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Inglourious
Basterds
Zwei Texte über Quentin Tarantinos
neuen Film
1)
Mr.
Tarantinos Kriegserklärung
Die "Inglourious Basterds"
kommen! Aber ist Tarantinos fiebrig erwarteter Nazi-Jäger-Streifen wirklich
sehenswert? Filmhistoriker Georg Seeßlen erklärt, warum gerade wir
Deutschen dieses Werk brauchen - und warum danach endgültig Schluss ist
mit Faschistenkitsch.
Am Ende von "Inglourious Basterds"
sind die Vertreter des absolut Bösen mehr als tot. Sie sind kaputt. Hitler
ist zerschossen, verbrannt und zerstückelt. Und der Film hat ihm nicht
einmal einen großen Abgang, keine Abblende, keinen "freeze frame",
keinen letzten Blick in die Kamera, kein Insert und keine wallende Musik gegönnt.
Nicht einmal ein richtiges Bild vom Kaputtgehen, wenn man genau sein will. In
der faschistischen Ästhetik stirbt der Held, um zum ewigen Bild zu werden,
zu jenem Märtyrer, der immer im Geiste mitmarschiert. Die Todesbilder des
Postfaschismus haben diesen Vorgang nur dämonisiert oder mit Bedauern verbunden.
So blieb das Bild als fixe Idee. Der "Hitler in uns", "Mensch
Hitler", die unsterbliche Bestie: das nicht abgeschlossene Bild, das die
postfaschistische Gesellschaft fürchtet und von dem sie zugleich besessen
ist. Vor allem die deutsche Kultur war und ist auf eine unaufklärbare Weise
"Hitler-süchtig". Es ist eine Rachephantasie, die sich um die
historische Realität nicht kümmert, weil für Tarantino sowieso
schon immer das Kino die bessere Wirklichkeit war. Diese Unverschämtheit,
die Geschichte einfach zu ignorieren, hat bislang noch kein Film gehabt. Das
Kino rächt sich nicht nur an jenen Personen, die, bevor sie selber sterben
mussten, der Welt so viel Unheil und Tod brachten. Das Kino rächt sich
an der ungerechten Wirklichkeit selber.
Zusammenbruch der Erzählkonvention
Dass dies einer der wenigen Filme ist,
die nicht gleichsam die Geschichte des deutschen Faschismus weitererzählen,
die nicht auf den Nazi-Todeskitsch hereinfallen, die sich rüpelhaft und
mühelos über die Schwere des Mythos hinwegsetzen, liegt nicht zuletzt
an seiner Erzählweise. "Inglourious Basterds" ist keine Heldenreise
und kein Erziehungsroman. Trotz seiner durchaus epischen Länge bietet er
im Grunde nichts weiter als fünf Szenen. Diese Szenen "stimmen "
so sehr, dass die Autorität der linearen Story außer Kraft gesetzt
ist. Stellen wir uns für einen Augenblick vor, nicht nur das Kino, sondern
auch die Welt könnte so funktionieren: nicht als zwangsläufige Linie
der "history", sondern als Geflecht mehr oder weniger autonomer Szenen.
Und es müssten sich nicht die Szenen der Linie unterwerfen, sondern die
Linie würde sich den Szenen unterwerfen (und plötzlich ihre scheinbare
Klarheit verlieren). Dann bräche auf jeden Fall die deutsche Erzählung
von Faschismus und Krieg zusammen, vom "Führer", der sein Volk
zuerst ins Verbrechen und dann ins Unheil geführt hat, die Erzählung
von der Hierarchie des "Führers", der Täter, der Nutznießer,
der Mitläufer; an hunderten Stellen zugleich würden sich die moralischen
und politischen Fragen neu stellen.
"Inglourious Basterds" wirft
eine grundsätzliche Frage nach der Erzählung der Geschichte im Kino
auf. Denn seine zitatwütige Meta-Kino-Erzählung trifft diesmal nicht
nur die eigene Kinogeschichte, die Traumfabrik, sondern auch eine historische
Propagandamaschine, die immer schon "Kino" sein wollte. Bei der Uraufführung
des gewaltigen, perfiden Durchhaltefilms "Kolberg" (Regie: Veit Harlan)
im Jahr 1945 erklärte Joseph Goebbels: "Meine Herren, in hundert Jahren
wird man einen schönen Farbfilm über die schrecklichen Tage zeigen,
die wir durchleben. Möchten Sie nicht in diesem Film eine Rolle spielen?
Halten Sie jetzt durch, damit die Zuschauer in hundert Jahren nicht johlen und
pfeifen, wenn Sie auf der Leinwand erscheinen."
Gegen Goebbels
Quentin Tarantino hat erst einmal aus
dem Johlen und Pfeifen einen Film gemacht, und es ist vielleicht der erste,
der Goebbels wirklich einen dicken Strich durch die Rechnung macht. Denn die
nach-faschistische Kinogeschichte hat sich auch von seinem Schatten nie wirklich
lösen können. Wenn die deutsche Popmaschinerie Kitsch produziert,
und das tut sie in besorgniserregender Quantität, dann ist davon immer
noch ein Gutteil von der Art, die Goebbels prächtig gefallen hätte.
Dass sie im Kino weiterlebten als Monster und faszinierende Unholde, gegenüber
von leidenden, schwachen und chancenlosen Opfern, das wäre nach dem "Endsieg"
die zweitliebste Phantasie der Nazis.
Und die "humanistische Moral"
der Filme, die sich bislang gegen den Faschismus (aber eben doch: in seiner
Geschichte) bewegten, hätten sie als Maske der "Humanitätsduselei"
verachtet, um sich weiter an der Tadellosigkeit ihrer Uniformknöpfe und
der Angst ihrer Opfer zu delektieren. In der Welterzählung ist der Nationalsozialismus
das absolut Böse; weiter geht es nicht - selbst wenn auch andere Regimes
sich grausamer Verbrechen schuldig gemacht haben, so haben sie es doch nicht
mit einer solch offensichtlichen Freude, Effizienz und Bedingungslosigkeit,
mit einer solch innigen Übereinstimmung von Herrschaft, Volk und Ideologie
getan.
Daher ist die Verwandtschaft zwischen
Filmen über Nazis und Horrorfilmen nicht bloß eine propagandistische
Übertreibung. Denn immer muss sich die Frage stellen, ob dieses absolute
Böse aus dem relativ kleinen, mitteleuropäischen Land das Böse
ist, das in der "Natur des Menschen", in der Mechanik der Geschichte,
in allem lauert. Oder ob es direkt aus der Hölle kommt. Die mythologische
Antwort darauf ist der Dämon. Und dessen Werkzeuge sind "Besessene
". In Tarantinos Film aber ist kein Einziger der Nazis, ganz oben wie ganz
unten, besessen. Alle folgen Interessen, alle haben ihren Spaß, alle haben
Pläne und treffen Entscheidungen. Und nicht nur der charismatische SS-Offizier
Hans Landa demontiert fortwährend den "ideologischen" Gehalt
des Nazitums, in den Szenen von "Inglourious Basterds" löst sich
alles in praktische, sadistische Herrschaftspraxis auf.
Wenn man Tarantinos Film etwas genauer
ansieht, weiß man, dass es einen Preis für die Befreiung gibt. Die
Guten, die keine Opfer mehr sein wollen, können auch keine vollständig
Guten mehr sein. Der Knoten der großen Entscheidungen löst sich auf,
das große Subjekt des Krieges verschwindet. Die posthistorische Kriegserzählung
handelt nur noch von Zeichen, Macht und Begehren. Und wie "Django" und seine Brüder sind auch
die Helden des Widerstands nur noch als Menschen zu verstehen, die bereits einmal
gestorben sind. Nur der Gedanke an Rache hält sie am Leben, dieser inversen
Gerechtigkeit opfern sie, wie die jüdische Kämpferin Shosanna (Mélanie
Laurent), auch die Möglichkeit eines Glücks.
Tarantinos Erzählung, gerade in ihrer
scheinbar kindlichen Krudität, kommt zu einer Zeit, da in Mitteleuropa
eine ganz andere Erzählung die Oberhand zu gewinnen droht, ein schleichender,
postumer Sieg der Hitlers und Mussolinis. In ihr wird am Tag des gescheiterten
Attentats ein feierliches "Gelöbnis" der jungen Soldaten vollzogen,
dessen Ritual dem der Nazis teuflisch ähnelt; in ihr werden längst
Pilgerfahrten zu den Wirkstätten des "Führers" organisiert.
Jenseits der bekennenden Neonazis, an denen wahrhaft kein Mangel besteht, pflegt
diese Kultur dies beides: das "heilige Erschauern" vor den Zeichen
und Riten der Nazis und die "menschliche Nähe" zu ihren Repräsentanten.
In dieser Erzählung wird der Faschismus zur ein wenig außer Kontrolle
geratenen, notwendigen Abwehrbewegung gegen den Bolschewismus umgedeutet.
Historische Wirklichkeit ist nichts anderes
als ein Pool für Erzählungen, über deren Verbindlichkeit von
verschiedener Seite gewacht wird (oder auch nicht). Die Faktenlage ist nur einer
von vielen Faktoren, die die allgemeine Erzählung bestimmen. Rod Serling,
der Erfinder von "Twilight Zone" (USA 1959-64), erinnert sich an das
Drehbuch zu einer Folge seiner Serie, in der es um die Nazis ging und in der
deshalb von den Gaskammern die Rede war. Der entsprechende Drehbuchteil wurde
eliminiert, weil zu den Sponsoren der Serie eine Firma gehörte, die Gasheizungen
anbot.
Ganz und gar nicht ganz
Erzählungen setzen sich aus vielen
solcher Eingriffe zusammen, und dabei ist der Einfluss einer Gasheizungsfirma
auf eine Mystery-Serie gewiss noch eines der minderen Beispiele der Beeinflussung,
so wie wir ja auch auf die DVD warten mussten, um die "Star Trek"-Folge
"Patterns of Force" zu sehen, in der von einem Planeten erzählt
wird, auf dem ein Historiker Nazi-Deutschland noch einmal errichtet hat.
Jemand erzählt etwas. Einerseits,
um mit der Vergangenheit fertig zu werden. Andererseits, weil er Interessen
hat. Sadismus, Narzissmus und Neugier sind immer dabei. Aber hinterher erscheint
jede Erzählung, als wäre sie von heiligem Ernst und Ganzheit bestimmt.
Kaum ist sie entstanden, so wird auch die Erzählung eine Form von Macht.
Tarantino gehört zu den Leuten, die dieser Konstruktion des Erzählens
widersprechen. An Alternativen hat es nie gefehlt, nur hat der "Was wäre
wenn?"-Gestus immer auf das Gegenteil abgezielt, einen unkaputtbaren "Führer":
Hitler überlebt (kommt nach Amerika und wird Science-Fiction-Autor); Hitler
hat gesiegt, und ganz Europa ist ein faschistisches Staatsgebilde, das sich
nur langsam zersetzt; Hitler kommt als Zombie aus dem Grab, Hitler lebt "in
uns" und so weiter.
Auch werden wir nicht müde, die "Beinahe"-Konstruktionen
der Anschläge zu dramatisieren: Nur wundern kann man sich, wie in "Operation
Walküre" (Regie: Bryan Singer) Hitler dem Attentat entgeht. Der fehlgeschlagene
Anschlag macht die Erzählung durch und durch ratlos, die Geschichte macht
mit den Nazis gemeinsame Sache, das Böse ist durch das Opfer des Subjekts
nicht aufzuhalten (oder eben: Das falsche Subjekt schritt da zur einzelnen Tat.
Der schlechte Witz der Geschichte bleibt der gleiche). Dass Hitler den Zeitpunkt
seines Todes nach hinten verpasst, ist jedenfalls stets denkbarer gewesen als
ein vorzeitiges Beseitigen seiner Person und seines Regimes. In der populären
Phantasie wären für diesen Fall auch immer gleich ein paar Reserve-Hitlers
vorhanden gewesen, Doppelgänger oder Dummys wären den Attentaten zum
Opfer gefallen, Nachfolger ständen bereit - Tarantino weiß, warum
es nicht genügt, Hitler zu töten. Man musste zugleich seine Umgebung,
zugleich seine Propaganda vernichten.
Und das Kino selber? Wir dürfen es
nicht vergessen: Tarantino opfert, um Hitler und die seinen zu töten, sein
Heiligtum. Dieses Kino hat alle Phasen durchlaufen: Es war einst Paradies, wurde
zum Zufluchtsort, musste seine Unschuld verlieren, zum Ort der Kollaboration
und der kleinen Subversion werden, es wird zur Falle und zum Opferort.
Kino-Opfer statt Opferkino
Tarantino opfert sein Heiligtum. Wenn
es darum geht, die Menschen vor dem Bösen zu bewahren, muss man sogar bereit
sein, das Kino zu verbrennen. In dieser radikalen Geste vielleicht liegt das
Erwachsenwerden des Tarantinismus. So paradox dieser Opfervorgang auch sein
mag: Der Traumort wird für die Wirklichkeit geopfert, allerdings nur in
einem Traum, für den die Wirklichkeit geopfert wird.
Saul Friedländer hat von dem verbreiteten
"Unbehagen" gesprochen, das der "neue Diskurs" zum Nationalsozialismus
seit den siebziger Jahren immer wieder hervorruft, und eben dieses Unbehagen
kehrt von Welle zu Welle der ästhetischen Bearbeitungen zurück: Darf
man sich einlassen auf die Bildsprache der Nazis? Darf man vom Holocaust in
der Form einer Soap-Opera erzählen? Darf es den "guten Deutschen"
geben? Darf man lachen über Hitler? Darf man lachen im KZ? Und jetzt: Darf
man Hitler und den seinen ein paar Trash-Barbaren entgegenstellen und ihn unzeitlich
sterben lassen? Immer wieder folgte den Filmen ein Kometenschweif der feuilletonistischen,
akademischen, pädagogischen Diskurse. Jeder neue, halbwegs ernste, halbwegs
gelungene, halbwegs sichtbare Film löste das aus.
Quentin Tarantino mit "Inglourious
Basterds" verspricht gleichsam, mit diesem Unbehagen fertigzuwerden wie
dieser Kerl, der den gordischen Knoten löste. "Pulp fiction"
bezwingt den faschistischen Todeskitsch. Den wabernden Bildern von der gefährlichen
Umarmung von Diskurs und Nazi-Bild setzt dieser Regisseur einen Schlag mit dem
Baseballschläger entgegen.
Georg Seeßlen
Dieser Vorabdruck aus: Georg
Seeßlen: "Quentin Tarantino gegen die Nazis" - Alles über
INGLOURIOUS BASTERDS (Bertz+FischerVerlag, 176 Seiten, 9,90 Euro) ist am 16.08.2009
erschienen im: Spiegel
Das Buch erscheint zum Filmstart
am 20. 8.2009
2)
Ein
Hoch auf den Bastard
Kleine Kulturgeschichte des Teufelskerls:
Notizen zum bastardischen Kino des Quentin Tarantino, dessen Weltkriegs-Farce
"Inglourious Basterds" nächste Woche startet.
Quentin Tarantinos Film „Inglourious Basterds“
handelt von Bastarden, und der Film selbst ist ein Bastard, oder mehr noch ein
Sammelsurium von Kino-Bastarden. In allen Dynastien, Ordnungen und Kulturen
sind die Bastarde für das Schöne, Aufregende, Neue zuständig.
Teufelskerle und -kerlinnen. Der erste Bastard war ein illegitimer Sohn des
Teufels. Man nannte ihn Wilhelm, und er eroberte so um das Jahr 1066 die Insel
Britannien. „Teufel“ nannte man seinen Vater, den Herzog Robert I.; wer seine
Mutter war, haben die Geschichtsschreiber festzuhalten nicht für nötig
erachtet. „Ego Wilhelmus, cognomine bastardus“, so stolz unterzeichnete er Dokumente
und Briefe. Er fand seine Identität in der Vorstellung der Identitätslosigkeit
in seiner Kultur.
Danach freilich verlor der Begriff seine
grimmige Würde. Es wurde zum Inbegriff für das Unordentliche, Sündhafte,
Zweitrangige, Gemischte, Nicht-Anerkannte, das sich von der Welt der Fürsten
ins Volk ausbreitete gegen das „Reinrassige“, die legitime und dokumentierte
Abstammung. Erbfolgekriege, rassistischer Terror, wenigstens der kleine metaphorische
Wahn von Zucht und Abstammung beim Kauf eines Haustieres sind die Folge. Das
„Reine“ ist das Gute, der Bastard dagegen das Wertlose, indes immer Gefährliche.
Vom Menschen geht es nicht nur auf die Tiere über, sondern auch auf die
Dinge – und auf die Gefühle. Moderne Menschen haben bastardische Gefühle,
und vielleicht ist die Moderne überhaupt ein Bastard-Projekt (was man am
besten an jenen erkennt, die sie bekämpfen).
Schon von Anbeginn steckt es in allem
Erzählen: der Bastard auf der Suche nach Identität – und Gerechtigkeit.
Denn wo es Bastarde gibt, da gibt es viel Recht und wenig Gerechtigkeit (wie
ist er mit den „echten“ Mitgliedern einer Familie verwandt? Ist der unreine
Akt seiner Zeugung eine Erbsünde oder ein Trauma – dem man durch besondere
Taten und Leistungen zu entkommen trachtet, zum Beispiel durch die Kunst? Und
was sagen die Götter zu Bastarden, die, in aller Regel, auch aus dem Zusammenprall
von Religionen entstehen? Zu welcher Klasse gehört der Bastard – und ist
er nicht „von Natur aus“ zu Intrige, Revolte, Ketzerei bestimmt?).
Im besten Fall werden Bastarde Helden
(umgekehrt ist es schwer, Helden zu finden, die keine Bastarde sind), im weniger
guten Fall werden Bastarde seltsame Heilige. Bastarde verderben Kinder, Sitten
und Texte. Was den Bastard erzeugt, das ist der Skandal. Das Mischwesen kann
nur Ausdruck der Sünde bei seiner Erzeugung sein. Und die Strafe ist ein
Wandern zwischen den Welten.
Bastarde hassen nicht nur die Welt, die
Vertreter der „reinen“ Macht, die Ordnungen und, auf besonders dramatische Weise,
sich selbst, sie hassen auch einander, in aller Regel: „Warum fliehen die Bastarde
einander?“, fragt Violette Leduc in ihrem Roman „Die Bastardin“: „Warum bilden
sie nicht eine Bruderschaft? Sie sollten einander verzeihen, da sie alle das
gemeinsam haben, was es an Kostbarstem gibt, an Zerbrechlichstem, an Stärkstem,
an Finsterem in ihnen: eine wie ein alter Apfelbaum gewundene Kindheit.“ Die
einzige Chance der Kindheit ist der Bastard-Traum. Was willst du einmal werden,
wenn du groß bist? Ein Bastard. Denn nur als Bastard hat man das Recht
und die Pflicht zur Freiheit.
Spätestens mit der Postmoderne wurde
die Bastardisierung allerdings auch wohlfeil. Man musste sie wieder aufregend
machen. Der Bastard Pop zum Beispiel ist nicht einfach eine Vermischung von
Stilen, Traditionen und Erscheinungen, es gehört dazu, wie es die DJs der
neunziger Jahre gern betrieben, dass man die verschiedenen musikalischen Elemente
illegal miteinander zu etwas Neuem verbindet. Außerdem gehört zum
Bastard Pop, dass nicht einfach zwei Dinge eine Verbindung eingehen, sondern
zwei Dinge, die nach landläufiger Meinung und den Regeln der Geschmackspolizei
definitiv nicht zusammengehören, wie Kitsch und Avantgarde.
Wie lange sich Bastard Pop in der Kinematografie
schwertat, belegt, welch konservative Kunst (und/oder Propaganda) der Film schon
geworden ist, und wie die großen Traumfabriken ihren Markt beherrschen,
durch Reinheit der Genres, der Bilder, der Erzählungen. Entstanden freilich
ist noch jede filmische Form durch Akte der Bastardisierung, aber wie es auch
in den dynastischen Ordnungen der Fall zu sein pflegt: Der einmal zur Macht
gekommene Bastard setzt alles daran – Gewalt, Gewohnheit, Korruption –, seine
Bastard-Herkunft zu verbergen. Was darf ein Fürst (ein Staatssekretär,
ein Buchhalter) auf keinen Fall sein? Ein Bastard. Und Faschismus, noch in seiner
„leichten“ Art, die heute schon wieder mehr oder weniger erlaubt ist, ist vor
allem die Brutalität jener, die keine Bastarde sein wollen.
Es war wichtig, für uns und die Geschichte
des Kinos, dass Steven Spielberg aus den teils gesittet-bigotten, teils liberal-neugierigen
Welten der mittelständischen Suburbia kam. Aus diesem Geist und aus dieser
Erfahrung sah er die Welt, schuf er die Welt neu, und sah die Welt neu. Genauso
wichtig ist es, dass Quentin Tarantino aus den prekären Lebensumständen
am unteren Rand der Mittelschicht kommt. Aus diesem Geist und aus dieser Erfahrung
sieht er die Welt, erschafft sie neu und lässt sie uns neu sehen. In beiden
Fällen hat das Kino ein Leben ergriffen und es möglicherweise gerettet.
Und umgekehrt.
Quentin Tarantino war der Sohn einer Mutter,
die selber noch so sehr Kind war, dass sie den Sohn nach einer Figur aus der
TV-Western-Serie „Rauchende Colts“ (1955–1975) nannte: Quint Asper – wie die
damals 16-jährige Connie Tarantino ein Halbblut –, gespielt von Burt Reynolds
(und hey, sieht Tarantino nicht manchmal aus wie ein grobschlächtiger,
intelligenter Bruder von Burt Reynolds?).
Die Leitfigur des Quentin Tarantino also
ist der Bastard an sich, das klassische Halbblut zuerst, dann der nicht minder
klassische Held ohne legitimen Vater und ohne gesicherte Identität. Und
auch in der Filmgeschichte verortet sich Tarantino immer als Bastard. Nicht
als einer, der das Werk der Väter fortsetzt oder verwirft, wie noch jeder
moderne Filmemacher in Europa oder wie Martin Scorsese, der seinen Film-Vätern
fast schon akademischen Respekt erweist, sondern als der illegitime Sohn, der
die verschwundenen Väter immer mit einer Mischung aus Missachtung und Sehnsucht
behandelt. In seinen Filmen gibt es daher vier Schlüsselelemente: die Rache
an dem, der den Familienroman zerstörte (welchen „Bill“ mag Tarantino in
seinem epischen Werk des revenge movie getötet haben?); jene Gruppe der
Bastards, die sich ihre eigenen Codes gibt; die starke Frau, die sich buchstäblich
durchschlägt (die Ur-Mutter der Bastardisierung); und schließlich
ein bastardisches Gerede in den brillanten Dialogen, die scheinbar die Handlung
eher aufhalten als vorantreiben.
Das bastardische Verhältnis des Quentin
Tarantino zu seinen filmischen Vätern und Müttern impliziert den Zitatcharakter:
Er hat sie nicht, jedenfalls nicht so wie, sagen wir, ein François Truffaut
seinen Jean Renoir haben kann, und so erzählt er von ihnen. Es ist klar,
dass er dabei „übertreiben“ muss (ein Bastard lebt selbst im Vertrautesten
noch in einer Fremdsprache), er ist leonescher als Sergio Leone, trashiger als
Trash und Godard zusammengenommen – natürlich auch in „Inglourious Basterds“.
Darin unterscheidet sich das bastardische
vom nomadischen Filmemachen, es ist mehr Flucht als Suche. Es ist mehr Obsession
als Übernahme: Um den Bastard sind immer die Gespenster.
Georg Seeßlen
Dieser Vorabdruck aus: Georg
Seeßlen: "Quentin Tarantino gegen die Nazis" - Alles über
INGLOURIOUS BASTERDS (Bertz+FischerVerlag, 176 Seiten, 9,90 Euro) ist am 15.08.2009
erschienen im: Tagesspiegel
Das Buch erscheint zum Filmstart
am 20. 8.2009
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
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