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Jerichow
Harte
Währung Liebe
Nach Gespenster,
nach dem rätselhaften Zwischenreich von Yella,
ist Jerichow in der äußeren, der äußersten Wirklichkeit
aufgeschlagen. Die Prignitz ist hier nichts für Spaziergänger, die
Härte des Asphalts der Landstraßen kann man spüren, die Härte
und Aggressivität der teuren Automobile ist zu sehen, dafür braucht
Hans Fromms Kamera keine Schwenks über Chrom und Lack. Und natürlich:
Wer hat den härteren Blick, wer hält den Augen des anderen länger
stand? Fast zu aufdringlich (ein wenig an die Kies-Auffahrten der Fernsehkrimivillen
erinnernd) schildert der Ton das Auftreten der Protagonisten auf Holzdielen
oder Gartenwegen. Mit dem Stapeln der Kisten, dem Zuschlagen der Autotüren
liefert der Ton alleine schon eine Erzählung von der Beschaffenheit der
Welt.
Und immer wieder fallen die Protagonisten
hin. Es beginnt ganz leicht: Beiläufig und heimtückisch wie eine Messerstecherei
ist das Duell zwischen André Hennicke und Benno Fürmann. Einen Moment
nur braucht es, und das romantische Kinderbaumhaus ist als Geldversteck entzaubert.
Geld ist, wie schon in Yella, das Blut, das durch die Adern der Filmhandlung
pulsiert; wie das echte wird es nur sichtbar, wenn es aus den Verstecken herausgerissen
wird. Hilmi Sözers Ali hat genug, doch liegt er ständig im Zweikampf
mit sich selbst, das gute Herz mit dem Geschäftssinn, wenn er tagtäglich
bei seinen 45 Imbissbuden abkassiert. Beim Autofahren holt er sich eine blutige
Nase.
Der Farocki-Schüler Christian Petzold
hat einen Dokumentarfilm über Körper gedreht, über Hilmi Sözers
brummiges und gutmütiges Gesicht, seine dumpfe Stirn und über Benno
Fürmanns Muskeln. Nina Hoss bleibt da erstmal nur ihr Gang, ein beiläufiges
Schlendern, bis sie überraschend zugreift. Kurze Berührungen, schneller
Sex im Flur mit Fürmann, während Sözer betrunken nebenan liegt.
Alles ist Raub in diesem Film, Privatbesitz, der immer wieder von neuem zusammengerafft
werden muss. Klar wie die sonnendurchfluteten Aufnahmen und Einstellungen des
Films liegt hier vor Augen, dass es mit den Dreien nicht gutgehen kann. In diesem
durch und durch genrehaften Plot bedarf es keiner (sichtbaren) Manipulation
des Autors, um Momente zu zerdehnen und permanente Suspense über die Bilder
zu legen. Die Gegenwärtigkeit selbst der entrückten Szenen vom Ausflug
an die Ostsee ist immer durch das Ungleichgewicht der Dreierkonstellation gefährdet
und von der nie sichtbaren Vergangenheit, die die Protagonisten immer wieder
einholt. Dabei wirkt die kammerspielartige Situation der Handlung nicht einmal
konstruiert: Sie scheint vorgefunden in einem Niemandsland, das von Landstraßen
zerteilt und den gelben Schildern der Bundesstraßen kartographiert ist,
diese Gegend, durch die man bisweilen mit dem Auto fährt, durch das Fenster
ein einsames Haus sieht und denkt: »Da kann doch keiner wohnen.«
Vieles, die reduzierte, karge, lichtdurchflutete Plein-air-Bildsprache des Films
mit nur wenig wechselnden Einstellungsgrößen, die Hitze, die permanente
Nichterfüllung, erinnert an Claude Chabrols Der
Schlachter, einen der
schönsten und größten Filme aller Zeiten. Und auch Jerichow
handelt vom Rückfall in die Barbarei, die Protagonisten sind zurück
geworfen in einen Überlebenskampf. Liebe ist ohne Geld nicht zu haben,
nicht im platten Käufliche-Liebe-Sinn, sondern weil Geborgenheit, Glück
und materielle Sicherheit eins geworden sind. Die Tragödie hinter diesem
extrem spannenden Thriller liegt aber darin, dass alle Figuren noch Anstand,
Moral, Gewissen, Herz mit sich tragen. Für die neue Beschaffenheit der
Welt sind sie nicht hart genug, doch was sie wirklich fürchten, ist ihre
menschliche Größe. Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn dieser
Film seinen Urhebern nicht auch materiell reichen Erfolg einbrächte.
Thomas Warnecke
Dieser Text ist zuerst erschienen im: schnitt
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Jerichow
Deutschland
2008 - Regie: Christian Petzold - Darsteller: Benno Fürmann, Nina Hoss,
Hilmi Sözer, André M. Hennicke, Claudia Geisler, Marie Gruber, Knut
Berger - FSK: ab 12 - Länge: 92 min. - Start: 8.1.2009
Zur DVD
Label: Piffl Medien
Genre: Drama
Produktion: Deutschland
DVD ab 25.09.2009 im Handel
technische Angaben
FSK: 12
Laufzeit: 93 min
Tonformat: Dolby 5.1, Dolby 2.0
Bildformat: 16:9
Sprachen: Deutsch
Untertitel: englisch, französisch
Extras: Making Of, Audiokommentar des Regisseurs, Ausführliches Booklet
Ländercode: 0
Vertrieb:
Indigo
EAN 4047179336086
Best.-Nr. DVD 933608
erhältlichbei: goodmovies.
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