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Das
Kabinett des Dr. Parnassus
Als
Mann von gestern erweist sich Terry Gilliam mit seiner aufwändigen Fantasieapparatur
"Das Kabinett des Dr. Parnassus", in der Heath Ledger seinen letzten
Auftritt hat.
Terry
Gilliams "Kabinett des Dr. Parnassus" ist eine Rumpelkammer von einem
Film und lässt sich geradezu als das Punkt für Punkt, Bild für
Bild und Idee für Idee uninteressantere Gegenstück zu "Gamer"
begreifen. Wo "Gamer" das Videospiel mit den Mitteln des Industrie-Kinos
- kontrollierte Rasanz-Montage als Beschuss mit rasch wechselnden Reaktionszumutungen
für den Betrachter - noch einmal überholt, hat Gilliam nicht nur die
Zukunft ("some years from this exact moment", wie es brillanterweise
bei Neveldine / Taylor heißt), sondern auch die Gegenwart längst
aufgegeben. Sein "Imaginarium" ist pure Nostalgie für etwas,
das früher einmal Fantasie hieß, fast immer schon ein vornehmeres
Wort für Wirklichkeitsflucht war und in der Regel eine Form von Second-Hand-Bildern
hervorgebracht hat, die von der ganz und gar zeitgenössischen Vernutztheit
des "Gamer"-Bildmaterials kategorial unterschieden ist. Wo "Gamer"
mit lustvoll erarbeiteter Exploitation die Wahrheit sagt, produziert Gilliam
mit digital aufgemöbelten altbekannten-neutuenden Fantasievignetten nichts
als Kitsch, mithin Lüge.
Bedenkenlos
bedienen sich Gilliam und sein Drehbuch-Koautor Charles McKeown aus dem Fundus
Alteuropas. Dr. Parnassus (Christopher Plummer) verpfändet seine Tochter
zu deren 16. Geburtstag dem Teufel (sieht alt aus: Tom Waits) und erhält
dafür, was generell überschätzt wird, das ewige Leben. Der Tochter-Geburtstag
steht zu Filmbeginn in wenigen Tagen bevor und Parnassus sucht recht verzweifelt
einen Ausweg. Die Nicht-Gegenwart, in der das "Imaginarium" spielt,
hat manche Züge des Steampunk, der die Vergangenheit vor allem des technologischen
Aufbruchs mit virtuellen Geschichten und Alternativrealitäten umschreibt.
So sieht man hier Kutschen und Techno-Clubs durcheinander, aber stets so, dass
kein Zweifel besteht, dass der Film selbst die Kutsche dem Techno-Club vorzieht.
Alles Gegenwärtige ist bei Gilliam Alibi und sein Drängen geht sehr
konsequent und sehr buchstäblich weg aus dieser Gegenwart durch eine Tür
in einen ganz anderen Raum.
Dr.
Parnassus, der sehr alte Mann, vertreibt sich in der Film-Gegenwart die endlose
Zeit als Jahrmarktsattraktion. Er bietet dem Publikum eine Art interaktives
Videospiel mit einem Besuch ("Alice in Wonderland" steht nicht fern)
hinter dem Spiegel. Im Imaginarium werden die Spieler/Besucher mit ihren eigenen
Wunschfantasien konfrontiert. Eine luxussüchtige ältere Frau etwa
landet in einer Welt aus riesigen Schuhen und sieht sich im Spiegel schlank
und jung. (So abgeschmackt ist das? Ja.) Mit viel Mühe, viel Not, viel
zu vielen Worten und hässlich dazwischentrötender Musik macht der
Film aus dem Faustpakt, der Spiegeltür und seiner Figurenkonstellation
die Geschichte der Suche nach einem Ausweg aus dem Parnassus-Dilemma. Dafür
hängt er Heath Ledger, der während der Dreharbeiten starb, am Strick
von der Brücke, pflückt ihn, der sich an nichts erinnert, hinunter
und schickt ihn erst als Rattenfänger auf die Imaginarium-Bühne, dann
- als Johnny Depp, Jude Law und Colin Farrell - wieder und wieder in die Fantasiewelt
hinter der Spiegeltür. Ledger/Depp/Law/Farrell sollen fünf Seelen
fangen, dafür gibt Tom Waits dann die Seele der Tochter (Lily Cole) frei.
Ein
großer Aufwand zergeht in dieser Konstruktion in nichts, ohne Witz. Mit
vielen Worten hat "Das Kabinett des Dr. Parnassus" wenig zu sagen.
Heterogen ist das Material, das Gilliam zusammenbringt, aber die Heterogenität
hat keine Methode, sondern ist nur Ausweis eines fehlenden Bands, das die auseinanderfallenden
Einzelteile zu einem sinnvollen Ganzen vereinte. Allegorische Lesarten - Parnassus
als Seelenfänger aus der Traumfabrik? - enden sehr schnell im uninteressanten
Selbstwiderspruch. Und die aus Computern heraufbeschworenen Fantasien sind entweder
fader Aufguss bekannter Gilliam-Bilder, elektronisch aufgedonnerte dünne
Satire oder Reminiszenz an bessere Monty-Python-Zeiten (ein aus dem Boden brechender
Polizistenkopf, der ein Musicalmoment entbindet). Es kommt hinzu, dass nicht
nur die Darsteller, sondern auch die Kamera und die Musik von der Regie zum
ständigen Overacting und Zappeln genötigt werden. Wo "Gamer"
durch einfallsreiche Hyperkinetik Affekt und Denken befeuert, betäubt Gilliams
wirklichkeitsflüchtig-nichtiges "Imaginarium" Sinne und Verstand.
Ekkehard
Knörer
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: www.perlentaucher.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Das
Kabinett des Dr. Parnassus
Frankreich
/ Kanada / Großbritannien 2009 - Originaltitel: The Imaginarium of Doctor
Parnassus - Regie: Terry Gilliam - Darsteller: Johnny Depp, Heath Ledger, Jude
Law, Colin Farrell, Christopher Plummer, Tom Waits - FSK: ab 12 - Länge:
122 min. - Start: 7.1.2010
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