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Inglourious
Basterds
Skalpierte
Nazi-Schädel sind nur Beigabe
Quentin Tarantino stürzt in «Inglourious
Basterds» das Dritte Reich. Heisst das, dass er seriös geworden ist?
Es kommt immer wieder vor, dass man beim
Ansehen von «Inglourious Basterds» richtig Zeit hat. Ausgerichtet
an atemraubenden Momenten, hat es der neue Film von Quentin Tarantino überhaupt
nicht eilig beim Verdichten von Situationen, die sich zwar irgendwann entladen
werden. Aber bis es so weit ist, sitzen Nazis und als Nazis verkleidete Anti-Nazis
reichlich lange zusammen. In diesen Momenten kommt es vor, dass man sogar die
Spannung vergisst, die bis in die Details der Tischdekoration reicht.
Tarantino literarisch inspiriert?
Dann fragt man sich, welche Beziehung
eigentlich zwischen dem kultivierten und sadistischen SS-Mann Hans Landa (Christoph
Waltz) und Dr. Maximilian von Aue, dem Ich-Erzähler aus Jonathan Littells
«Die Wohlgesinnten», besteht. Hat sich Tarantino vom literarischen
Grossskandal des vorvergangenen Jahres inspirieren lassen? War das am Ende sogar
die zündende Idee hinter dem ganzen Film, nämlich das nicht ganz klischeefreie
Bild des über die Massen kultivierten, polyglotten und vollendet manierlichen
Nazis mal so richtig auszureizen? Ohne Littells psychologische Tiefe natürlich
und ohne das skandalöse Potenzial – aber mit allem, was Tarantinos an coolen
Schauwerten so reiches Kino trotzdem an Schauspielerunterstützung zu bieten
hat?
Denn noch immer war mindestens einer am
Ende als neuer oder wiedergeborener Star aus Tarantinos Filmen hervorgegangen:
John Travolta in «Pulp
Fiction», Robert
Forster und Pam Grier in «Jackie
Brown», Kurt Russell
in «Death
Proof». Oft waren
es zweite Karrieren, die bei Tarantino begannen, manchmal auch nur aufgefrischte
Erinnerungen an ein grosses Gesicht, auf die nicht viel folgte. Doch wenn das
Kino des Quentin Tarantino stets als zitatverliebt, trashig und postmodern bezeichnet
wird, gerät in Vergessenheit, dass dieses Kino vor allem auf eine ganz
bestimmte Weise ein Schauspieler-Kino ist.
Nichts ist normalerweise lächerlicher
als ein Schauspieler, der sich vor der Kamera benimmt wie auf der Theaterbühne,
sein Spiel als Spiel inszeniert, sein imaginäres Publikum herausfordert,
sich Kühnheiten herausnimmt, die weit von der Rolle weg zur Selbstdarstellung
führen. Bei Tarantino funktioniert aber genau das: Er integriert die Rampensau
in ein Kino, das ansonsten alles andere als theatral ist. Gerade Tarantino in
seiner cinephilen Orientierung an Klassikern der verschiedensten Epochen und
Länder ist sonst zutiefst filmisch. Trotzdem darf man bei ihm schmieren,
ohne dass es geschmiert wirkt. So kommt es auch, dass Martin Wuttke den unter
Schauspielern deutscher Zunge offensichtlich unvermeidlichen Wettbewerb um die
beste Hitler-Darstellung gegen Bruno Ganz und Helge Schneider hier mühelos
für sich entscheidet. (Wuttke hatte allerdings den Vorteil, dass er die
Rolle schon unter Heiner Müller und Christoph Schlingensief üben konnte.)
Die Zitatmaschine läuft wie geölt
Neulich war zu lesen, Tarantino hätte
sich mit «Inglourious Basterds» vom unernsten Verweischarakter seiner
früheren Filme entfernt und sich erstmals einem seriösen Thema gewidmet.
Hat er wirklich? Nun, die Zitatmaschine läuft geölter denn je zuvor.
Der Titel kommt von einem Film des Italo-Western-Regisseurs Enzo G. Castellari,
die Rollennamen amüsieren sich von «Ed Fenech» bis «Bridget
von Hammersmark» über grosse und nicht so grosse Namen der Filmgeschichte,
und ein legendärer alter Mann wie Rod Taylor, der Hauptdarsteller aus Hitchcocks
«Die
Vögel», darf
in einer Mikrorolle als Churchill kurz legendär herumstehen. Es gibt kein
Bild, kein Dialogfragment, das sich nicht in die Filmgeschichte einsortieren
will. Weniger aus Gründen umgekehrter Einflussangst, und auch nicht, um
den eigenen Postmodernismus auszustellen, sondern weil sich Tarantino für
Filmgeschichte so interessiert, dass er an seinem souveränen Umgang mit
den ästhetischen Vorbildern genauso viel Spass hat wie am nerdig-bürokratischen
Face- und Namedropping.
Die Kulturindustrie der Nazis
Und seriös? Nur weil er hier echte
Menschheitsverbrecher und keine ausgedachten Pulp-Charaktere metzeln und – ja
– skalpieren lässt? Es gibt eine erstaunliche Zahl an Filmen, in denen
Hitler auftaucht, die alles andere als seriös in jedem Sinne sind. Gerade
in der anglophonen Welt haben die Schrecken des Dritten Reiches niemanden daran
gehindert, in ihm einen idealen Hintergrund für Scherz und Slapstick auszumachen.
Doch auch in diese Tradition lässt sich «Inglourious Basterds»
nicht einfach einsortieren. Allerdings hat sich Tarantino stark von Ernst Lubitschs
Meisterwerk «Sein
oder Nichtsein»
inspirieren lassen. Er zitiert es zwar wenig, nur dass Landa sich seinen Spitznamen
«The Jew Hunter» am liebsten von seinen Opfern mitteilen lässt
– so wie bei Lubitsch der eher lächerliche «Konzentrationslager-Erhard».
Dafür knüpft Tarantino daran an, wie Lubitsch den Nationalsozialismus
bei seinen Repräsentationsorgien packt, bei seinen Auftritten, Schauspielereien
und seiner Kulturindustrie.
Skalpierte Nazi-Schädel sind hier
nur eine reizende Beigabe: Im ziemlich schlüssigen Subtext von «Inglourious
Basterds» geht es mehr um das Kino im Dritten Reich und darum, was damals
eigentlich aus den avancierten Regisseuren der Weimarer Zeit geworden war. Besonderes
Interesse zeigt Tarantino an Leben und Werk von G. W. Pabst, der zwar zu den
zentralen Figuren des Weimarer Kinos zählte, aber damals auch schon mit
Leni Riefenstahl gearbeitet hat. Dass das Nazi-Reich anders funktioniert hätte
und weniger erfolgreich gewesen wäre, wenn Goebbels und Hitler nicht solche
Kino-Ratten gewesen wären – das nimmt Tarantino tatsächlich ernst.
Denn anders als bei Lubitsch und seinem
Warschau von 1939 sind im besetzten Paris bei Tarantino die Verkleidungen, Verstecke
und Überraschungscoups nicht mehr im Theater zu haben; nur auf dem glänzenden
Parkett des Kinos und seines Premieren-Glamours besteht die Chance, die Nazis
in die Irre zu führen. Zu der bunten Truppe von Widerständlern gehören
daher eine Hochverräterin aus den höchsten
Rängen der Ufa ebenso wie ein promovierter britischer Filmwissenschaftler
mit Spezialgebiet deutscher Film. In den meisten, nach der Art eines Stationenromans
komponierten und brillant auf die Klimax komponierten Kapiteln steht das Kino
daher im Mittelpunkt der Handlung; das Wissen um seine Akteure, Techniken, Gesten
entscheidet über den Erfolg, ja das Leben der faschistischen wie der antifaschistischen
Figuren.
Dennoch geht es Tarantino nicht um irgendeine
analytische Idee zu Faschismus und Widerstand. Er überträgt das vor
allem im neueren asiatischen Kino beliebte Prinzip der gerechten Rache auf diejenige
historische Konstellation, für die an der Legitimation von bewaffnetem
Widerstand der geringste Zweifel herrscht.
Köcheln auf kleiner Flamme
Diese klare Entscheidung über Ziele
und Absichten erlaubt ihm zahlreiche Abschweifungen und Nebengeschichten. Vor
allem schafft er sich damit den Raum für das schon in seinem letzten Film
«Death Proof» so grossartig entwickelte Timing: Situationen, deren
explosives Potenzial zwar von Anfang an zu erkennen ist, werden so lange wie
irgend möglich in der Beiläufigkeit gehalten. Ob nun ein geheimes
Treffen der Widerstandstruppe ausgerechnet mit einer Nazi-Feier zusammentrifft
oder ein Opfer von Landa diesem – einstweilen unerkannt – erneut begegnet: Fiese
Konstellationen köcheln auf kleiner Flamme und steigern sich ganz langsam
– nicht unbedingt, um zu explodieren. Obwohl an wohlgesetzten Detonationen,
so viel darf man verraten, in diesem Film nicht gerade ein Mangel herrscht.
Auf beiden Seiten wimmelt es von deutschen
Schauspielern aller Niveaus, darunter Til Schweiger, August Diehl, Christian
Berkel oder Daniel Brühl. Obwohl sich einige zu ungeahnten Höchstleistungen
steigern, lässt sich mit Fernsehgesichtern weder Dämonie noch Skandal
ausrichten. Littells vermeintlich skandalöse Idee, dass gerade ein hochgebildeter
Kulturmensch nicht gegen, sondern in Übereinstimmung mit dieser Identität
ein glühender Nazi ist, wird aber bei Tarantino selbst von Waltzens brillanter
Darstellung einer öligen Weltläufigkeit nicht bestätigt. Dessen
plastische, wandelbare Eleganz ist eher das Sonntagsgesicht eines Opportunismus,
der Landa befähigt, jeden zu verraten.
Diedrich Diederichsen
Dieser Text ist zuerst erschienen im schweizer: Tagesanzeiger
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
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