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Invictus
- Unbezwungen
Es
war eine sportliche Sensation, als am 24. Juni 1995 die Rugby-Teams von Neuseeland
und Südafrika zum WM-Finale im Ellis Park von Johannesburg aufeinandertrafen.
Die ‚All Blacks’, wie das neuseeländische Team im Volksmund hieß,
hatten sich unaufhaltsam durch das Turnier getankt; nichts und niemand schien
sie stoppen zu können. Für Gastgeber Südafrika war es der erste
große sportliche Auftritt nach Jahrzehnten der politischen Ächtung,
und die Außenseiter um ihren Kapitän Francois Pienaar (im Film etwas
farblos gespielt von Matt Damon) schafften es wider Erwarten bis ins Finale.
Die klassische David gegen Goliath-Konstellation. Nelson Mandela wollte der
Welt während des Turniers ein neues Südafrika präsentieren, das
die Ära der Apartheid im konstruktiven Dialog zu überwinden versuchte.
Voraus gegangen war eine öffentliche Diskussion über die grünen
„Springbok“-Trikots des südafrikanischen Teams, die für die schwarze
Bevölkerung viele Jahre ein Symbol der politischen Unterdrückung dargestellt
hatten. Mandela entschied sich letztlich aus politischem Kalkül für
die Nationalfarben des weißen Südafrikas.
Die
Begegnung Neuseeland gegen Südafrika war aber auch in kultureller Hinsicht
interessant. Clint Eastwood deutet diesen Aspekt in „Invictus“ an, ganz beiläufig
eigentlich. Wenn das neuseeländische Team das Finalspiel traditionell mit
dem Haka, dem Kampftanz der Maori, eröffnet, zeigt diese Szene auch, dass
sich hier zwei Nationen gegenüberstanden, die ein ganz unterschiedliches
Verhältnis zu der indigenen Tradition ihres Landes pflegen. In Neuseeland
sind die Bräuche der Maori in die Nationalkultur integriert. Dagegen stand
im Aufgebot des südafrikanischen Rugbyteams selbst 1995, fünf Jahre
nach dem offiziellen Ende der Apartheid, gerade mal ein schwarzer Spieler.
Clint
Eastwood knüpft mit „Invictus“ dort an, wo sein letzter Film „Gran
Torino“
endete. Eastwood, der seine halbe Karriere lang den Typus des einsamen Rächers
verkörperte, hat in seinen besten Filmen der letzten Jahre wiederholt das
Rache-Motiv im Verhältnis von Individuum und Gemeinwesen hinterfragt -
weniger von einem moralischen Standpunkt aus, sondern als skeptischer Beobachter
gesellschaftlicher Dynamiken und Gewaltverhältnisse. „Invictus“ nimmt die
Gegenposition zu seinen zivilisationsmüden Meisterwerken „Erbarmungslos“ und
„Mystic
River“
ein und lässt so eine fortlaufende Entwicklung im Spätwerk Eastwoods
erkennen. Wurde in „Gran Torino“ kulturelle Verständigung und die Abkehr
von rassistischen Vorurteilen noch mit einem Akt der Selbstopferung besiegelt,
beschreibt „Invictus“ nun am Beispiel des südafrikanischen Rugby-Teams
die Anfänge eines gesellschaftlichen Dialogs. Der Sportfilm ist dabei ein
alter Topos, mit dem Hollywood immer wieder Erfolgsgeschichten kultureller Versöhnung
zu erzählen versucht hat.
Der
Sport ist der sichtbarste Bereich des öffentlichen Lebens, in dem gesellschaftliche
Konflikte für einen kurzen olympischen Augenblick befriedet werden können.
Eastwood thematisiert mit „Invictus“ das Verhältnis von Sport und Politik,
findet aber statt zu einem gesunden Skeptizismus zunehmend zum euphorischen
Tonfall einer Sportberichterstattung zurück. Das passt zum Titel des Buches
“Playing The Enemy: Nelson Mandela And The Game That Changed a Nation” von John
Carlin, auf dem der Film basiert. Carlin beschreibt in seinem Buch, wie Mandela,
der während seiner Haft im Gefängnis von Robben Island selbst die
Gegner das südafrikanischen Rugby-Teams unterstützte, die Sportbegeisterung
seiner Landsleute nutzte, um seine Politik der Versöhnung umzusetzen. Als
Mandelas Beraterin ihn im Film einmal fragt, ob sein plötzliches Interesse
am Rugby politisch motiviert sei, entgegnet er: “Nein. Es ist menschlich.”
Entsprechend
staatstragend fällt auch Eastwoods Film aus. Morgan Freeman ist nun endlich
als Nelson Mandela zu sehen, eine Rolle, auf die er seine ganze Karriere lang
warten musste (nachdem er bisher lediglich amerikanische Präsidenten spielen
durfte). Und er füllt sie mit dem nötigen präsidialen Ernst aus.
Der Oscar für die beste männliche Hauptrolle ist ihm eigentlich sicher.
“Invictus” gehört zu der Sorte Hollywood-Film, um den die Academy-Juroren
im Grunde nicht herum kommen. Eastwood kapriziert sich auf die Tugenden des
klassischen Erzahlkinos. Dass damit auch eine gewisse Naivität einhergeht,
muss billigend in Kauf genommen werden. In “Invictus” treibt Mandelas gemischter
Sicherheitsstab die nationale Versöhnung, trotz anfänglicher Abneigung,
mit gutem Beispiel voran. “Vergebung,“ sagt Freeman zu seinem Sicherheitschef,
“fängt hier im Präsidentenpalast an.”
Den
großen gesellschaftlichen Entwurf darf man von Eastwoods Filmen sicher
nicht mehr erwarten. Ihre moralischen Grundlagen lassen sich vielmehr von starken
Charakterzeichnungen und den menschlichen Tugenden seiner Figuren herleiten.
Das darf dann auch gerne mal etwas etwas plakativer ausfallen. In “Gran Torino”
konnte man dank Eastwoods ironischer Selbstdemontage über solche Schwächen
noch hinweg sehen. Im konventionellen Format des Sportdramas dagegen ist die
Banalität dieser gesellschaftliche Utopie geradezu frappierend.
Andreas
Busche
Eine ähnliche Version dieses Textes ist zuerst erschienen in: epd Film
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Invictus
- Unbezwungen
USA 2009 - Originaltitel: Invictus - Regie: Clint Eastwood - Darsteller: Morgan Freeman, Matt Damon, Tony Kgoroge, Patrick Mofokeng, Matt Stern, Julian Lewis Jones, Adjoa Andoh - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 6 - Länge: 133 min. - Start: 18.2.2010
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