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Inception
Arbeit im Traum und Crime-Scene im Kopf
Ziemlich lang und ziemlich kompliziert: Christopher
Nolans Traumthriller „Inception“
hinterlässt gemischte Gefühle.
In seinem ersten surrealistischen Manifest berichtet
André Breton, der Poet Saint-Pol-Roux habe vor dem Schlafengehen stets
ein Schild an seiner Tür angebracht: „Der Dichter arbeitet.“
Auch in „Inception“, dem neuen Gedankenspielfilm
von Christopher Nolan („Memento“), geht mit den Träumen
die Arbeit erst richtig los. Allerdings wird hier in den Kellergeschoßen
des Bewusstseins nicht – wie einst bei den Surrealisten – nach Treibgut des
Widervernünftigen gefischt, sondern nach Ideen mit handfestem Tauschwert:
Cobb (Leonardo Di Caprio) ist Anführer einer Gruppe von Industriespionen,
die per mentaler Standleitung in die Träume Reicher und Mächtiger
einbrechen und Ideen stehlen.
Wie sich das für Gaunerfilme gehört, bekommt
der Meisterdieb einen besonders kniffligen letzten Coup angeboten. Diesmal soll
sein Team nicht eine Idee extrahieren, sondern eine neue einpflanzen: Ein Konzernerbe
muss dazu bewegt werden, das väterliche Imperium aufzulösen. Und weil
so ein Eingriff eine komplizierte Angelegenheit ist, fordern die Träume
von „Inception“ auch ihrem Publikum beträchtliche (Denk-)Arbeit
ab.
Seit M. Night Shyamalans
„Lady
in the Water“ (2006) hat kein Hollywoodfilm
mehr so versessen an seinem eigenen Regelwerk gebastelt: Da müssen Phantasiearchitekturen
entworfen, Identitäten gefälscht, Aufwachmechanismen abgesprochen
werden. Und kaum scheinen die Konditionen der Traumnavigation einigermaßen
geklärt, führt der Film relativierende Zusatzklauseln ein wie ein
Fünfjähriger, der beim Mensch-ärgere-dich-nicht nicht verlieren
will. „Your mind is the scene of the crime“, lautet die tagline des Films:
Das beschreibt auch die Unnachgiebigkeit, mit der sich die Dreh- und Wendemanöver
des Films in die Zuschauerhirne zu bohren versuchen – „Kolonisierung des Bewusstseins“
als Kopfmassage.
Die Lust am Gedankenexperiments steht dabei in Schräglage
zum verbissenen Ernst der Inszenierung: „Inception“
ist, wie schon Nolans „Following“ oder „The Prestige“, ein elaborierter Pflanz, der sich
als grimmiges philosophisches Rätsel gebärdet. Von den Darstellern
darf einzig der famose Tom Hardy jene ironische Eleganz zeigen, die früher
in Spionagefilmen gang und gäbe war. Sonst gehört, ganz zeitgeistkonform,
Traumatisierung zum guten Ton: Leonardo DiCaprio wird, als Wiedergänger
aus „Shutter Island“, auch hier mit Migränemiene von Visionen
einer toten Gattin geplagt.
Nolan ist, was man auf Englisch einen overreacher nennt: ein Erzähljongleur, der gern so viele Bälle
gleichzeitig in der Luft hat, dass ihm alle auf den Kopf zu fallen drohen. Dass
er es sich nach dem Riesenerfolg von „The Dark Knight“
leisten konnte, dieses lang gehegte Traumprojekt in voller Blockbusterlautstärke
zu realisieren, ist Fluch und Segen von „Inception“: Genuin inspirierter
Spezialeffekteinsatz steht Seite an Seite neben dröhnendem Leerlauf.
Das letzte Drittel der 148 Filmminuten ist ein erschöpfendes
Crescendo aus bis zu vier ineinander verschachtelten, parallel montierten Traumschichten
– vom superben schwerkraftbeeinträchtigen Korridorkampf bis zur konfusen
Gletscher-Action.
Als Sommereventfilm mit Budget in dreistelliger Dollarmillionenhöhe
ist „Inception“ ein sympathisch irres Wagnis. Noch schöner wäre
es, wenn nicht jede Sekunde die Arbeit hinter den Träumen zu spüren
wäre.
Joachim Schätz
Dieser Text ist zuerst erschienen in: falter.at
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Inception
USA / Großbritannien 2010 - Regie: Christopher Nolan - Darsteller: Leonardo DiCaprio, Ken Watanabe, Joseph Gordon-Levitt, Marion Cotillard, Ellen Page, Tom Hardy, Cillian Murphy - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 148 min. - Start: 29.7.2010
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