört sich das so an: Trifft ein maskierter Bankräuber auf ein Ehepaar
mit Tochter. Er schaut die drei an und verkündet trocken: »Ein Einzelkind?
Das sollten Sie sich nochmal überlegen. Werden immer Zyniker. Bin auch
ein Einzelkind.« Da zückt man dann
als Zuschauer schon mal den Hut vor so viel Originalität der Figur und
soviel geschickter Doppelbödigkeit des Drehbuchs. Auch der Gedanke, dass
beim angespannten Streit im Fluchtauto plötzlich einer furzt und lauthals
prahlt: »Der stand schon die ganze Zeit quer«, das ist schon ganz
großes Drehbuchtennis.
Wenn Gerbers Skript dagegen versagt, dann
bricht es gleich metertief ein in klischierte Dialoge wie aus den Klassenkampfdramen
der 1930er Jahre: »Tausend Träume und Wünsche und jeden Tag
einer mehr. Davon geht auch nichts in Erfüllung«, seufzt dann einer,
und ein anderer antwortet: »Hör auf zu jammern. Heute ein neues Auto
und morgen die ganze Welt. So ist das.«
Erschrocken fällt dem Zuschauer angesichts soviel Künstlichkeit und
mangelnden Dialoggespürs die Kinnlade in den Schoß. Kein Subtext,
nirgends.
Zwischen diesen beiden Polen schwankt
zwangsläufig der ganze Film: Streckenweise wirkt er schlimm und ausgedacht,
dann wieder überraschend smart und originell. Anfangs meint man sich überrollt
von einer völlig unrealistischen Talfahrt, in der wir den noch unbekannten
Protagonisten von Party zu Partydrogen zu Trickdiebstahl zu Autodiebstahl zu
Bankraub folgen sollen – innerhalb von nur zehn Minuten ist das selbst für
ein deutsches »Wir sind jung und perspektivlos«-Drama rekordverdächtig.
Anschließend wiederum stellt sich die Bankraubidee als gar nicht so blöd
und an den Haaren herbeigezogen raus, wie man das im deutschen Kino sonst gewohnt
ist. Stattdessen werden die Spannungen innerhalb des Dreiergespanns nach vollbrachter
Tat genauer beleuchtet, und auch diese vermeintlich vorhersagbare Klischeekonstellation
aus dem gefährlichen Pärchen mit sensiblem Überschussmann endet
nicht so wie man das erwartet hätte. So stolpert das Drehbuch, und mit
ihm der Film, abwechselnd durch Stadien der Verzückung und der Erbärmlichkeit;
es wirkt voller Potential, hätte aber vielleicht noch ein paar weitere
Korrekturfassungen vertragen können, um die teils haarsträubenden
qualitativen Ausfälle auszubessern.
Die besten Momente des Films sind dann
allerdings nicht nur den Höhenflügen des Autors und dem durchgehend
starken Bild- und Tondesigns geschuldet, sondern auch einem bemerkenswerten
Schauspielertrio. Der Jungschweizer Nils Althaus hinterlässt mit seiner
schwierigen Figur des depressiv-sensiblen Mitläufers vielleicht den größten
Eindruck, aber auch der immer verlässliche Stipe Erceg als durchgeknallter
Adrenalinjunkie und die Neuentdeckung Lena Dörrie, deren kantiger, aber
auch erotischer Charme an eine junge Frances McDormand erinnert, empfehlen sich
da, wo ihre Dialoge es zulassen, für größere Aufgaben. Alle
drei sind sie ausgemergelte Gestalten, die sich gierig ins Nichts stürzen,
aber ihnen gelingen eben auch Momente der Komik, der Leidenschaft, der Ruhe,
sogar der liebevollen Nähe, meist unterstützt von einer im deutschen
Film selten so subtil gesetzten Musik.
Mit derart starken Schauspielern machen
sich dann auch kleine, feine Bruchlinien in den vermeintlich so abgebrühten
Helden bemerkbar, die letztlich zur eigentlichen Stärke eines sonst recht
geradlinigen Films werden. Als Roger seine neuen Freunde vor dem Bankraub fragt:
»Habt ihr sowas schon mal gemacht?«,
drucksen sie herum, bis sich Chris schließlich zurücklehnt und mit
gespielter Lässigkeit murmelt: »Das erste Mal ist immer das schönste.«
Der ganze Film ist ein Experiment auf hohem Niveau, und sein rauher und teilweise
unfertig wirkender Charme mag manchen Zuschauer ebenso ratlos zurücklassen
wie sein letztlich doch sehr konstruierter Gangsterplot. Aber es gibt hier trotzdem
manches zu entdecken. Und vielleicht wird das zweite Mal, diesmal mit einem
noch etwas konstanteren Drehbuch, dann ja noch schöner.
Daniel Bickermann
Dieser Text ist zuerst erschienen im: schnitt
Im
Sog der Nacht
D/CH
2009. R: Markus Welter. B: Moritz Gerber, Michael Sauter. K:
Pascal Rémond. S: Cécile Welter. M:
Michael Sauter. P: HesseGreutert Film AG, greenskyfilms, SWR, SF DRS. D: Nils
Althaus, Stipe Erceg, Lena Dörrie, Mia Hesse, Nina Hesse, Samuel Weiss,
Urs Bihler, Martin Ostermeier u.a.
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Min. Falcom ab 14.5.09
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