zur startseite
zum archiv
zu den essays
Jud Süß - Film ohne Gewissen
Ein Monstrum, aber ein amüsantes
Wie umgehen mit diesem Film? Oskar Roehlers "Jud Süß - Film ohne Gewissen" mangelt es
an eben diesem ganz gehörig und dies, aber nur vielleicht, zum Glück.
Ein Monstrum ist dieser Film, zwischen deutsch-mehlspeisigem
Melodram aus Opas Kino, bizarrer Clownerie und einer den Produzenten, wenn auch
nur sacht, untergejubelten Prise Punk.
Dass Roehler wahrscheinlich selbst
nicht ganz genau weiß, was er mit dem Stoff des Theater- und Filmschauspielers
Ferdinand Marian (Tobias Moretti) anfangen soll, den Goebbels zur Darstellung
des Joseph Süß Oppenheimer in Harlans Propaganda-Melodram
"Jud
Süß" vermutlich zwang
(der Film spitzt hier drastisch zu, was wohl zahmer abgelaufen ist) und diesen
Jud Süß fortan nicht mehr los wurde, ist vielleicht
das beste, was ihm, dem Film, geschehen konnte. Was als Stoff
einlädt zur zweiten Runde "Untergang"
und Herumhitlern (oder eben: -goebbeln), zu einem weiteren
pathosschwangeren Spiel mit der so gerne beschriebenen "Diabolik"
des Dritten Reiches, gerinnt bei Roehler zur absurden Komödie,
der man allzu leicht auf den Leim geht, weil sie die eigene Absurdheit
vermutlich selbst nicht ganz im Blick hat.
Beispiel Moritz Bleibtreu,
Goebbels. Bleibtreu spielt ihn aasig mit einer Extraportion
Schmiere, mit einer zwei Nuancen zu deutlichen Mimesis des rheinischen Einschlags
in Goebbels' Diktion, dass man nicht an Bruno Ganzens Hitler,
auch nicht an die Sportpalastrede, sondern in erster Linie an einen Büttenredner
beim Karneval denken muss, nur das Tätää fehlt. Beim Wutanfall wird Bleibtreus
Goebbels zum zeternden Gockel, jedes Wedeln mit dem Finger bleibt überzogene
Karikatur - der Nazi als Wurst und Gernegroß.
Noch ein Beispiel: Die Szene, die bei der Pressevorführung
im Berlinale Palast spontane "Pfui!"-Rufe auslöste. Beim Galaempfang
nach der Berliner Premiere des Harlan-Films fädelt Goebbels für Marian
die Möglichkeit zum Seitensprung ein: Noch beim Bombenalarm entführt
die Frau, Gattin eines widerwärtigen Nazi-Generals, den gefeierten Star
ins Dachgewölbe des Hauses. Während ringsum die Bomben fallen und
knallen, bespringt Marian die Frau a tergo, vögelt
sie bei offenem Fenster mit Panoramablick auf das brennende Berlin, während
sie lautstark danach verlangt, vom "Juden" genommen zu werden.
Diese bizarre, geradewegs aus dem Exploitationkino in Kosslicks Wettbewerb geschmuggelte Transgression, diese politpathologische
Verquickung von Eros und Thanatos birgt, dem Publikumswohlbefinden als offene, aber nötige
Geschmacklosigkeit vor die Füße geknallt, zum einen wahrscheinlich
mehr poetische Wahrheit in sich als der gesammelte Authentizitätsspleen
der deutschen Film- und Fernsehindustrie der vergangenen Jahre. Dass sie die
fromme Andacht vor dem Nazi-Kinobild mit ordentlichem Tritt aus dem Kinosaal
befördert, ist das zweite. Wohl auch deshalb wurden zum Abspann zahlreiche
"Buh!"-Rufe im Saal laut: Man hat dem Volk seinen bequemen Nazikitsch
nicht zu nehmen.
Dass "Jud Süß - Film
ohne Gewissen" diesen Kitsch im Vorfeld mitunter (schmerzhaft) lange aufbaut,
mag so besehen fast schon als Konzept durchgehen. Lange Zeit fürchtet man,
es handele sich nur um eine weitere fade "Auch Deutsche waren Opfer"-Revue.
Die Mechanismen, mit denen Goebbels den Schauspieler Marian in die ungewollte
Rolle presst, werden minutiös nachvollzogen, dass links wie rechts des
Wegs Juden deportiert werden, kümmert den Film in dieser Konzentration
schmerzhaft wenig: Alles nur historische Kulisse. Marians Erliegen folgt den
Regeln des Melodrams - doch einen melodramatischen Helden macht Roehler nicht aus ihm: Verdammt zur Filmtour durch prollige
Wehrmachtszelte - drei Kilometer vor Auschwitz, informiert ein Schild -, wird
Marian zum lächerlichen Tropf, der sich schwerlich auf ein Podest hieven,
von keiner Seite vereinnahmen lässt. Mit Leitartikeln in einer hessischen
Tageszeitung ist nicht zu rechnen.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen:
Gut ist "Jud Süß - Film ohne Gewissen" nicht. Als
Geschichtsfilm schon seines äußerst freien Umgangs mit den Figuren
wegen nicht zu gebrauchen, seine melodramatischen Wendungen entspringen allesamt
einem Cora-Heft, in seinen besten Momenten ist er ein delirant in
alle Richtungen ausgestreckter Mittelfinger, in seinen schlechtesten abgelaufener
Quark aus dem Discounter. Und doch, als irritierender Moment in der langen Reihe
des Scheiterns, die da "Deutsche Filme über das Dritte Reich"
überschrieben ist, verdient es dieses Monstrum zumindest, vor seinen heftigsten
Kritikern in Schutz genommen zu werden.
Thomas Groh
Dieser Text ist zuerst erschienen am18.02.2010 in: Außer Atem, dem Berlinaleblog vom: www.perlentaucher.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Jud Süß - Film ohne Gewissen
Deutschland 2010 - Regie: Oskar Roehler - Darsteller:
Tobias Moretti, Martina Gedeck, Moritz Bleibtreu, Justus von Dohnányi,
Armin Rhode, Martin Feifel, Ralf Bauer, Robert Stadlober, Paula Kalenberg,
Milan Peschel - FSK: ab 12 - Länge: 114 min. - Start: 23.9.2010
zur startseite
zum archiv
zu den essays