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Inglourious
Basterds
"What
shall the history books read?" fragt SS-Oberst Landa den Anführer
der "basterds". Die Frage bezieht sich auf einen Deal: "Jew-hunter"
Landa ermöglicht ein Hitler-Attentat, das im Film, anders als damals, gelingt;
dafür soll er reich und ungeschoren im Nachkriegsalltag der westlichen
Welt untertauchen dürfen, was im Film, anders als damals, doch nicht ganz
gelingt.
Was in den
Geschichtsbüchern zu lesen sein soll, ist auch eine Frage, in der Inglourious
Basterds
und seine Rezeption, die Passion und die Performance des Films, ineinander verflochten
sind, eine Frage, in der Tarantinos Inszenierung in aller Öffentlichkeit
mit der Geschichte intim wird. Die dem Film implizite Frage nach dem in Geschichtsbüchern
zu Lesenden schied die Kritik in zwei Lager. Das eine ging davon aus, dass in
Geschichtsbüchern etwas "steht", das Tarantino nicht unangemessen
verwenden darf. So war das Verdikt, Inglourious
Basterds
erschwere es, den Holocaust als "historical reality" zu begreifen,
bei Jonathan Rosenbaum im Bewertungsschema "grown-up observation"
versus "boy’s fun" gerahmt. Eine dem "boy’s fun" vergleichbare
Egomanie attestierte Jens Jessen Tarantinos cinephiler Kernzielgruppe: Das "Schicksal
der Juden" werde "für eine Filmästhetik jenseits aller moralischen
Absicht missbraucht", für ein "Fest für intellektuelle Kinoliebhaber,
denen die Würde des Gegenstands gleichgültig ist, solange er nur ihrem
Scharfsinn Betätigung gibt." Von dem, "was Cineasten besonders
lieben: Selbstreflexion auf das Medium", im Sinn von "Kino besiegt
die Nazis", war da abschätzig die Rede.
Ebendort setzte
der Wertschätzungsdiskurs des anderen Lagers an. Dessen Demystifizierungsrhetorik
unterstellte, dass in Geschichtsbüchern nur tote Worte zu lesen sind –
so wie es im Kino nur Licht auf Leinwand zu sehen gibt. Letzterer Verweis auf
einen – nach Peter Kubelka zitierten – objektivistischen Materialismus des Lichts,
das eine "alternative Realität", jene der Kunst, schaffe, fand
sich in einem Interview mit Christoph Waltz. Die Emphase, mit der der oft interviewte
Darsteller des Oberst Landa die "Verwertung von Geschichte in Spielfilmen"
und deren Wahrheitsanspruch zurückwies, war beispielhaft für das Gegensatzschema,
das die cinephile, Tarantinos Projekt(ion) wohlgesonnene Kritik bediente: "Begehren"
versus "Fakten des buchstabenklaubenden Historikers", "das durch
Darstellung Vermittelte" versus das "Buchstäbliche", "Fantasie
und Blut aufrührendes Sekundärmaterial" versus "faktenklapperndes
Geschichtsmaterial" bei Ekkehard
Knörer,
kürzer gefasst bei Andreas
Hartmann:
"Historizität" (im Sinn von Fakten-Check), die "Tarantino
kein Stück interessiert", versus "Kino", das "für
Tarantino alles ist". Gut zu wissen. Georg
Seeßlen
legte zum Kinostart eine Fibel zu Inglourious
Basterds
vor, die Tarantinos "Unverschämtheit" würdigt – als "Rachephantasie,
die sich um die historische Realität nicht kümmert, weil für
Tarantino sowieso schon immer das Kino die bessere Wirklichkeit war. [...] Das
Kino rächt sich an der ungerechten Wirklichkeit selber."
Nun geht es
den cinephilen Tarantino-Befürwortern ja um bildbasierten Antifa; das ist
eh klar und eh gut. Wenn sie aber denen, die sagen "Wie kann er nur?",
antworten "Indem er sich um nix scheißt!", dann reagieren sie
auf den Wertprinzip-fixierten Nihilismus der Geschichtsdeterministen mit einem
coolen Votum fürs Sich-Vertschüssen in die Alternativwirklichkeit
und mit Totalentwertungsnihilismus gegenüber Geschichte. Diese wird, fast
rituell, ob ihrer blutleeren Faktenklapprigeit als schlechte Unwesentlichkeit
verworfen (zumal im Vergleich mit der guten Licht-Zeichen-Unwesentlichkeit des
Kinos). Hat Guido Knopp also gesiegt? Deckt das gedächtniskulturelle Nationalwellness-Konzept
von televisual
history,
für das er (oder Bernd Eichinger) steht, nun Geschichte insgesamt ab –
sodass die antinationale Haltung Geschichtsphobie heißt? Ist demnach Geschichte
das, was entweder steht oder fällt – in Büchern feststeht oder als
Buchstabe hinfällig wird? Oder ist sie nicht doch etwas, das angeht? –
die Art, wie eine Vergangenheit eine Gegenwart angeht, anstarrt, anspringt;
wie also mit Inglourious
Basterds
der Nationalsozialismus als Politik des Antisemitismus und Rassismus zu gegenwärtigen
Wahrheitspoetiken, Wahrnehmungsästhetiken und Begehrenstaktiken in eine
Konstellation tritt, in der etwas Wahres als Bild herstellbar wird.
Zum Vergleich:
Wenn Seeßlen schreibt, Tarantinos Zitieren sei weniger ein Stehlen denn
ein Retten – als Retter von Schauspielerkarrieren ist Tarantino ja notorisch
–, dann träfe das doch auch auf Schindlers
Liste
zu. In diesem Film wurde die Totalität des Massenmords zur wundersamen
Rettungsanekdote umerzählt; deren Protagonist agiert exemplarisch als Entertainer,
Zyniker des Glamour und der Inszenierung, der wie z.B. Rick in Casablanca gezeichnet
und wie dieser zum Engagierten bekehrt wird. Damit steht Kino als Gedächtnis
bildende "list of life" gegen das Todesprinzip einer Traditionen auslöschenden
"history" (wie es der KZ-Kommandeur verkündet). Pop-Gedächtnis
als Genrebestands-Recycling, cinephil verknüpft mit einem Ethos, das Retter-
und Opferschaft als Zentralkategorien historischer Erfahrung beschwört:
Von diesem so lange sinnmächtigen Modell weicht Inglourious
Basterds
in zweierlei Hinsicht ab.
Erstens heißt
Cinephilie hier Retten durch Reden: Bei Tarantino wird viel, in Inglourious
Basterds
zumal viel übers Kino geredet. Praktiken der Filmwertschätzung finden
zur Selbstabbildung: Lebten in früheren Genre-Recycling-Filmen, von Spielberg
bis zu Parodien vom Typ Naked
Gun,
Filmfiguren in Welten, von denen nur das Publikum wusste, dass sie aus Filmzitaten
bestanden, so sehen – und hören! – wir heute bei Tarantino oder in Apatow-Komödien
Figuren zu, die selbst wissendes und zitierendes Publikum sind. Diese Figuren
spielen Filmbestände nach oder durch – mit Identity-Spielkarten auf der
Stirn, durch postkolonial anmutende King
Kong-Deutungen,
als Filmkritiker, der an Kracauers Nazi-Kino-Studien erinnert – oder verwenden
sie neu und abweichend: Ein Propagandafilm wird wie Found Footage ummontiert
(Sabotage in jedem Sinn),
ein Filmarchiv (der kardinale Ort des Nach-Lebens von Kino) zum Abfackeln eines
Projektionssaals voller Nazis genutzt: Instructions
for a Light and Sound Machine. (Wobei
mit der Lichtprojektion des Gesichts eines Holocaust-Opfers auf Rauch ein beinah
spielbergsches cineontologisches Bild entsteht; und die Übersetzung vom
Treno
Blindato,
vom im Italienischen titelgebenden, "verblendeten" Nazi-Panzer-Zug,
den es am Ende des Inglorious
Bastards-"Originals"
von 1977 zerfetzt, zu Tarantinos explodierendem Licht-Spiel-Haus wäre auch
im Licht jener Kino-Zug-Metaphorik lesbar, die sich bis hin zu Holocaust-Filmen
durch die "traumatische Moderne" zieht.)
Zweitens heißt
Cinephilie hier Retten durch Rächen. Inglourious
Basterds
durchkreuzt eine Diskursformation, die, in (missbräuchlicher) Anknüpfung
an Schindlers
Liste
als Ikone, ein Geschichtsbild ausgemalt hat, das nur noch Retter und Opfer kennt:
So zeigt deutsches Historienkino und -fernsehen eine NS-Zeit voller deutscher
Retter und universeller Opfer, wobei der Holocaust für die Bildwerdung
der "Traumata" Stalingrad und Bombenkrieg Modell stehen muss – die
Deutschen als Hitlers ultimative Opfer (und Österreich als sein erstes),
eh klar. Und: Die "viktimologische" Ethik impliziert ein Verbot, Bilder
von Juden aus dem Status reiner Opfer zu lösen. Dies betrifft – soviel
als Andeutung – das Vorbehalts- und Zerknirschungskino zum Thema jüdische
Rache an Judenmördern: von The
O.D.E.S.S.A. File
über Momente in Saving
Private Ryan
bis zum Wechselspiel, das über die Rollen des als Bond zur Rächer-Kino-Ikone
stilisierten Daniel Craig zwischen Munich und Defiance abläuft:
Jüdisch ist Rache nur inklusive Katzenjammer.
Die Vorstellung,
gerade Juden hätten doch gelernt, wozu entfesselte Gewalt führt, und
der Anblick gewalttätiger Juden verstoße gegen die den Nazi-Opfern
zugedachte Reinheit ("Unschuld", die offenbar rückwirkend verdient
sein will) – diese mit "Auschwitz als Besserungsanstalt" etikettierbare
Idee spukt noch in der (gut gemeinten) Empörung in Jessens
Basterds-Rezension: Der Anblick
des "Bärenjuden", der einen Wehrmachtssoldat mit dem Baseballschläger
totknüppelt, sei skandalös als "Spiegelung und Aneignung deutscher
Gewaltexzesse" bzw. "symmetrische jüdische Antwort". Aber
verharmlost diese Rede von Symmetrie nicht die Morde in Auschwitz und Mauthausen?
Die waren nicht Exzess und Exekution Einzelner, sondern Systemroutine der Massenvernichtung
durch Gas oder Arbeit.
Wie Tarantinos
Inszenierung Vorbehalte weglässt, Zusatz-Sinn-Ansprüche nicht erfüllt,
kurz: eine "Poetik performter Fehlleistungen" (Thomas Elsaesser) praktiziert
(begonnen bei der Titelschreibweise), dafür ist die Baseballschläger-Szene
beispielhaft. Deren Beschreibung in manchen Rezensionen liest sich so, als gehe
es darin um die Knüppel-Blutorgie am Ende von Casino. In Tarantinos
Szene jedoch bleibt das Ausstellen von Gewalt weit unterm Level heutiger Slasher-
oder Saw-Filme und,
gemessen an deren Standards von creative
torture,
ostentativ unkreativ. Betont wird diese Nicht-Entsprechung noch durch die Besetzung
des bear
jew
mit Hostel-Regisseur Eli
Roth, der diesem Beinamen eben nicht alle Ehre macht, sondern in etwa so bärig
daherkommt wie du und ich. (Der Name ist ein Stigma.) Nicht nur ist Inglourious
Basterds
ein unsinnlicher Nicht-Action-Film, der Wort- statt Gewaltexzesse ausagiert
("Action" bietet eher der NS-Propaganda-Film-im-Film, der an das Kirchturm-Sniping
in Saving
Private Ryan
erinnert). Er enttäuscht auch die dem Tarantino-Normalfandiskurs inhärente
Erwartung, die Basterds wären Upgrades des Dirty
Dozen, wie
schon ihre Pendants von 1977, oder der Freakteams cooler Gewalt- und Selbst-Styling-ExpertInnen
in Reservoir
Dogs,
Kill
Bill
und
Death
Proof.
Allein, die Basterds enthalten unserer auf Marotten-Bewirtschaftung und Devianz-Produktivität
geschulten Medienkultur jene Sinn-Werte vor, die sich aus einer Gestaltung als
Viper
Squad
oder D-Day-X-Men ergeben hätten:
Nur wenig Identitätskapital wird akkumuliert, niemand ist Experte für
irgendwas, der "Little Man" ist nicht besonders klein.
Die (als Teaser
prominente) Szene mit Brad Pitts Motivationsrede an die Basterds, samt offenherzigen
Filmzitaten, performt letztlich nur das Fehlen gewohnter Motivationen: Der antiautoritäre
Macho-Impuls aus The
Dirty Dozen,
dessen finales Massaker eher "killing Generals" denn "killing
Nazis" ist, fällt weg, ebenso der obszöne Appell an eine US-patriotische
Kriegerkultur im Monumental-Irrsinn von Patton. Pitt ist
nicht Patton: Es bleibt nur reines "Nazi-killing business"; es ist
tatsächlich so einfach. Zumal der Judenhass der Nazis hier als Motivation
ausreicht: Nazis sind hier Feindbild ob ihres Antisemitismus, nicht weil sie
hässlich, autoritär, pervers oder genussfeindlich sind wie sonst oft
im Kino. Und Landa? Er bietet sich uns als faszinierendes Monster an, (selbst)genießerisch,
scharfsinnig, redegewandt wie Christoph Waltz selbst im Interview oder wie weiland
Dr. Lecter. (Da gibt es noch einen Konnex: In Hannibal
Rising
vereint der junge Lecter, der untergetauchte SS-Mörder durch Einritzen
von Hakenkreuzen und Insignien straft, die Arroganz des Distinguierten und das
Rächer-Ethos in sich.) Schon in
der leonesken Eröffnungsszene stilisiert Landa sich mit ostentativ falsch
dimensionierter Sherlock Holmes-Pfeife als Detektiv/Philosoph. Doch ihm wird
nicht erlaubt, seine jew
hunter-Identität
abzulegen wie eine auf die Stirn geklebte Spielkarte, sondern: In seine Stirn
wird ein Hakenkreuz geritzt, um festzuhalten, dass er – Distinktion hin oder
her – ein Nazi ist, an einem Ende, das ob seiner Abruptheit umso "befriedigender"
ist. In diesem verblüffend deutschen Film, der so viele deutsche Geschichtsbilder
ein- und umfaltet, vom Widerständler Winnetou (Apache wie Aldo) und G.W.
Pabsts vitalistischer Erleuchtungsmetaphysik bis zum wandelnden Deutschlandklischee
Daniel Brühl und zu Christian Brückner (der unverwechselbare Sprecher
von Knopps Nazi-Dokus ist im Telefonat mit Hitler zu hören), und gar einen
Surplus an österreichischen Nazi-Bildern mit(auf)führt, von Til Schweiger
als Deserteur, der auch und gerade als "Kameradenmörder" leinwand
ist, bis zu H.C. Straches selbstverräterischer Fingergeste beim Bestellen
von drei Getränken – in Inglourious
Basterds
heißt Geschichte, wie Nationalsozialismus in einer Gegenwart um- und diese
angeht und wie man dagegen angeht und dass das so OK geht, weil es in dieser
Konfrontation keiner Zusatz-Voraussetzungen bedarf. This is what the history books
shall read.
Inglourious Basterds
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