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Juno
Das Geheimnis
des Konsensfilms
Wie in Jason
Reitmans „Juno“ die Heldin Holzfällerhemden und Rentnerpullis tragen kann,
wie Sonic Youth und die Melvins in eine Teenie-Komödie passen und warum
es trotzdem nicht verwundert, dass der Charme des Films sowohl die Academy als
auch die Kinogänger erreicht.
Der erste Sex mit
dem nerdigen Bandkollegen Paulie (grotesk uncool: Michael Cera) stellt sich
für Juno MacGuff (Ellen Page), der Fruchtbarkeitsgöttin einer namenlosen
Kleinstadt in Minnesota, als unerwartet folgenschwer heraus. Gleich drei unerbittliche
Schwangerschaftstests belegen den Ernst der Lage im Leben der 16-jährigen,
deren Alltag jäh mit einer schweren Entscheidung belastet wird. Da die
Abtreibungsanstalt in ihr ein obskures Unbehagen auslöst, entscheidet sich
Juno das Kind zu behalten und findet in einer Zeitungsannonce die scheinbar
perfekten Adoptiveltern in Mark (Jason Bateman) und Vanessa (Jennifer Garner),
einem Yuppie-Pärchen, das bei der Fortpflanzung aus ungeklärten Gründen
weniger Glück hatte.
So weit der Plot,
den man - zur Schmonzette oder pubertären Collegekomödie variiert
- zu mindestens zehn grauenhaften Filmen hätte verwursten können.
Dass „Juno“ einen anderen Weg wählt und der potenziell ja interessanten
Ausgangssituation ungewöhnliche Wendungen abzugewinnen weiß, ist
vor allem dem cleveren Drehbuch von Diablo Cody geschuldet. Die oscarprämierte
Autorin lässt Juno als einen selbstironischen und nonkonformistischen Popkulturnerd
auftreten, der ständig vom Raw Power-Album der Stooges und Dario Argento
faselt – was wohl eher die Projektion der eigenen Interessen auf diese Figur
ist, als der Versuch, den Teenager von heute authentisch darzustellen. In einer
Szene präsentiert Mark, der als Werbekomponist zwar reich geworden ist,
seinen infantilen Rockstartraum aber nie begraben konnte, Juno seinen neuesten
Werbejingle. „What would the Melvins say?“, kommentiert Juno ironisch dessen
berufliches Dilemma. Später im Film streiten sich die beiden über the best time
for rock music:
Für Juno ist das ohne Zweifel „Seventy-seven!“. „You weren’t even born
yet“, hält der verblüffte Mark, der insgeheim seiner Grunge-Jugend
nachtrauert, dem Teenager vor. Diese Referenzen machen für den Sachkundigen
gerade den Reiz des Films aus, versperren dem Rest der Zuschauer aber keineswegs
die Identifikation mit der Heldin, die Ellen Page bezaubernd lakonisch gibt
und für deren verschroben-maskulines Outfit sie genauso in ihren eigenen
Kleiderschrank langen durfte wie einst Diane Keaton für „Annie
Hall“
und Jeff Bridges für „The
Big Lebowski“.
Das Erfolgsrezept
des Films besteht aber nicht nur aus schlagfertigen Dialogen und seiner bestechenden
Hauptdarstellerin, sondern auch aus dem Soundtrack, der sowohl die Kinks und
Mott the Hoople als auch Antifolk-Songs von Kimya Dawson und den Moldy Peaches
kommentierend zur Handlung einsetzt. Bei dieser Reise durch die Geschichte eingängiger
Rockmusik wird dann sogar noch bei Sonic Youth Station gemacht. Dass die mal
in einem Erfolgsfilm aus Hollywood landen würden, war tatsächlich
nicht zu erwarten gewesen.
Auch dramaturgisch
weiß der Film hin und wieder zu überraschen. Dass Adoption als Lösungsmodell
einer Teenagerschwangerschaft gesellschaftlich akzeptiert gezeigt wird, ist
sicherlich ein Novum im amerikanischen Kino. Allein: Ist das wirklich eine ernsthafte
Beschäftigung mit dem Thema Schwangerschaft bei Jugendlichen? Bloß
in einer leichtfüßigen, komödiantischen Verpackung? Juno lebt
in einer Welt voller netter Menschen. Klar, man hat seine Probleme, aber im
Grunde hilft jeder dem anderen und zusammen lässt sich doch alles bewältigen.
Die Eltern, die beste Freundin, der Kioskbesitzer mit den Schwangerschaftstests
– alle packen an. Gibt es keine Intoleranz in Minnesota? Durch das Aussparen
gesellschaftlicher Widrigkeiten und (ernsthafter) persönlicher Zweifel
verharmlost der Film erfolgreich die existenzielle Bedeutung einer solchen Lebenssituation
und schlittert schließlich leichtfüßig in den Teenageralltag
zurück.
„Wir dachten an
eine schräge Teenager-Komödie, freuten uns auf einige Film-Festivals
und darauf, ein bisschen Geld zu verdienen“, sagte Regisseur Jason Reitman in
einem Interview und betreibt damit pures Understatement. Denn „Juno“ ist ein
Film, auf den sich alle einigen können. Intelligent und witzig genug für
die Kritik, anrührend und konventionell genug für den Drehbuch-Oscar,
sentimental und harmlos genug für das Publikum. Denn „Juno“ ist ein Feelgood-Movie,
und nur solche können es zum Konsensfilm schaffen.
Jan-Philipp
Kohlmann
Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Juno
USA 2007 - Regie: Jason Reitman - Darsteller: Ellen Page, Jason Bateman, Jennifer Garner, Michael Cera, Allison Janney, J.K. Simmons, Olivia Thirlby, Eileen Pedde, Rainn Wilson - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 6 - Länge: 96 min. - Start: 20.3.2008
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