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Kapitalismus.
Eine Liebesgeschichte
In
"Kapitalismus. Eine Liebesgeschichte" wählt sich Michael Moore
diesmal gleich den Kapitalismus im Ganzen als Zielscheibe seiner populistischen
Agitatorik: ein Gegenstand, den nicht mal ein Schrotgewehrschütze wie er
so richtig verfehlen kann.
Alles,
was gegen Michael Moore gesagt wird, ist richtig: Er ist ein Populist, der nach
Beispielen, Argumenten, Zustimmung, Zitaten, Ausschnitten greift, wo er sie
findet und in seinen Film-Pamphleten dann sehr skrupellos einsetzt, ganz wie
es ihm passt. Sein Stil, seine Methode sind rein boulevardesk: Er bietet nicht
mehr als simple Reiz-Reaktionsmuster und ersetzt Analyse durch Schlagzeilen,
in seinem Sinn zurechtgebogene, jedenfalls vereinfachte Fallbeispiele und bevorzugt
allemal Attacken ad hominem, wo es ihm ad rem zu kompliziert wird, also praktisch
überall und immer. Der Begriff Totschlagargument ist wie für ihn erfunden
und vor verlogenem Witwenschütteln und krassen Sentimentalitäten schreckt
er sowieso nicht zurück. Man glaubt ihm aufgrund der Präsentation
seiner Behauptungen noch da nicht, wo man auf seiner Seite steht und nur zu
gern glauben möchte, es wäre stichhaltig, was er sagt. Moore ist außerdem
die Eitelkeit in Person, ein Mann, der sich für das Geschenk Gottes an
den Aufklärungsjournalismus hält und diesen Glauben massiv vor der
eigenen Kamera in Szene zu setzen versteht.
All
das ist zweifellos richtig. All das macht Michael Moore und seine Filme oft
unerträglich. All das stimmt im Prinzip auch für sein jüngstes
Werk, sein nicht nur im Titel weit ausholendes Pamphlet "Kapitalismus.
Eine Liebesgeschichte". Und doch. Beinahe könnte man diesmal sein
Vergnügen haben an Moores Pamphlet. Nicht dass Moore zum Klassentheoretiker
gereift wäre, ein mehr als nur oberflächliches Interesse an soziologischer
oder ökonomischer Analyse entwickelt hätte oder auf die penetrante
- wenngleich dann doch immer wieder lustige - Selbstinszenierung als Gewissen
eines gewissenlosen Systems verzichtete. Natürlich nicht, denn schließlich
ist das sein Erfolgsrezept, inzwischen höchst erfolgreich nachgeahmt etwa
vom Atheismus-Comedian Bill Maher und anderen, die diese Form populistischer
Agitdoc-Spaßguerilla als einträgliches Geschäft entdeckt haben.
Und
doch. Manchmal spricht, was Moore an Abscheulichkeiten aus dem kapitalistischen
Alltag der USA ausgräbt, was immer er dann selbst damit anstellt, wie immer
er es zum ihm passenden Argument auch zurechtbiegt, einfach für sich. Die
von eigener Hand als Zeugnis angefertigten Videoaufnahmen einer Familie etwa,
die sich weigert ihr Haus zu verlassen und sich, als die Polizei anrückt,
darin verschanzt. Die Solidaritätsaktionen in einem von der Stilllegung
bedrohten Betrieb. Ein leerstehendes Gefängnis in der amerikanischen Provinz.
Ein haarsträubend durch Richterkauf zusammenbestochenes Kinderstraflagerunternehmen.
Lebensversicherungs-Wetten von Unternehmen auf den Tod ihrer Mitarbeiter. Man
muss gar nichts weiter glauben, als dass dergleichen geschieht (oder geschah)
und dass dergleichen nicht als Auswuchs, sondern als immanentes Funktionieren
des systemischen Kapitalismus so passiert. Und für einmal zielt Michael
Moores wüster Rundumschlag unweigerlich wieder und wieder ins Schwarze,
schon weil das Schwarze, auf das er zielt, so umfassend und groß ist:
dass nämlich eine fortgeschritten kapitalistische Wirtschaftsordnung die
Anreize und Grundlagen für die von Moore vorgeführten Ungeheuerlichkeiten
(oder, um das mindeste zu sagen, Unbarmherzigkeiten) systematisch kreiert und
schafft, wird nur deren glühendster Verehrer angesichts dessen, was die
Finanzkrise für jeden sichtbar gemacht hat, noch bezweifeln.
Es
kommt dazu, dass "Kapitalismus. Eine Liebesgeschichte" immer mal wieder
ziemlich fetzt. Was schon mit dem Vorspann beginnt, einer rasant montierten
Collage von Videoüberwachungs-Banküberfall-Bildern und darunter legt
Moore Iggy Pops trocken-harsche Version des Rockklassikers "Louie Louie".
Und in der Wahllosigkeit, mit der Moore auf Bildmaterial aller Art zurückgreift
(Super-8-Privatfilme, CCTV-Material, Video-Aufnahmen, Werbeclips, historische
Fernsehansprachen etc.), nähert er sich fast schon Experimentalfilmmethoden
- um dann natürlich wieder mit aller Gewalt dies verstreute Material an
den Evidenz-Körper Moore, seine Stimme aus dem Off, seine Auftritte im
On, an seine populistischen Thesen und schlichten Ursache-Wirkungs-Behauptungen
rückzukoppeln. Dass ihm dies angesichts des Überformats seines Themas,
der Heterogenität seines Materials nicht wirklich überzeugend gelingt,
dass "Kapitalismus. Eine Liebesgeschichte" ein in sich alles andere
als geschlossenes Sammelsurium ist: das ist den Verhältnissen, die er anklagt,
im Endeffekt sehr viel angemessener, als ein populistischer Simplifikateur wie
Michael Moore selbst je begreifen wird.
Ekkehard
Knörer
Dieser
Text ist zuerst erschienen am: 11.11.2009 in: www.perlentaucher.de
Kapitalismus:
Eine Liebesgeschichte
USA 2009 - Originaltitel: Capitalism: A Love Story - Regie: Michael Moore – Mitwirkende: Michael Moore, William Black, Wallace Shawn, Jimmy Carter, Marcy Kaptur, Elizabeth Warren, Baron Hill - FSK: ab 6 - Fassung: O.m.d.U. - Länge: 127 min. - Start: 12.11.2009
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