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Jaffa - The Orange's Clockwork
Eyal Sivan versucht
in seiner Dokumentation über die "Jaffa"-Orange,
die Möglichkeit des friedlichen Zusammenlebens von Juden und Palästinensern
in einem gemeinsamen Staat historisch plausibel zu machen.
Die Jaffa-Orange ist eine besondere
Frucht. Sie schmeckt gut, ist süß und fast kernlos, aber das ist
an ihr der mit Abstand uninteressanteste Punkt. Viel spannender: Ihre Geschichte,
die Geschichte ihres Anbaus in Palästina, ihres Exports in die ganze Welt
lässt sich als Geschichte des jüdisch-arabischen Konflikts in Palästina
erzählen. Genau das unternimmt in seinem jüngsten Film "Jaffa - An Orange's Clockwork" Eyal Sivan, der
hoch umstrittene israelische Dokumentarfilmregisseur.
Hoch umstritten ist er wegen seiner israelkritischen
Äußerungen, aber auch wegen seiner Filme, darunter der Eichmann-Prozess-Essay
"Der Spezialist" und "Route 181", ein dokumentarisches Roadmovie
(mit Michael Khleifi gedreht). Er folgt darin der in der UNO-Resolution 181
im Jahr 1947 festgesetzten Grenze, die einen noch zu bildenden jüdischen
von einem noch zu bildenden palästinensischen Staat trennen sollte. Die
Kritik von der israelischen Politik freundlich gesinnten, im Kern prozionistischen
Autoren wie Claude Lanzmann und Alain Finkielkraut war überaus
heftig. Allzu leichtfertig und provokationsfreudig, durfte man denken, spielte
Sivan in dem Film nämlich mit suggestiven Analogien der
israelischen Palästinenser- zur nationalsozialistischen Unterdrückungs-
und Lagerpolitik.
Sivan zieht sich diese Kritik gerne zu, vielleicht sogar lustvoll.
Mit seiner massiven Verurteilung der israelischen Politik, seiner dezidiert
postzionistischen Position vertritt er eine Haltung radikaler Selbstkritik der
israelischen Gesellschaft. Er sieht das zionistische Erbe und damit Israel als
durch die Shoah mit besonderer Legitimation versehenen "jüdischen
Staat" immer auch in der Tradition westlicher Kolonialisierung des Orients.
Was er sich als Zukunftsmodell vorstellt, wird in "Jaffa",
blickt man genauer hin, in der historischen Rekonstruktion deutlich. Der Orangenanbau
in Palästina reicht zurück vor die starken Schübe der in der
Regel zionistisch inspirierten Neubesiedlung der Region. So wurde etwa die heute
weitgehend homogen jüdische Stadt Tel Aviv (bzw. mit vollem Namen Tel Aviv-Yafo) im Jahr 1909 als jüdische Erweiterung der damals wichtigen
arabischen Hafenstadt Jaffa gegründet. In Jaffa lagen
jahrzehntelang die größten Orangenhaine des Landes. "Jaffa" wurde zur Marke, zum Namen für Orangen aus Israel: Als
Jaffa-Orangen wurden auch die Früchte aus anderen Regionen
des Landes später in alle Welt versandt, als bedeutendster Exportartikel
Israels.
An dieser Frucht, der Geschichte ihres Anbaus, ihrer
Ernte und vor allem an der mit ihr betriebenen Symbolpolitik zeichnet Eyal Sivan das jüdisch-arabische Verhältnis in Palästina
nach. Einerseits als Historiker erster Ordnung auf der Suche nach Fakten, Ereignissen
und ihrer Wahrheit. Dazu befragt er Zeitzeugen, einen Araber etwa, der in der
Orangenindustrie von Jaffa schon vor 1948 als Mechaniker tätig war. Vor allem
aber begreift sich Sivan als Dokumentarfilm-Vertreter der Cultural Studies. Er
sucht sich eine Reihe ausgewiesener Experten zusammen, Kennerinnen und Kenner
der Materie, Historiker teils, aber auch eine Fotokuratorin darunter, ein Maler,
Israelis und Palästinenser. Die Auswahl freilich ist einseitig, alle teilen
sie mehr oder weniger die öffentlich bekannte Haltung des Filmemachers
Sivan. (Oder falls sie es nicht tun sollten, interessiert
Sivan, wie bei für die Jaffa-Werbung
Zuständigen, in erster Linie ihr ideologiekritisch ausbeutbarer
Blick.)
Cultural Studies heißt: Produkte der Information,
der Propaganda, Werbepostkarten, Propagandafilme werden ideologiekritisch unter
die Lupe genommen. Es geht um den Einsatz orientalistischer Versatzstücke,
teils eindeutig im Vordergrund, teils hinter strahlendem westlichen Jungen als Kamele im Schattenriss. An einem Filmbeispiel, das die
sozusagen natürliche Beziehung von Juden zum palästinensischen Land
vorführen will, erkennt einer der palästinensischen Experten, dass
die das Land bearbeitenden Araber unfreiwillig das bessere Bild der Schollenverbundenheit
abgeben. Ideologiekritisch könnte man einwenden, dass die positive Konnotierung, die im Kommentar dieses Wissenschaftlers zur Schollenverbundenheit
deutlich wird, selbst problematisch genug ist. Weil Sivan aber
eine eindeutige Geschichte erzählen will, weil er das Cultural-Studies-Programm
immer nur interessiert einsetzt, finden sich kritische Anmerkungen dieser Art
in seinem sich neutral gebenden Film nicht.
Im Einzelnen ist gegen das meiste, was die Talking-Heads-Kronzeugen sagen, nicht viel einzuwenden. Die zionistische
Propaganda, die das in nicht zu vernachlässigenden Teilen von Arabern bewohnte
und bearbeitete Land als wüst und leer vorführten, um den kolonialistischen
Aspekt der zionistischen Besiedlungen unsichtbar zu machen, ist als solche offenkundig.
Über Jahrzehnte, bis zur Staatsgründung im Jahr 1948, lief die Zusammenarbeit
zwischen Arabern und Juden im Orangenanbau, das vor allem arbeitet Sivan mit den Zeitzeugenaussagen heraus, friedlich und teilweise jedenfalls
durchaus gleichberechtigt.
Aufs Ganze gesehen wirkt diese Geschichte des "Uhrwerks
Orange" (die Anspielung auf den Kubrick-Film im Untertitel ist etwas bizarr) aber doch klar präpariert.
Eyal Sivan plädiert für ein Ende des "jüdischen
Staats" Israel, für die Wiedereinrichtung jenes von ihm nach Möglichkeit
idealistisch gezeichneten Zustands vor 1948, in dem Araber und Palästinenser
friedlich gemeinsam den Grund und Boden Palästinas bewohnten und bearbeiteten.
Sivans Postzionismus ist ein säkularer Antinationalismus,
also in der Theorie eine erfreuliche Sache. Nur konsequent ist es denn auch,
dass er auf allen Podien gegen einen Sonderstatus Israels Stellung bezieht,
dass er ein Ende des "Auschwitz-Kredits" (Sivan) mal
einklagt bzw. für ohnehin bereits eingetreten hält.
Die guten Gründe, mit denen man das in der Praxis
für eine lebensgefährliche Position halten kann - und zwar lebensgefährlich
für die Existenz Israels und damit aber auch der Juden in Palästina
-, sind bekannt. Mit voller Absicht stellt sich Sivan in seinen
durch ideologiekritische Theorie gut abgesicherten Cultural-Studies-Lektüren
doch geschichtsblind. Der Glaube daran, dass die in Jahrzehnten der Existenz
Israels geschaffenen Fakten, und das heißt nicht zuletzt die völlig
unmissverständliche Vernichtungswut auf arabischer Seite, sich in der Gründung
eines gleichberechtigt israelisch-arabisch-(christlich)en Brüderstaats
in Luft auflösen würden, scheint so naiv, dass man sie einem mit den
Wassern der Ideologiekritik gewaschenen Mann wie Sivan kaum
zutrauen mag.
Diese Naivität freilich bringt er in "Jaffa" in raffinierter Suggestion, und das heißt: zuletzt doch
hoch ideologisch, zur Geltung. Es sind dann die freundlichen alten arabischen
Herren nicht einfach mehr Zeitzeugen für die Erinnerung an bessere Zeiten.
Sivan macht sie zu Bürgen für eine mögliche
Zukunft. Im Gesamtbild, das dieser scheinbar neutrale Film entwirft, tragen
sie implizit die Behauptung auf ihren Schultern, dass sich die Araber insgesamt
nach nichts anderem sehnen als der Rückkehr zur friedlichen Kooperation
in den Orangenhainen einer geteilten Heimat mit Namen Palästina. "Jaffa" ist ein Film, der die Verkitschung der mit viel
Gewalt verbundenen Staatsgründung Israels überzeugend kritisch vorführt.
Selbst aber ist er da, wo er selbst ideologisch wird, gegen im Kern ebenso verkitschte
Suggestionen ganz und gar nicht gefeit.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen in: www.perlentaucher.de
Jaffa - The Orange's
Clockwork
Israel / Deutschland / Frankreich / Belgien 2009 - Regie:
Eyal Sivan - Darsteller: (Mitwirkende) Haïm Gouri, Elias Sanbar - Fassung: O.m.d.U. - Länge: 88
min. - Start: 14.10.2010
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