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In
die Welt
Constantin Wulff zeigt in seiner Dokumentation
"In die Welt" etwas Alltägliches und Außergewöhnliches:
Gebären und Geborenwerden.
Ganz bescheiden, eine Dokumentation, die
nichts tun will, als etwas aus dem Leben zu zeigen, ist Constantin Wulffs Film
"In die Welt". Was sie zeigt aus dem Leben, ist etwas ganz Alltägliches
und ganz Großes: Menschen kommen zur Welt. Wulff möchte für
die Kamera einfangen, wie das zugeht. Auf undramatische Weise macht er die Zuschauerin
und den Zuschauer so zu Zeugen, aber, weil er nichts dazutut an Pathos und Dramatisierung
oder Musik, nie zu Voyeuren.
Jedem Dokumentarfilm liegt, im Film selbst
meist unausgesprochen, ein Vertrag zugrunde: Ich gebe der Kamera (und damit
einem unabsehbaren Publikum) Einblick in mein Leben. Der Regisseur nutzt das
nicht aus. Er geht mit diesem oft ganz ungeheuren Angebot, so gut es ihm möglich
ist, verantwortlich um. Im Fernsehen, im Reality-TV, gibt es solche Verträge
meist nicht. Alles ist Manipulation, Lust am Manipuliertwerden, ein Sich-Präsentieren
und ein rabiater Zugriff von Kamera, Schnitt, Musik auf diese Präsentation.
Ein großes ethisches Durcheinander, in dem es nicht um den Alltag geht
und darum, ihn zu zeigen, sondern um Unterhaltung und Prominenz, um ein Wollen
der Öffentlichkeit in jedem erdenklichen Sinn.
Constantin Wulffs Film ist das gerade
Gegenteil eines solchen fernsehmäßigen Zuschnitts. Er bettet das
Dramatische ins Bürokratische, er hat ein am großen Frederick Wiseman
(dem er im Abspann dankt) geschultes Interesse an den Zusammenhängen, in
denen alles, was der Mensch in Gesellschaft tut, immer schon steht. So ist nicht
zuletzt das Kreatürlichste, die Geburt eines Menschen, ein in jeder Hinsicht
sozialer Akt. Alles muss verzeichnet werden, in Akten um Akten, und zwar in
Antizipation möglicher rechtlicher Konsequenzen. Unsereiner kommt, und
zwar im glücklichen Fall, durch und durch gerichtsfest zur Welt.
Natürlich sehen wir das Blut, den
Schmerz, den Schrei, den Schweiß, das gute Zureden, und das blau angelaufene
Baby sehen wir auch. Es schreit und schreit und will sofort wieder weg aus der
Welt ohne Wasser, in die es da ohne sein Zutun geraten ist. Das sehen wir alles,
die Geburt ohne Schnitt, da zuckt Wulff nicht zurück. Aber eben nicht aus
Lust am Voyeurismus, am Drama, an der Sensation. Sondern weil es nun mal so
ist. Das Gebären ist ein furchtbar anstrengender, schmerzhafter, ein mit
nichts auf der Welt vergleichbarer Akt. Und das Geborenwerden ist das auch.
Um das jedoch sichtbar werden zu lassen, muss man alle auf alle Zurichtung verzichten,
sonst bekommt man nur das Klischee.
Das aber gibt es in diesem Film an keiner
einzigen Stelle. Zwischen Interesse und Distanz liegen die Blicke, die er wirft.
Die Kamera ist nie zudringlich, aber sie leugnet zugleich ihre Anwesenheit nicht.
Sie zeigt Menschen, die unversehens schwanger geworden sind, solche, die glücklich
sind, solche, die Angst haben, solche, die ihre Neugeborenen in den Händen
halten, und er beginnt mit einem, der Angst haben muss um das Kind, das schwer
atmend im Brutkasten liegt. Man muss, wenn man das sieht, als Zuschauer gar
nichts Besonderes fühlen oder denken. Man ist frei, neutral zu bleiben
oder, ja, warum nicht, den Geburtsakt so schwer erträglich zu finden wie
der Ehemann mit seinen Tattoos, der im Hintergrund des Bildes die Hände
vors Gesicht schlägt. Diese Freiheit, die einem der Film lässt, ist
keine Selbstverständlichkeit. Seine Klugheit in Abfolgen, Rhythmen, ins
Spiel gebrachten Aspekten stellt er nicht aus. "In die Welt" ist ein
auf scheinbar bescheidene Weise richtiger Film, der nichts tun will, als etwas
aus dem Leben zu zeigen.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen
am 27.05.2009 im: www.perlentaucher.de
In
die Welt
Österreich
2008 - Regie: Constantin Wulff - Dokumentation - FSK: ab 12 - Länge: 88
min. - Start: 28.5.2009
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