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In
der Glut des Südens
Verkanntes Genie, seltsamer Einsiedler, schüchterner Intellektueller,
poetischer Philosoph oder philosophierender Poet. Wie auch immer man Terrence
Malick einordnen will, der Mann ist und bleibt ein Spezialfall unter den großen
Filmregisseuren. Ganze vier Filme in 35 Jahren hat er inszeniert, zwischenzeitlich
eine Pause von knapp zwanzig Jahren gemacht. Doch diese vier Filme („Badlands“, „In der Glut des Südens“, „The Thin Red Line“ und „The New World“) können ohne weiteres als kleine oder große Meisterwerke
bezeichnet werden. Kein anderer Regisseur verbindet so kunstvoll eine nachdenkliche
Sicht auf die menschliche Natur mit einer fast schon demütigen Sicht auf
die wirkliche Natur und ihre Pracht und schafft dabei Bilder, die mit zu den
schönsten gehören, die je das Licht der Leinwand erblickt haben. Ist
sein quantitativ eher schwacher „Output“, wie man heute vielleicht sagen würde,
grundlegende Voraussetzung für die Kraft seiner seltenen Filme oder ist
er vielmehr die Konsequenz aus dem Verschleiß von Kraft, den Malick bei
jedem Dreh erfährt? Fragen können wir den Meister nicht, denn er lebt
auch heute noch völlig zurückgezogen und verweigert sich jedem Interview.
Es ist jedenfalls nicht verwunderlich, dass Malick seine bisher größte
Schaffenspause nach „Days of Heaven“ (dt.: „In der Glut des Südens“) eingelegt
hat, nach einem Film, der zwar in den USA noch nicht ganz in Vergessenheit geraten
ist und als DVD in der hochwertigen Criterion Collection herausgegeben wurde,
aber dennoch zu beiden Seiten des Atlantiks nicht das Ansehen genießt,
das er verdient hätte.
Malick begann mit diesem Film drei Jahre nach seinem furiosen
Debüt „Badlands“, drehte fast ein ganzes Jahr mit den vier Hauptdarstellern
und verbrachte weitere zwei Jahre mit dem Schnitt, ehe „Days of Heaven“ 1978
fertiggestellt wurde und wenige Monate später Premiere feiern konnte. Malick
gewann den Regiepreis in Cannes, wurde für einen Golden Globe nominiert
und Néstor Almendros, einer der beiden Kameramänner, der während
der Dreharbeiten langsam erblindete und jedes Bild anhand der Sichtung von Polaroids
unter Spezialglas aussuchte, bekam gar einen Oscar. Ob Malicks danach folgende
Pause, die er wahrscheinlich (nichts scheint sicher bei diesem Mysterium von
einem Regisseur) als Dozent in Frankreich verbracht hat, eine Folge von Enttäuschung
oder der Verbitterung über die zurückhaltende Resonanz der damaligen
Filmkritik war, lässt sich nicht sagen. Sollte es so sein, hätte diese
Enttäuschung jedenfalls durchaus seine Berechtigung gehabt, denn „Days
of Heaven“ gehört zu den ästhetisch schönsten Werken der Filmgeschichte.
Über die einfache Schönheit und visuelle Kraft von Malicks
Filmen ist viel geschrieben worden, aber in keinem anderen Film ist diese Schönheit
so rein wie in seinem zweiten Werk. Aufregende Tieraufnahmen, die endlose Weite
der Getreide- und Baumwollfelder, durch die ab und an ein Zug fährt, die
aufregenden Gesichter der Protagonisten und der Wanderarbeiter: Malick stellt
Bilder der Natur Bildern der menschlichen Ausbeutung gegenüber, Arbeiter
hacken im Getreide herum, während sich hinter ihnen die Sonne in der Endlosigkeit
der Felder schlafen legt. Neben dem ästhetischen Spürsinn Malicks
und seiner Kameramänner hat der atemberaubende Look des Films auch technische
Gründe: Malick filmte fast ausschließlich während der so genannten
„magic hour“, der Zeit kurz nach Sonnenauf- und kurz vor Sonnenuntergang, dabei
wurde zum ersten Mal ein neues ultra-lichtempfindliches Filmmaterial benutzt,
das deutlich flexiblere Nachtaufnahmen erlaubte. Zudem erwies sich der Regisseur
als äußerst origineller Improvisateur. Eine Szene, in der man einen
riesigen Heuschreckenschwarm gen Himmel aufsteigen sieht, ließ er filmen,
indem ein Hubschrauber-Team Tausende von Erdnussschalen auf ein Feld warf, und
sich die Schauspieler am Boden nach hinten bewegten - diese Aufnahmen wurden
dann rückwärts laufend in den Film eingesetzt.
Diese unglaublichen Bilder sind nun kein Selbstzweck, sondern
der Rahmen für eine
so simple wie dramatische Geschichte. Worum
geht es also in „Days of Heaven“? Die Handlung beginnt kurz vor dem Einsetzen
des Ersten Weltkriegs. Auf der Suche nach Arbeit reisen Bill (Richard Gere),
seine Freundin Abby (Brooke Adams) und seine kleine Schwester Linda (Linda Manz)
von Chicago nach West Virginia, um bei der Ernte ein wenig Geld zu verdienen.
Auch Bill und Abby geben sich dabei als Geschwister aus, um nicht für unnötiges
Gerede zu sorgen. Während sie auf den Feldern arbeiten, beginnt sich ein
junger Farmer (Sam Shepard) für Abby zu interessieren und bittet sie schließlich,
auch nach der Erntezeit bei ihm zu bleiben und zusammen mit ihren Geschwistern
auf der Farm zu überwintern. Im Wissen darum, dass der Farmer wegen einer
Krankheit nicht mehr lange leben wird, überredet Bill seine Freundin dazu,
den reichen Mann zu heiraten, um irgendwann an dessen Geld zu kommen und ihr
tristes Landarbeiterleben hinter sich lassen zu können. Doch der Farmer
beginnt schnell zu ahnen, dass Bill und Abby keine echten Geschwister sind.
Wir haben hier also die Konstellation für eine klassische Tragödie,
eine Katastrophe bahnt sich in leisen Tönen und zunehmend nachdenklicher
werdenden Gesichtern an und scheint dabei immer unausweichlich. Wie Malick uns
diesen simplen Spannungsbogen präsentiert, wie es ihm mit kurzen eingängigen
Dialogzeilen gelingt, uns die Motivationen der Figuren näher zu bringen und
ihr Handeln zu erklären und welche Bilder er dabei fast beiläufig
kreiert, das ist einzigartig und seitdem nicht wieder erreicht worden. Dass
dieser Film heute nicht einem breiteren Publikum bekannt ist und in vielen der
mittlerweile unzählig erschienenen „Die 100 Besten Filme aller Zeiten“-Publikationen
fehlt, muss das Ergebnis eines großen Missverständnisses sein.
Ein wichtiger Teil dieses Missverständnisses hat vielleicht
mit der Erzählperspektive von „Days of Heaven“ zu tun. In der Rezeption
des Films ist immer wieder die Kritik aufgetaucht, dass die romantische, aber
tragische Liebe zwischen Bill und Abby und die zart angedeutete Romanze zwischen
Abby und dem Farmer emotional nicht berühren, weil die drei Figuren kaum
näher charakterisiert werden, weil ihre Vorgeschichte nicht bekannt ist
und weil wir sie nicht auf eine Weise kennen lernen, die uns mit ihnen fühlen
lässt. Übersehen wird dabei, dass es Malick um die Liebe gar nicht
geht. Denn selbst wenn die Beziehung zwischen Bill und Abby und die Bedrohung
dieser Beziehung durch den Farmer einen großen Teil der Handlung des Films
einnehmen, ist „Days of Heaven“ weder die Geschichte von Bill und Abby noch
die Geschichte des Farmers. Es ist die Geschichte der 13jährigen Linda,
welche die Ereignisse rund um die Liebschaften mitbekommt und kommentiert; ein
Mensch auf dem Weg vom Kind zum Teenager, der Dinge wie Liebe und Eifersucht,
aber auch die Probleme von Ausgrenzung und sozialer Ungleichheit noch nicht
vollends verstehen kann, aber über eine genaue Beobachtungsgabe verfügt
und sich diesem Verständnis annähert, sich langsam an das harte Erwachsenenleben
herantastet.
Linda führt uns durch diesen Film mit ihrer unvergleich anrührenden
Voice-Over-Stimme, die allein schon ein hinreichender Grund dafür ist,
diesen Film ausschließlich in der Originalsprache zu genießen. Die
anderen Figuren sehen wir durch ihre Augen und die großen und kleinen
Dramen der Handlungsebene werden so durch die naive Perspektive eines Kindes
gefiltert. Mit Lindas Stimme beginnt der Film, mit Lindas Stimme endet er und
schon der Original-Titel (anders als sein etwas bemühtes deutsches Pendant)
gibt uns einen Hinweis auf diese besondere Erzählperspektive: Denn für
Bill und Abby sind die Tage auf der Farm alles andere als himmlisch: Für
die Chance auf den sozialen Aufstieg opfern die Liebenden einen großen
Teil ihres Vertrauens ineinander, das erkennt Bill in der langen Zeit, in dem
er der Farm wegbleibt, aus Angst, dass ihre Tarnung auffliegen könnte.
Für Bill und Abby sind diese Tage also Tage des Zweifelns, des Streitens
und der Bedrohung ihrer Liebe. Für die kleine Linda jedoch ist die Farm
ein reines Paradies. Nachdem die Saisonarbeiter weitergezogen sind und die drei
vermeintlichen Geschwister in das Haus einziehen, muss Linda nicht weiter draußen
schlafen, ihre vorher so prekäre Lage weicht einer prächtigen Villa
mit riesigen Feldern drumherum und das Kind genießt in vollen Zügen
den plötzlichen Reichtum, den es vorher nie kannte. „I‘m telling you, the
rich have got it figured out“, sagt Linda an einer Stelle und wir hören
zum ersten mal eine Spur von Begeisterung in ihrer sonst so gebrochenen Kinderstimme.
Die Liebe zwischen Bill und Abby, die Heirat Abbys mit dem Farmer
und die sich ankündigende Katastrophe, das alles ist nicht die zentrale
Handlung, sondern nur der Hintergrund, vor dem Linda erwachsen wird. Was ihr
Bruder und seine Freundin tun, wie der reiche Farmer in ihr Leben tritt, das
beobachtet sie mit derselben Distanz wie sie die Heuschrecken im Feld und die
Arbeiter bei der Ernte beobachtet. Sie ist die einzige Figur, deren Gedanken
wir tatsächlich erfahren. In einer überaus kurzen Einstellung fragt
Linda sich, was sie mal mit ihrem Leben anstellen wird - „I
could be a mud doctor. Checkin‘ out the eart‘. Underneath.“ - und lauscht den Klängen, die sie von unter der Erde erreichen. An
einer anderen Stelle fasst sie die Wut ihres Bruders auf ihr elendes Leben zusammen:
„He was tired of living like the rest of them nosing around
like a pig in a gutter. He wasn‘t in a mood no more. He figured there must be
something wrong with ,em, the way they always got no luck, and they ought to
get it straightened out. He figured some people need more than they got, other
people got more than they need. Just a matter of getting us all together.“
Bruder Bill hat genug von diesem Leben und seine Perspektivlosigkeit
lässt ihn schließlich Abby dazu drängen, den reichen Farmer
zu heiraten. Damit überschreiten die drei Protagonisten eine Grenze, die
eigentlich nicht überschritten werden kann; plötzlich finden sie sich
auf der anderen Seite der Gesellschaft wieder und erst langsam merken sie, dass
mit dieser Entscheidung zwar himmlische Tage begonnen haben, sie aber auch etwas Unwiederbringliches
zerstört haben. Und so ist es am Ende des Films wieder Lindas Stimme, die
Stimme eines jetzt verlassenen Kindes, das dennoch ein wenig Hoffnung auszustrahlen
vermag; das beim Erwachsenwerden nicht zuletzt auch gelernt hat, dass das Leben
irgendwie weitergeht und gelebt werden will. So wie Terrence Malicks Filme wieder
gesehen werden wollen, um irgendwann den Platz in der Geschichte des Kinos einzunehmen,
den sie verdient haben.
Till
Kadritzke
In
der Glut des Südens
Originaltitel:
Days of Heaven
USA
1978
Länge:
95 Minuten
Originalsprache:
Englisch
Altersfreigabe:
FSK 12
Regie:
Terrence Malick
Drehbuch:
Terrence Malick
Produktion:
Jakob Brackman,
Bert
Schneider,
Harold
Schneider
Musik:
Ennio Morricone
Kamera:
Néstor Almendros,
Haskell
Wexler
Schnitt:
Billy Weber
Besetzung:
Richard
Gere: Bill
Brooke
Adams: Abby
Sam
Shepard: Der Farmer
Linda
Manz: Linda
DVD
bei Paramount Home Entertainment:
Laufzeit: ca.90 Minuten
Bildformat: 1.85:1 Widescreen
Sprachen: Deutsch, Englisch
Untertitel:
Dänisch, Deutsch, Englisch, Holländisch, Polnisch, Schwedisch, Tschechisch,
Türkisch, Ungarisch
Special Features: Kino Trailer
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