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Into
the Wild
Der
mit den Elchen murmelt
Die
90er Jahre: Ein junger Aussteiger geht in Wildnis Alaskas. Statt sich selbst
findet er den Tod. Sean Penn hat die wahre Geschichte verfilmt.
Ausgerechnet
Alaska. In den USA gibt es viele Orte, an denen Aussteiger sich aus der Zivilisation
verabschieden können. Nach Alaska gehen Aussteiger, die auch das Aussteigen
hinter sich lassen wollen. Christopher McCandless war 22 Jahre alt, als er sich
auf den Weg nach Alaska machte. Er begab sich auf eine Reise quer durch das
Land. Das Ziel war dabei immer klar: Er wollte in die Wildnis, "into the
wild". Er wollte weiter weg als die Menschen, die er unterwegs traf. Er
wollte sich von niemandem aufhalten lassen.
Die
Geschichte von Christopher McCandless hat sich in den frühen Neunzigerjahren
tatsächlich zugetragen, ihr trauriger Ausgang ist einer großen Öffentlichkeit
bekannt, nachdem der Non-Fiction-Schriftsteller Jon Krakauer ein Buch darüber
veröffentlichte, das zum Bestseller wurde: "Into the Wild". In
die Wildnis. Kein Remake von Henry David Thoreaus Klassiker "Walden",
aber doch so etwas wie ein Versuch, diesem Gedanken noch einmal nachzuspüren,
dass das Glück eines Mannes in der Abkehr vom modernen Leben liegt. Dass
der Schauspieler und Regisseur Sean Penn sich für dieses Buch zuständig
fühlte, überrascht nicht. Er hat sich immer schon als ungebärdiger
Außenseiter gegeben. In Christopher McCandless findet er einen Wahlverwandten,
der Ernst gemacht hat mit Vorstellungen, die das amerikanische Kino längst
in der Mythenkammer verstaut hatte: im Freien leben; sich mit dem bescheiden,
was das Land hergibt; Selbstgespräch statt ewiges Gerede.
Ein
Mann muss tun, was ein Mann tun muss - wer versteht das heute noch? "Into
the Wild" folgt einer doppelten Erzählbewegung. Der Film beginnt mit
der Ankunft von Christopher (Emile Hirsch) in Alaska. Er geht von der Straße
einfach in den Wald, überquert einen Fluss und findet schließlich
an einer schönen Stelle einen ramponierten Schulbus. Das Ding steht einfach
so in der Landschaft herum und bietet genau die Annehmlichkeiten, die ein junger
Mann sucht, der sich nirgends wohnlich einrichten will. Hier beginnt Christopher
sein Gemurmel, sein Gespräch mit den Pflanzen und Elchen, seine kosmische
Meditation - und der Film seine Bewegung zurück in der Zeit, an den Ursprung
dieser Reise, an die Orte, an denen eine andere Entscheidung denkbar gewesen
wäre.
Eine
typische amerikanische Mittelstandsfamilie, mit streitenden Eltern und materiellen
Zielen. Die Schwester, die ihren Bruder versteht, aber von seiner Radikalität
überfordert ist. Christopher besteht das College, mit der Abschlussfeier
beginnt auch schon sein systematischer Rückzug. Er verschenkt den nicht
unbeträchtlichen Geldbetrag, der für seine weitere Ausbildung vorgesehen
ist. Er stößt seine Freundin vor den Kopf. Und dann verschwindet
er, mit einer alten Karre, die er unterwegs später auch noch loswird.
"Into
the Wild" ist ein langer Film, zweieinhalb Stunden, in denen wenig passiert.
Christopher braucht ungefähr zwei Jahre, bis er an sein Ziel kommt. Auf
seiner Reise trifft er gelegentlich interessante Menschen, zwischendurch kehrt
Sean Penn immer wieder auf die Lichtung in Alaska zurück. In einer konventionellen
Dramaturgie würde sich während dieser Erzählung allmählich
ein Motiv erschließen, eine psychologische Konstellation, die besser verständlich
macht, was Christopher McCandless zu seiner Haltung gebracht hat.
"Into
the Wild" kümmert sich darum nur am Rande. Der Entschluss bleibt letztendlich
auch für den Film ein Rätsel, wenngleich die eine oder andere Spur
gelegt wird. Verwunderlich ist die Konsequenz, mit der jede Gelegenheit ausgelassen
wird, sich an Menschen anzuschließen, die selbst die Abkehr vollzogen
haben, auf die es Christopher ankommt. Er bleibt höflich, freundlich sogar,
lässt aber nie einen Zweifel daran, dass es ihm um einen radikaleren Entschluss
geht. Sein Weg nach Alaska wirkt ziellos, kreuz und quer bewegt er sich vorwiegend
durch den Westen der USA, er sucht manche Orte und Menschen auch zweimal auf,
hält dabei aber immer daran fest, dass dies nur Stationen sind.
Sean
Penn lässt den Film auch ein wenig treiben. Er weiß, dass er ein
starkes, trauriges Ende hat, beinahe wirkt es so, als wollte er es hinauszögern.
Illegal paddelt Christopher den Colorado River hinunter, bis an den Pazifik,
vorbei an zwei skandinavischen Kids, die nackt am Ufer herumliegen und auch
einen amerikanischen Traum haben, dabei aber nicht einmal einen Ansatz von Verständnis
für diesen rätselhaften Jungen aufbringen, der sie bald wieder verlässt.
Die
seltsame Keuschheit, die Christopher gewählt hat, legt er auch nicht ab,
als er in einer Hippie-Kommune ein Mädchen trifft, dem viel daran gelegen
wäre, dass er noch ein wenig bleibt. In Jan (Catherine Keener) findet er
eine mütterliche Freundin - auch sie kann ihn nicht dazu bewegen, zu bleiben.
Inzwischen haben die Eltern, nach mehr als einem Jahr seiner Abwesenheit, begriffen,
dass ihr Sohn nicht einfach ausgerissen ist - sie lassen Detektive nach ihm
suchen, ihre Ratlosigkeit und Trauer gilt auch der Unbedingtheit, mit der sie
sich konfrontiert sehen.
Sean
Penn entscheidet sich mit dem Film "Into the Wild" für die Feier
dieser Unbedingtheit. Er lässt seinen Helden zunehmend mit der Natur identisch
werden. Was an Geschichte fehlt, wird durch Atmosphäre und Panorama-Totalen
wettgemacht. Anders hätte er Christopher McCandless vielleicht auch nicht
gerecht werden können. Denn dessen Weg war sicher nach allen zwischenmenschlichen
Kriterien eine Verirrung, die nicht so weit ging wie die des "Grizzly Man"
(der seine Lebensgefährtin mit in den Tod nahm), an den Werner Herzog in
einem großartigen Dokumentarfilm erinnert, die aber nichtsdestoweniger
darauf hinausläuft, dass ein junger Mann an sich selbst die Erfahrung macht,
die unzählige Generationen vor ihm als Gattung schon begriffen haben: dass
die Natur tödlich ist, wenn man sich ihr ungeschützt aussetzt.
Am
Ende von "Into the Wild" erhebt sich die Kamera wie ein Vogel in die
Lüfte - das letzte Bild des Films aber ist ein dokumentarisches, das lange
nachwirkt und für beträchtliche Längen unterwegs entschädigt.
Bert
Rebhandl
Dieser
Text ist zuerst erschienen in der: taz
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Into
the Wild
USA
2007 - Regie: Sean Penn - Darsteller: Emile Hirsch, Marcia Gay Harden, William
Hurt, Vince Vaughn, Brian Dierker, Catherine Keener, Jena Malone, Kristen Stewart,
Hal Holbrook, Zach Galifianakis, Robin Mathews - FSK: ab 12 - Länge: 148
min. - Start: 31.1.2008
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