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Jungle
Fever
Eine
große abwinkende Müdigkeit
Der schwarze Regisseur Spike Lee hat
einen Film über die Herrschaft des Rassismus in den USA gedreht: »Jungle
Fever«
»Auch wir sind Amerikaner«
(Titel
der deutschen Ausgabe des integrationistischen Buches von Louis E. Lomax, Düsseldorf
1965)
»Sam
is not my motherfucking uncle« (Ice
Cube, »Death certificate«, 1991)
Rassismus strukturiert in Amerika alle
Lebensbereiche. Diese Wahrheit wird in Europa einfach nicht geglaubt, und daher
findet jeder den Film »Jungle Fever« rassistisch. Dabei stellt er
die beherrschende Rolle des Rassismus gerade dadurch heraus, daß er eine
Geschichte erzählt, die auch ohne Rassismus denkbar wäre: Ein gutverdienender,
junger Architekt mit gebildeter, berufstätiger Frau und reizender Tochter
fängt eine Affäre mit seiner Sekretärin an, die aus beengten
suburbanen Verhältnissen kommt. Wie immer in solchen Fällen determinieren
das berufliche Abhängigkeitsverhältnis und die soziale Kluft den Verlauf
der Affäre, der natürlich kein glücklicher sein kann. Alles -
das kann man sehen, wenn Flipper Purify nachts aus dem Lotterbett hochschreckt
und zu seiner Tochter will, oder wenn Angie ihren Freundinnen mit leuchtenden
Augen vorschwärmt, wie »fancy« das Architekturbüro sei,
in dem sie, die Zeitarbeiterin, vorübergehend einen Job gefunden hat -
wäre auch genauso gekommen, wenn Flipper nicht schwarz und Angie nicht
italo-american gewesen wäre. Da sie es aber sind, kommt es alles viel schneller,
viel schlimmer, viel härter. Rassismus ist allgegenwärtig und steigert
einfach jede normale kapitalistische, moderne, zivilisierte Situation ins Unerträgliche.
Die von ihm Betroffenen sind es leid,
länger Lösungen in einer »Great Society« oder »Integration«
zu suchen, auch können sie nicht mehr an Universalismen glauben, weder
an Liebe noch an Klassenkampf. Sie wollen einfach nichts mehr mit der Scheiße
zu tun haben, und daher hat Separatismus in allen Schattierungen, von der Nation
Of Islam bis zu den sophisticatedsten schwarzen Linksintellektuellen Konjunktur.
Man braucht gar nicht nach »rassistischen« oder essentialistischen
Begründungen dafür zu suchen: Eine große abwinkende Müdigkeit,
die einem durch Spike Lees Filme so verständlich wird, reicht völlig.
Ich finde es oft geradezu rührend, wie er noch in jeder Situation die andere
Möglichkeit, die integrationistische, die amerikanisch-ideologische offenhält.
Wie Angie das letzte Wort behalten darf, wenn sie Flipper vorhält, er sei
genauso rassistisch wie ihre italienische Familie, obwohl Lee doch oft genug
in Interviews erklärt hat, rassistisch könnten immer nur Institutionen,
die Macht also, sein, zu der Schwarze aber noch nie in den USA Zugang hatten.
Die abwinkende Müdigkeit des neuen schwarzen Nationalismus, seine Einigkeit
darüber, selbst die extremsten inneren Divergenzen niemals über weiße
Medien auszutragen, beleidigt das linke universalistische Herz, das eben auch
darauf besteht, daß Liebe doch eine Himmelsmacht sei.
Lees Filme polarisieren und bringen Diskussionen
hervor wie schon lange nichts mehr im Kino. Die übliche geschmäcklerische
Rede, die Filmkritik und Kino nun seit Jahren schon beherrscht, hat keine Chance;
jedes Bild ist ein Argument. Dies hat ihm den Vorwurf eingetragen, als blutleerer
Thesenfilmer cineastische und formale Probleme des Kinos zu vernachlässigen.
Diese Kritik übersieht einerseits, daß gerade die Diskutierbarkeit
und Argumentativität bei Lee aus einer komplexen hochformalisierten Technik
hervorgeht, die - obwohl sie narrativ ist - das jeweilige Problem (»Issue«,
wie man in Amerika sagt) immer aus jedem »mitreißenden«, »natürlichen«
Erzählfluß herauslöst, durch »freezes« oder durch
brechtische V-Effekte, wie z.B. die bloße Darstellung des diskutierenden
Um-den-Block-Gehens, bei der zwei offensichtlich stehende Figuren vor einem
sich bewegenden Hintergrund reden. Oder die Diskussion der feministischen Implikationen
seiner Geschichte en bloc durch einen »Kriegsrat« der beteiligten
Frauen. Zum anderen weiß Lee, daß ein Argument nur dann als solches
zu erkennen ist, wenn ihm unmittelbar seine Entgegnung folgt. Drittens bleibt
er aber auch dabei nicht in einer binären oder dialektischen Struktur befangen,
die ja der rassistischen Ideologie zugrunde liegt, sondern läßt ein
Problem mal in fünf, mal in zwei Richtungen wuchern.
»Rassismus bedeutet in den USA vor
allem eine unerträgliche Überdeterminiertheit«, lautet - im
Kern - die These von Henry Louis Gates jr. zu Lees Filmen. Diese Überdeterminiertheit
gilt es anzunehmen und darzustellen, nicht das, was zurückgebliebene Europäer
immer noch auf den Begriff »Vorurteile« reduzieren. Darum ist es
auch gerechtfertigt, daß Lee diversen Nebengeschichten nachgeht, ohne
sie zu Ende zu bringen, die zunächst nur geläufige soziale Determinierungen
freizulegen scheinen, um dann am Schluß auch deren rassistische Komponente
als Bestandteil einer Überdeterminiertheit zu enthüllen.
Doch die Rede vom Vorurteil folgt ja nicht
nur der idealistischen Vorstellung, Rassismus ließe sich auf Uninformiertheit
reduzieren, sie beruht auf der vermeintlichen Logik europäischer ‘Rassismen’
wie Antisemitismus, die einen geheimen Kern in das Innere des »Anderen«
projizieren, einen Genuß, eine unsichtbare Eigenschaft. Nicht nur daß
auch europäische Ideologie diesen Feind immerzu braucht und konstruiert
- amerikanischer Rassismus ist im Gegensatz dazu auf Sichtbarkeit, auf Oberfläche,
auf Hautfarbe aufgebaut. Diese Sichtbarkeit führt zum Nichthinsehen - weil
mit einem Blick alles klar ist -, zu jener »Invisibility« in einer
visuellen Kultur, die Ralph Ellison in seinem Jahrhundertroman »The Invisible
Man« immer noch gültig beschrieben hat. In der entscheidenden Szene
des Films kommt das zur Sprache: Kurz bevor Angie und Flipper die Ehe brechen,
sehen sie sich lange an. Er wisse, was sie jetzt denkt, sagt Flipper, sie bewundere
seinen Teint, seine schöne, dunkle, schwarze, straffe Haut. Das sei so
verrückt. Er habe jedes verdammte Schimpfwort über seine Hautfarbe
gehört, jedes (und er zählt sie auf). Aber dann, wenn man mit Weißen
ins Gespräch kommt, wenn sie einen ansehen, sagen sie immer nur, wie sehr
sie diese Farbe lieben. Darauf Angie rührend hilflos: »It’s kinda
messed up, eh?«
Daher aber ist die Eroberung des Films
so wichtig, denn nur auf Filmbildern wird man wirklich gesehen in Amerika. Und
da zuviele schwarze Figuren nie gezeigt wurden, stopft Lee seine Filme mit Personal
voll, von Flippers religiös-starrsinnigem Vater, »The Good Lord Reverend«,
bis zu seinem Crackhead-Bruder Gator, der schließlich von seinem Vater
in einer Reminiszenz an das Schicksal von Marvin Gaye erschossen wird. Die Überfüllung
mit Personal, Nebengeschichten und Situationen korrespondiert mit dem Nachholbedarf
und mit der Überdeterminiertheit, indem sie diese als Ergebnis jenes erklärt.
Weil der visuelle amerikanische Mythenfundus keine schwarzen Individuen als
Individuen kennt, wird ihr Leben ganz den unpersönlichen Komplexitäten
ausgeliefert, die entstehen, wenn man nur als Vertreter existiert. Diese Komplexitäten
didaktisch zuzuspitzen, heißt, sie mit den schon existierenden Kino-Individualismen
zu konfrontieren: Lees Italiener sind nicht deswegen klischeehaft individuell,
weil er Italiener nicht leiden kann, sondern weil er sie den Filmen seines Vorbilds
Scorsese entnimmt, weil er seinen schwarzen Charakteren genau diesen Status
- allgemein bekannte Kinofigur - verleihen will. Weil selbst noch Sekundarität,
kulturelle Codiertheit von Individualität - in Europa als nicht-authentisch
verschrien - einen überlebensnotwendigen reduktionistischen Fortschritt
darstellt gegenüber der rein soziologisch-ethnisch determinierten Komplexität,
in der die pragmatische Reduktion auf Identität überhaupt nicht vorgesehen
ist.
Daß sich junge Europäer, die
sich »nur« »noch« sekundär-individuell fühlen,
als defizitär, wieder mal mit African Americans identifizieren können,
die einen Platz im Bilderreservoir der Kulturindustrie erkämpfen müssen,
gehört zu den vielen fruchtbaren Paradoxien, zu denen Lees Film einlädt
und die er kommentiert. Der Film aber entkommt auch noch der Problematik dieses
partikularistischen black nationalist-Kampfziels (positive oder individuelle
Repräsentation in den visuellen Medien): Er gewinnt eine Universalität
(zweiter Ordnung, wenn man so will), indem er den Umgang mit den Paradoxien
einer (rassistisch/individualistisch/tribalistisch) durchsemantisierten Welt
als mühsame, aber machbare Arbeit am Detail zeigt (und vorführt) und
so die Kunst für die Politik zurückerobert (ähem!).
Die im Motto erwähnte LP von Ice
Cube, »Death Certificate«, ist bereits wenige Tage nach ihrem Erscheinen
Nummer eins der amerikanischen LP-Charts und damit erfolgreicher als jede andere
HipHop-LP. Sie enthält die bisher aggressivsten Tiraden gegen Weiße
(»Devils«), Frauen (»Bitches«) und Schwule (»motherfuckin
homo«), die nicht mehr nur mit der Tradition des Fluchens in»oral
cultures« wegrelativiert werden können. Das von Lee dargestellte
»Jungle Fever« (die Lust auf weißes Fleisch) kommt dort nur
als abstoßende Seuche vor, die sich zum Glück noch niemand in der
»Neighbourhood« eingefangen habe (in »Lil Horny Devil«).
Der Platz für einen jungen Schwarzen sei Farrakhans »Nation Of Islam«,
über den Lee sagt, er sei nicht in allen Punkten seiner Meinung, würde
die Differenzen jedoch niemals in der weißen Öffentlichkeit austragen.
Gleichzeitig wird von Ice Cube Uncle Sam ein Totenschein ausgestellt, den man
in vielen Punkten mitunterzeichnen kann. Die Gewalt, die von dieser Platte ausgeht,
ist auch die Gewalt und Hilflosigkeit eines alle Lebensumstände durchziehenden
Paradoxes: daß man nur mit genau den Eigenschaften weiterkommt, geliebt
wird, Karriere machen kann, für die man zurückgesetzt, gehaßt,
verprügelt und ermordet wird.
Diedrich Diederichsen
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Konkret 12/1991
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Jungle Fever
JUNGLE FEVER
USA - 1991 - 132 min. - Erstaufführung: 24.10.1991/7.10.1992
Video - Produktionsfirma: 40 Acres and A Mule - Produktion:
Spike Lee
Regie: Spike Lee
Buch: Spike Lee
Kamera: Ernest Dickerson
Musik: Terence Blanchard, Stevie Wonder
Schnitt: Sam Pollard
Darsteller:
Wesley
Snipes (Flipper Purify)
Annabella
Sciorra (Angie Tucci)
Spike
Lee (Cyrus)
Ossie
Davis (Reverend Purify)
Ruby
Dee (Lucinda Purify)
John
Turturro
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