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Jud Süß - Film ohne Gewissen
Oskar Roehler ist ein Filmemacher,
der etwas riskiert. Das geht, gelegentlich, in Zonen von Intimität und
Peinlichkeit, aber immer weiß man, dass etwas auf dem Spiel steht beim
Filmemachen, dass es Bilder gibt, die man nicht absichern und nicht zurücknehmen
kann. Auf den ersten Blick überrascht, dass „Jud Süß
– Film ohne Gewissen“ eine fast schon konventionelle Spielfilm-Dramaturgie aufweist,
ins Schauspieler- und Ausstattungskino lockt, Geschichte in psychologischem
Realismus, Melodram und in geordneten Syntagmen auflöst, wie es andere
tun; auf das, worauf der Film wirklich hinaus will, kommt man erst, wenn man
auch diese Oberfläche als Teil eines komplizierteren und nun eben doch:
riskanten Spiegel-Spiels zwischen Film, Geschichte und Psyche akzeptiert. Es
geht um die Mitschuld der (Film)-Kunst im Nationalsozialismus und darum, wie
sie erzeugt wurde.
Machen wir uns nichts vor: Es gibt keine „richtigen“
oder „falschen“ Filme über den Nationalsozialismus, für jede Perspektive
gibt es ein Für und Wider, für jede künstlerische Methode Argumente
und Gegenargumente. Und jedes Mal lohnt die Auseinandersetzung, auch der Streit.
Man kann nur lernen. Umso erstaunlicher erscheint mir das Verhalten des deutschen
Publikums. Da scheint es nur Filme zu geben, die, wie man so sagt, einen Nerv
treffen und ein großes Publikumsbeben auslösen, deutscher Hitler-Kitsch
à la „Der Untergang“ oder amerikanische Frechheiten wie Tarantinos „Inglourious Basterds“,
und andere Filme, die man mehr oder weniger höflich ignoriert. Es ist,
als würde man sich allen Filmen verweigern, die eine kritische Mitarbeit
erfordern oder nicht in eindeutige Statements zu übersetzen sind.
Auch die Kritik tut sich schwer, man einigt sich eher
informell über das, was man eigentlich von einem Film über die Zeit
des Nationalsozialismus verlangen darf, und es schleicht sich schneller als
anderswo ein hysterischer oder unehrlicher Unterton in die Debatte. Oskar Roehlers „Jud Süß – Film ohne Gewissen“, von dem man nicht
recht weiß, ob es mehr ein deutscher oder eher ein österreichischer
Film ist (und gänzlich unwichtig für den Diskurs ist das nicht), ist
bei seiner Festival-Premiere erst einmal ungnädig bis verständnislos
aufgenommen worden. Geschichtsverfälschung, gar „Exkulpation“ hat man ihm
vorgeworfen. Und dann lieber gleich das Hinschauen und Nachdenken eingestellt.
Es ist die Geschichte eines Menschen von, sagen wir,
eher durchschnittlichem Charakter, Ferdinand Marian, ein aus Österreich
stammender Gebrauchsschauspieler im deutschen Unterhaltungsfilm, dem von Goebbels
und Regisseur Veit Harlan „die Rolle seines Lebens“ angeboten wird, die Titelrolle
des antisemitischen Hetzfilms „Jud Süß“. Der Schauspieler
windet sich und versucht der Falle zu entkommen, zunächst vor allem aus
pragmatischen Gründen, er fürchtet, später auf „jüdische“
Charaktere festgelegt zu werden. Natürlich locken andrerseits Geld und
Ruhm. Goebbels und Harlan sind sich einig, genau den wollen sie haben, und in
einer Mischung aus Verführung und Zwang drängen sie ihn in die Einwilligung.
Schon während der Dreharbeiten verschärfen sich die Konflikte in seinem
Umfeld, zwischen ihm und seiner Frau Anna steht es nicht nur wegen seiner ständigen
Untreue nicht zum besten, das Pflichtjahrmädchen denunziert den jüdischen
Kollegen und Freund Deutscher, den die Marians im Gartenhaus untergebracht haben,
es wird bekannt, dass Marians Frau „Halbjüdin“ ist. Natürlich wird
der Film ein Riesenerfolg, erfüllt erschreckend seine Aufgabe, letzte Hemmungen
bei der Menschenvernichtung zu beseitigen, und natürlich bekommt Marian
nicht nur ein paar Privilegien sondern auch die Macht des Regimes zu spüren.
Das Dienstmädchen gelangt nach oben an der Seite eines SS-Mannes, Marian
kann sich nicht zur Emigration durchringen; nachdem er Goebbels ins Gehege gekommen
ist, wird seine Frau verschleppt und später ermordet. Marian hat ein paar
hilflose, betrunkene Auftritte, eine Geliebte, ein verpfuschtes Leben. Nach
dem Krieg begegnet er auf einem Sommerfest Deutscher wieder, der ihn an sein
Versprechen erinnert: Der Film werde keine Propaganda sondern Kunst. Marian
wird von den KZ-Überlebenden malträtiert, seine Geliebte hat die Gelegenheit
ergriffen und sich einen amerikanischen Offizier geangelt, Marian setzt sich
betrunken ans Steuer eines Autos und lenkt es gegen einen Baum.
Dieser Ferdinand Marian ist alles andere als ein Nazi,
nicht einmal das Bild eines Opportunisten und Mitläufers passt so recht;
aber er ist eben auch kein Held, nicht einmal ein besonders sympathischer Mensch,
einer, der sich schwer tut, über sich selbst hinaus zu schauen, aber eben
doch auch einer, der dazu gezwungen ist, dem es nicht vollständig gelingt,
sich zu betäuben und sich herauszureden. Die Fragen „Was hätte man
tun können?“, „Was hätte man tun müssen?“ „Was hätte man
nicht tun dürfen?“ stellen sich für diese Person präziser, wenn
man so will eben dramatischer als für die Mehrheit. So einer ist zugleich
drinnen und draußen; er muss nicht nur spielen, sondern sich auch selber
anschauen.
Mit dem historischen Ferdinand Marian hat Roehlers Figur vielleicht gar nicht so viel zu tun. Die Geschichte mit seiner
Frau (und damit natürlich einer der Schlüssel zum Verständnis
der Hauptperson) ist ebenso erfunden wie seine Funktion als „Judenretter“ (das in der Tat kann einem aufstoßen, weil es so
verbreitet in den Legenden der Entschuldung und der Lüge war), auch die
persönliche Beziehung zwischen ihm und Goebbels ist ein Theatereffekt,
keine historische Analyse. Ohne das, zum Mitschreiben, kenntlich zu machen,
wechselt der Film zwischen Biographie und Sinnbild, Zeitbild und surrealistischem
Phantasma. (Die Szene, in der Gudrun Landgrebe als Ehefrau eines KZ-Kommandanten
Marian während einer Bombennacht verführt und die beiden dabei die
Vergewaltigungsszene aus Harlans Film nachspielen, ist ein durchaus drastischer Bruch
mit der Realismus-Konvention, eine riskante, möglicherweise aber notwendige
Geschmacklosigkeit.) Der Schnittpunkt, vielleicht ist es das, was deutsche Kritiker
so aufregt, ist nicht der Diskurs des Opportunismus, nicht der Diskurs der Banalität
des Bösen, sondern es ist der Diskurs der Sexualität.
Was Goebbels und Marian miteinander verbindet ist ein
Fluss unglückseliger sexueller Energie, und darin liegt auch die Frage,
warum eigentlich Marian so sehr „der Richtige“ für diese Rolle war. Denn
Veit Harlans „Jud Süß“ ist nicht nur ein Werk obszöner
Hass-Propaganda, er ist vor allem rassistische Pornographie. Die Mörderpornographie,
die gerade dadurch so perfekt wird, dass Marian seine Figur „menschlich“, vielleicht
sogar autobiographisch macht (und in der Szene, da Marian erlebt, wie der Film
auf junge Soldaten an der Front wirkt, wird ihm nur zu deutlich, wie er an der
Verwandlung sexueller in mörderische Energie mitgewirkt hat). Dass Marian,
in Roehlers Film, auch aus anderen Gründen als der der Propaganda-Identifikation
und der Schuld nicht mehr aus seiner Rolle heraus kommt, berührt ein schwer
kontaminiertes, verborgenes Feld unter der historischen Oberfläche: Die
sexuelle Grundierung des Faschismus.
Ob Roehlers Film bei dem Versuch,
in eine tiefere Schicht vorzudringen, als es bei unserem feinsäuberlich
in Doku-Dramen und Fiktionen getrennten Bilderfluss gewohnt ist, mag man diskutieren. Die Beziehung zwischen Moritz Bleibtreus Goebbels und
Tobias Morettis Marian, die sich wie seltsame Spiegel zueinander verhalten,
die sich in einer grauenhaften Projektion des Begehrens treffen, steht so sehr
im Vordergrund, dass ein paar der Nebenfiguren nur Schemen bleiben. Das ist
stimmig etwa bei der Darstellung des armen Hans Moser, der wie ein verlorenes
Kind durch die Hallen der Nazi-Prominenz geistert, auf der Suche nach jemandem,
der ihm helfen würde, seine verbannte jüdische Frau heim holen zu
dürfen (auch da „übertreibt“ Roehler natürlich in
der Betonung dieses furchtbaren Verkennens), aber für Veit Harlan selber
bleibt nur die Rolle eines gewissenlos opportunistischen Erfüllungsgehilfen,
dabei wäre wohl gerade an ihm (und Kristina Söderbaum,
die hier eine dumme Pute im Hintergrund bleibt) die schwarze sexuelle Energie
des Faschismus durchaus zu studieren.
Ganz gewiss: Die Geschichte des „echten“ Ferdinand Marian
war viel banaler. Er durfte in der Nazizeit anschließend unverdächtige
Hauptrollen spielen, verdiente prächtig und war weder durch sein persönliches
Umfeld erpressbar, noch hätte es einer Erpressung bedurft, und Marian war,
als er unter ungeklärten Umständen aber vermutlich wohl nicht durch
selbstmörderische Impulse ums Leben kam, kurz vor dem Abschluss seines
Entnazifizierungsprozesses. Warum hätte es für ihn nicht genau so
weiter gehen sollen, wie für die anderen auch? Um Oskar Roehlers Film zu akzeptieren, muss man sich von dieser biographischen Blaupause
lösen, ohne allerdings die Wurzeln dieses finsteren Märchens in der
historischen Wirklichkeit zu kappen. Es ist, da wir schon bei Wagnissen sind,
etwas wie eine umgekehrte Pinocchio-Geschichte, von der Marionette, die Mensch sein will
(oder muss): Ein in der Tat „hölzerner“ Darsteller bekommt durch eine böse
Fee die Chance, eine Figur in Fleisch und Blut zu werden, ausgerechnet in einem
Kontext reiner Unmenschlichkeit, er missachtet den Rat seines „guten Gewissens“,
das ihn aber immer wieder einholt und am Ende die Versöhnung verweigert.
Dieser Ferdinand Marian kommt sich selber am nächsten
in der finstersten aller Projektionen und er kann den Blick in seinen Abgrund
nicht überleben. Nicht umsonst erzählt der Heinrich George des Films
Marian zum Einstand einen guten Witz: Der Teufel verspricht dem Schauspieler
die Rolle seines Lebens, er will dafür nur seine Seele als Preis. Und der
Schauspieler fragt zurück: Na schön, aber wo ist der Haken? Die Frage
nach der Kunst und dem Gewissen stellt sich immer wieder, und Roehler zeigt: Sie ist komplizierter als der moralische Diskurs das gern
hätte. Das ist etwas ganz anderes als die übliche Entschuldungsdramaturgie,
auch wenn die Figur so viel „besser“, komplizierter und selbstkritischer dargestellt
wird, als ihr reales Modell war. So gesehen „stimmt“ in diesem Film so gut wie
nichts, und doch schlägt er den einen oder anderen Weg zu einer Wahrheit
vor, die sich uns ständig entzieht, weil wir das Innen und das Außen,
die Macht und die Gefühle, Sexualität und Politik im Faschismus nicht
zusammen zu denken vermögen. Oskar Roehler hat es mit diesem
Film riskiert. Wer etwas riskiert, kann auch scheitern. Aber nie so, wie jene,
die das Risiko scheuen. Im Kino und im Leben.
Georg Seeßlen
Dieser Text ist zuerst erschienen in: www.getidan.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Jud Süß - Film ohne Gewissen
Deutschland 2010 - Regie: Oskar Roehler - Darsteller:
Tobias Moretti, Martina Gedeck, Moritz Bleibtreu, Justus von Dohnányi,
Armin Rhode, Martin Feifel, Ralf Bauer, Robert Stadlober, Paula Kalenberg,
Milan Peschel - FSK: ab 12 - Länge: 114 min. - Start: 23.9.2010
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