zur startseite
zum archiv
It’s
a Free World
Ken Loach hat mit "It's a Free World"
wieder einen Ken-Loach-Film gedreht: Seine Heldin Angie kämpft gegen die
Mächte des Marktes und des eigenen Karrierrewunschs.
Dies ist die nächste Globalisierungs-Liberalismus-Parabel
im realistischen Modus von Ken Loach. Es ist die Sorte Film, von der es heißt,
dass nur Ken Loach sie dreht. Es ist auch die Sorte Film, die der deutsche Regisseur
Ulrich Köhler, ein sehr politisch denkender Mensch, in seinem Bekenntnis
"Warum
ich keine 'politischen' Filme mache"
als Musterbeispiel anführt. Es ist die Sorte Film, gegen die man wenig
sagen kann, weil sie ja das Herz auf dem rechten Fleck haben und weil sie wirklich
da hin gehen, wo es weh tut. Nicht mal im oberflächlichen Sinn verlogen
sind sie. Und trotzdem: Richtig gut ist auch Ken Loachs "It's a Free World"
wieder nicht.
Seine Heldin heißt Angie, gespielt
von Kierston Wareing, die das hervorragend macht, wenngleich sie schon ein bisschen
zu schön und zu selbstbewusst ist, um ganz wahr zu sein. Sie hat einen
Job, der ist nicht toll, aber sie macht ihn gut. Sie wirbt als Beschäftigte
einer darauf spezialisierten Agentur in Osteuropa Gastarbeiter an, die in Großbritannien
dann die Sorte Jobs kriegen, die keine/r gern macht. Eines Abends wehrt sich
Angie gegen die sexuellen Avancen eines Vorgesetzten. Tags drauf ist sie gefeuert,
natürlich haben sich andere als die wahren Gründe gefunden.
Am System, dessen Teil sie war, zweifelt
Angie nicht. Mit einer Freundin - sie heißt Rose (Juliet Ellis) - macht
sie vielmehr ihre eigene Wir-AG auf und die beiden versuchen, sich mit einer
Zeitarbeits-Agentur auf einem schwierigen und unregulierten Markt zu behaupten.
Hindernisse und Probleme lauern auf allen Seiten. Steuern zu zahlen können
die beiden sich erst mal nicht leisten. Anderen, viel größeren Agenturen
ähnlicher Art, sind sie recht bald im Wege. Angie selbst und auch Rose
tragen miteinander - und vor dem Gerichtshof ihres Gewissens auch in sich selbst
- Kämpfe aus darum, ob sie noch auf der Seite des Guten stehen.
Dass er darauf keine ganz eindeutige Antwort
gibt, ist erst einmal die Stärke von Ken Loachs Film. Als Hin- und Hergerissene
porträtiert er seine Hauptfigur, der man die Sympathie nicht und bei Gelegenheit
dann die Verachtung nicht verweigern kann. Und darf. Denn natürlich meint
Loach auch das wieder durch und durch exemplarisch. Die kapitalistische Welt,
wie sie ist, macht es dem Individuum im Zweifelsfall (fast) ganz unmöglich,
den kategorischen Imperativen zu folgen, die die Menschen zusammenhalten könnten,
da, wo der Markt und die Macht und der Ehrgeiz sie auseinanderzureißen
drohen.
Das ist ganz auf der Linie des Ökonomen
und Moraltheoretikers Adam Smith gedacht, der der unsichtbaren Hand der Marktmächte
die moralischen Regungen des einzelnen als anderes der vom Markt produzierten
a-humanen Effekte gegenüberzustellen versuchte. Ken Loachs These ist so
einfach wie klar: Wo das eine - der Markt - herrscht, da zersetzt er - von episodischen
Rückfällen abgesehen - im Zweifel auch die moralischen Regungen der
Individuen. Angie ist dieses exemplarische Individuum, das vor den Augen des
Betrachters in den im Grunde guten und in den von Kräften, die stärker
sind als sie selbst, ins Böse gerissenen Menschen zerfällt.
Nicht die These ist das Problem des Loach-Kinos,
sondern das Exemplarische. Weil es ein Thesen-Umsetzungs-Kino ist, sind auch
die Figuren immer nur zu Individuen belebt - ohne lebendige Individuen zu sein.
(Die Dissertation darüber, was genau der Unterschied ist, schreibe ich
hier und jetzt nicht.) Natürlich tun die Darstellerinnen und Darsteller
ihr Möglichstes. Sie haben aber keine Chance, etwas anderes zu werden,
als besonders scheinlebendige Illustrationen dessen, was sie in der unsichtbaren
Hand von Drehbuchautor und Regie zu sein und zu werden haben. Oder, um es überspitzt
und so pointiert zu sagen, dass es auch schon wieder unfair ist: Die moralische
Unfreiheit, die Ken Loach und Paul Laverty zu beklagen nicht müde werden,
reproduzieren sie als ästhetische selbst. Sie machen es sich und uns -
ästhetisch, darum aber auch intellektuell wie moralisch - viel zu leicht,
noch da, wo sie illustrieren wollen, wie schwer es ist, in unserer Gesellschaft
zu leben.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen im: www.perlentaucher.de am 26.11.2008.
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
It's
a Free World
Großbritannien / Italien / Deutschland / Spanien / Polen 2007 - Regie: Ken Loach - Darsteller: Kierston Wareing, Juliet Ellis, Leslaw Zurek, Joe Siffleet, Colin Coughlin, Maggie Hussey, Raymond Mearns, Davoud Rastgou - FSK: ab 12 - Länge: 92 min. - Start: 27.11.2008
zur startseite
zum archiv