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In
einer besseren Welt
Das Presseheft zu Susanne Biers mit dem Auslands-„Oscar“ prämierten Spielfilm
ist sich sicher: Die Handlung stellt eine Gewissensfrage an den Protagonisten
Anton. „Wie stark sind sein Glaube an die Gerechtigkeit und der Wunsch, seine
Haltung zu bewahren?“ Der in Schweden geborene, in Dänemark lebende Arzt
Anton arbeitet regelmäßig längere Zeit in einem afrikanischen
Flüchtlingslager, wo er so gut als möglich zu helfen versucht. Dabei
wird er immer wieder mit schrecklich verstümmelten Frauenkörpern konfrontiert.
Für diese Verbrechen, so sagt man, sei ein sadistischer Milizen-Anführer
verantwortlich, den man „Big Man“ nennt. Manchen der verletzten Frauen kann
Anton helfen, anderen nicht. Doch wenn Anton auf der Ladefläche eines Pick-up
ins Lager fährt und in die strahlenden Gesichter der Kinder blickt, die
hinter dem Wagen her rennen, dann weiß er, dass er das Richtige tut. Auch
in Dänemark, wo Anton mit seiner Frau Marianne und den beiden Söhnen
Elias und Morton lebt, existiert Gewalt, die sich strukturell gar nicht so sehr
von derjenigen in Afrika unterscheidet. Für den älteren Sohn Elias
beginnt jeden Morgen ein erniedrigender Hindernislauf; er wird auf dem Weg ins
Klassenzimmer von älteren Mitschülern, angeführt vom gewaltbereiten
Sofus, gemobbt und bedroht. Nach der Schule muss er sein Fahrrad oft nach Hause
schieben, weil die Luft aus den Reifen gelassen wurde. Die Eltern versuchen
zwar, auf den dafür vorgesehenen Wegen zu intervenieren, treffen dabei
aber auf Schulpersonal, das ziemlich routiniert anti-autoritär der Auseinandersetzung
aus dem Weg geht. Trotzdem könnte Antons Kleinfamilie glücklich sein,
hätte er nicht vor kurzem Marianne betrogen, was diese ihm – trotz der
vorherrschenden Rationalität – nicht so einfach verzeihen mag.
Dass man sich nicht alles gefallen lassen darf und sich bisweilen nicht nur verbal, sondern physisch wehren muss, lernt Elias durch seinen neuen Mitschüler Christian. Nach dem Krebstod von Christians Mutter ist der mit seinem Vater Claus aus England nach Dänemark zurückgekehrt. Als Christian eine günstige Gelegenheit nützt, um den viel stärkeren Sofus zu attackieren, geht er sehr entschlossen und gewalttätig vor. Christian glaubt aus eigener Erfahrung daran, dass man die Dialektik von Gewalt und Gegengewalt aufbrechen kann, wenn man beim ersten Mal fest genug zuschlägt. Damit bezieht er die Gegenposition zu Anton, dessen Ethik darauf gründet, dass Gewalt prinzipiell keine Konflikte löst. Wie die Welt wohl aussähe, wenn man dieses Postulat aufgebe, wenn man Leute einfach so verprügele, fragt Anton seinen Sohn einmal. Man könnte antworten: „Guck mal aus dem Fenster!“ Und wüsste dabei den Film auf seiner Seite. Denn nicht nur auf die beiden pubertierenden Jungen wirkt es entschieden unglamourös, wenn sich Anton auf dem Kinderspielplatz von einem gewaltbereiten Vater ohrfeigen lässt. Als er diesen an dessen Arbeitsplatz mit seiner Gewaltbereitschaft konfrontiert, wird Anton – ohne Angst zu zeigen – gleich noch mal geschlagen. Ist er jetzt der moralische Sieger oder doch nur ein ziemlich jämmerliches Opfer?
In immer neuen Variationen und mit einigen Zwischentönen entwerfen
Susanne Bier und Anders Thomas Jensen einen antithetischen Konflikt zum Thema
Rache. Es handelt sich dabei um eine strenge Versuchsanordnung im Gewand eines
Melodrams, das wiederum von erstklassigen Darstellern in eine Folge von Einzelszenen
aufgelöst wird, die das Grundthema immer forcierter durchspielen. Die melodramatische
Grundtönung macht das streng Diskursive dieser Anordnung geschmeidig. Ob
der Preis dieser Vermittlung zu hoch ausfällt, muss jeder Zuschauer selbst
entscheiden. Der internationale Erfolg dieser Rezeptur gibt Bier/Jensen allerdings
durchaus recht. Während die Jungen beschließen, Antons Integrität
durch einen Bomben-Anschlag wieder herzustellen, gerät Anton – wieder in
Afrika – in einen moralischen Konflikt, als der verletzte „Big Man“ ihn um Hilfe
bittet. Dass Anton prinzipiell bereit ist, auch ihm zu helfen, verstört
die Angehörigen der Opfer dieses Monstrums, das seinerseits sehr genau
weiß, dass es sich in dieser Situation keine Schwäche leisten darf,
weil seine Macht allein auf der ständigen Bereitschaft zu Gewalt beruht.
Erst als „Big Man“ die pazifistische Geduld Antons überstrapaziert, gibt
dieser einem spontanen Impuls zur Rache nach und überlässt den Mörder
seinem Schicksal.
Man kann am Ende des Films hervorragend diskutieren, inwieweit dessen
Epilog, der schließlich den Konflikt gemäß der Genregesetze
des trivialen Hollywood-Melodrams löst und die Fiktion als Fiktion ausstellt,
zum Filmtitel passt. „In einer besseren Welt“ mag solch ein Ende möglich
sein. Im Hier und Jetzt (und bei Michael Haneke) wäre der Film zehn Minuten
kürzer.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen in: film-Dienst
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
In einer besseren Welt
OT: Hævnen
Dänemark/Schweden 2010 - 113 min.
Regie: Susanne Bier - Drehbuch: Susanne Bier, Thomas Anders Jensen - Produktion:
Sisse Graum Jørgensen - Kamera: Morten Søborg - Schnitt: Pernille
Bech Christensen - Verleih: Universum - FSK: ab 12 Jahre - Besetzung: Mikael
Persbrandt, William Jøhnk Nielsen, Markus Rygaard, Trine Dyrholm, Ulrich
Thomsen
Kinostart (D): 17.03.2011
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