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Jud Süß - Film ohne Gewissen
Nicht ich, Joseph Goebbels war's
Oskar Roehler
arbeitet sich mit "Jud Süß - Film ohne Gewissen" an Veit
Harlans Propagandafilm und dessen Hauptdarsteller ab - und
Moritz Bleibreu rampensaut den Goebbels.
Veit Harlans "Jud Süß"
aus dem Jahr 1940 ist ein berüchtigter Film. Aus doppeltem Grund: Zum einen
hetzte er gegen Juden und förderte damit ein gesellschaftliches Klima,
in dem die Deportation und die Einrichtung von Ghettos im besetzten Polen akzeptiert
wurden. Er ging subtiler vor als Fritz Hipplers im selben Jahr
entstandener Pseudo-Dokumentarfilm "Der ewige Jude", da er die Hetze
in ein melodramatisches Gewand hüllte. Die historische Figur des Joseph
Süß Oppenheimer (1698-1738), der als Hoffaktor des Herzogs Karl Alexander
von Württemberg tätig war und nach dessen Tod in Ungnade fiel, diente
dabei eher als Vorwand denn als Vorlage.
Nach Kriegsende geriet "Jud Süß"
ins Visier der Alliierten und wurde verboten. Seither wurde der Bann zwar modifiziert,
aber nie ganz aufgehoben, und darin liegt der zweite Grund, weshalb Harlans Film berüchtigt ist: Er ist so gut wie unbekannt. Der größte
Teil der NS-Kinoproduktionen ist heute frei zugänglich, Komödien mit
Heinz Rühmann laufen im Fernsehen, selbst Leni Riefenstahls Machwerk "Tiefland",
für den die Regisseurin Roma-Statisten im Konzentrationslager castete, läuft unkommentiert, etwa im Berliner Zeughaus-Kino. "Jud Süß" dagegen kann nur sehen, wer einer nichtöffentlichen,
strikt dem Bildungsinteresse verpflichteten Vorführung beiwohnt. Die Gelegenheiten,
sich aus eigener Anschauung mit der Machart und den Funktionsweisen dieses Hetzfilms
zu befassen, sind also rar. Der historisch-kritische Zugang bleibt wenigen Spezialisten
vorbehalten, obwohl er Voraussetzung für eine nachhaltige Entzauberung
wäre. Felix Moellers Dokumentation "Harlan - Im Schatten von ,Jud Süß' "
springt zwar in die Bresche, die Leerstelle füllen freilich kann auch sie
nicht.
Das hat Folgen. Je restriktiver der Umgang mit "Jud Süß" ausfällt, umso näher liegt es, zu
vermuten, dass Harlans Film eine Sündenbockfunktion innehat. Solange er
im Giftschrank bleibt, hat man Carte blanche, die
übrigen NS-Filme ohne große Seelennot zu schauen und zu genießen.
An "Jud Süß" kristallisiert sich zudem, wie
schwer es fällt, Schuld an den Verbrechen des Nationalsozialismus einzugestehen
und Verantwortung dafür zu übernehmen. Denn dass man sich nicht näher
mit dem Film befasst, bedeutet ja auch: Lieber gibt man sich einem diffusen
Schuldgefühl anheim, als sich überhaupt darüber in Kenntnis zu
setzen, wofür man sich schuldig fühlt.
Dabei wäre doch genau das wichtig: in Erfahrung
zu bringen, mit welchen Mitteln Harlan das Szenario einer jüdischen Bedrohung
entwirft. Die Rechteinhaberin, die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, täte
deshalb gut daran, öffentliche, kommentierte Vorführungen zuzulassen;
so könnte man zum Beispiel beobachten, wie raffiniert Harlan sich die Symbolik
der Türen und Tore zunutze macht. Erst öffnet der Herzog (in Harlans Film von Heinrich George gespielt) dem reichen Frankfurter Juden
Joseph Süß Oppenheimer (Ferdinand Marian) die Pforten, damit er den
Reichtum des Herzogs auf Kosten des Landadels mehrt. Oppenheimer, so will es
Harlans Inszenierung, sorgt im Folgenden dafür, dass Juden
aus dem Frankfurter Ghetto in Stuttgart geradezu einfallen.
Die Statisten für die entsprechenden Szenen fand
der Regisseur im eben errichteten Ghetto von Lublin, in Sachen Castingmethoden kannte er so wenig Skrupel wie Leni Riefenstahl. Kaum
sind Süß und die seinen in der Stadt, müssen die jungen deutschen
Frauen um ihre Unversehrtheit bangen. Denn bei Harlan ist Süß ein
Eindringling, der zunächst die Tore der Stadt Stuttgart weit aufstößt
und sich dann gewaltsam an die blonde, von Kristina Söderbaum
gespielte Unschuld heranmacht. Harlan inszeniert eine Bewegung des Einfallens,
des Penetrierens, während zeitgleich die Nazis die deutschen Juden aus
den Städten und Dörfern deportieren. Der Film mündet in die Verkündung
eines Gesetzes: "Alle Juden haben innerhalb dreier Tage Württemberg
zu verlassen", heißt es, und weiter: "Mögen unsere Nachfahren
an diesem Gesetz ehern festhalten, auf daß ihnen viel Leid
erspart bleibe an ihrem Gut und Leben und an dem Blut ihrer Kinder und Kindeskinder."
Oskar Roehler ist ein Regisseur,
der in Fahrt kommt, sobald er ein Tabu wittert. Deshalb passt es, wenn er sich
mit "Jud Süß - Film ohne Gewissen" an Harlans Film abarbeitet. Indem er die Geschichte des Schauspielers Ferdinand
Marian in den Mittelpunkt seines Films rückt, versucht er zu erhellen,
welche Mixtur aus äußerem Druck, Selbstbesoffenheit und Mitläufertum Marian (Tobias Moretti) dazu brachte, die Rolle anzunehmen.
Roehlers Begehren ist nicht per se fehl am Platze, im Gegenteil;
es steht nur in einem seltsamen Missverhältnis zu seinem Vermögen.
Denn "Jud Süß - Film ohne Gewissen" ist in erster
Linie eine farbentsättigte Ruine. Platz findet darin die pädagogisch wertvolle
Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, eine Auseinandersetzung, die
ihr Publikum umso mehr bevormundet, je besser sie weiß, wie das Dargestellte
zu beurteilen ist. Beflissen zeigt Roehler - und noch beflissener
sprechen die Figuren aus -, wie viel Unheil Harlans Film
anrichtet. Das geht so weit, dass in einer Szene die Kamera über Wald und
Wiesen schwenkt, bevor sie bedeutungsvoll an einem Wegweiser innehält:
"Oswiecim 3 km" steht darauf. Verschwommen bleibt, was nun
genau das Böse ist und wie es funktionierte.
Zum Zuge kommt dabei überdies genau die Entschuldigung,
auf die sich nach Kriegsende so viele Deutsche beriefen: Ich wars nicht, Joseph Goebbels ists gewesen! Immer wieder
baut Roehler entlastende Momente ein, indem er seine Akteure als
Mitläufer darstellt. Was sie tun, geschieht unter Druck von oben. Goebbels
diktiert Harlan, wie er das Drehbuch bearbeiten soll; er diktiert den Journalisten,
was sie über den Film schreiben sollen (pikanterweise benutzt Goebbels
in der entsprechenden Szene das Wort "Filmkritik", obwohl der reale
Propagandaminister dieses Wort aus dem Sprachgebrauch verbannen wollte); er
diktiert Marian, dass er Jud Süß zu spielen habe, und er setzt den Schauspieler,
als der sich sträubt, unter Druck, indem er droht, dessen halbjüdische
Ehefrau (die es im realen Leben nicht gab) zu verhaften. Kurz: In Roehlers Film hat der von Moritz Bleibtreu mehr gerampensaute denn gespielte Goebbels alle Fäden in der Hand.
Sowohl Harlan als auch Marian hängen wie Marionetten an seinem ewig wedelnden,
aufschießenden, in die Luft stechenden Zeigefinger. Roehler hätte
diesem Finger das Zeigen und Diktieren austreiben können. Aber das hat
er sich nicht getraut.
Was ihm außerdem fehlt, ist ein Bewusstsein für
das Problem, dass der Originalfilm so gut wie unsichtbar ist. "Jud Süß - Film ohne Gewissen" erfindet, erdichtet und
spitzt zu, ohne dass er bei seinem Publikum detailliertes Wissen über Harlans Film voraussetzen könnte. Und wo der historisch-kritische Zugang
gar nicht möglich ist, ist es vielleicht keine so gute Idee, den Umweg
über das Melodrama zu wählen.
In Roehlers Logik ist dieser
Einwand sicher nichts anderes als ein Ausweis jener Scheu, mit der sich Intellektuelle
das Beunruhigende vom Leib halten, indem sie es sezieren, analysieren und einordnen.
Und wer weiß, vielleicht ließe sich der Einwand tatsächlich
vernachlässigen, ginge Roehler denn so unverfroren wie Quentin Tarantino mit seinen
"Inglourious Basterds"
ans Werk. Doch an dessen querschießende Fantasieproduktion erinnert nur
eine einzige Sequenz. Ferdinand Marian - man muss es in dieser Drastik sagen
- fickt die von Gudrun Landgrebe gespielte Gattin eines Lagerkommandanten, und
zwar auf einem Dachboden, mit Ausblick in den Nachthimmel, in dem Bomben fallen
und das Mündungsfeuer der Flugabwehr leuchtet. Die Frau verwechselt den
Schauspieler mit der Filmfigur, und genau das erregt sie: dass sie sich von
einem Juden nehmen lässt. In diesem Moment scheint auf, was Roehlers Film hätte werden können, eine exaltierte, geschmacklose
und deshalb umso treffsicherere Annäherung an eine fatale Begehrensstruktur
auf der Seite der Täter.
Durch Ausgrenzung werden die Juden zu den "Anderen"
gemacht, als solche heimlich begehrt und schließlich dafür, dass
sie Objekt dieses unstatthaften Begehrens werden, mit Hass und Verfolgung bestraft.
Jenseits des Nazi-Exploitation-Kinos gibt es nicht viele Filmemacher, die es wagen,
die Zusammenhänge von sexuellem Begehren und nationalsozialistischer Politik
zu erforschen; Jutta Brückner hat es vor fünf Jahren mit "Hitlerkantate"
versucht, wahrgenommen wurde ihr Film kaum. "Jud Süß
- Film ohne Gewissen" genießt mehr Aufmerksamkeit und hat weniger
Fortune.
Cristina Nord
Dieser Text ist zuerst erschienen in der: taz
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Jud Süß - Film ohne Gewissen
Deutschland 2010 - Regie: Oskar Roehler - Darsteller:
Tobias Moretti, Martina Gedeck, Moritz Bleibtreu, Justus von Dohnányi,
Armin Rhode, Martin Feifel, Ralf Bauer, Robert Stadlober, Paula Kalenberg,
Milan Peschel - FSK: ab 12 - Länge: 114 min. - Start: 23.9.2010
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