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Katzelmacher
Vier Paare von unterschiedlicher Beständigkeit: »Marie (Hanna Schygulla) gehört zu Erich (Hans Hirschmüller), Paul (Rudolf Waldemar Brem) schläft mit Helga (Lilith Ungerer), Peter (Peter Moland) läßt sich von Elisabeth (Irm Hermann) aushalten, Rosy (Elga Sorbas) treibt es für Geld mit Franz (Harry Baer)« (Fassbinder; ARD-Broschüre, Spielfilme im Deutschen Fernsehen 1973, Seite 55.)'. Dieses System eines labilen Gleichgewichts auch wechselnder und zusätzlicher Verhältnisse gerät in Unordnung, als ein Gastarbeiter, Jorgos, (Fassbinder) ein »Griech' aus Griechenland« eintrifft und bei Elisabeth ein Zimmer mietet. »Instinktive« Abneigung gegen den Fremden und Sexualneid gegenüber dem vermeintlich potenteren Südländer vereinen die ganze Gruppe, aus der nur Marie ausbricht. Sie »geht« mit Jorgos. Die vier Männer schlagen ihn eines Tages zusammen und hoffen: »Jetzt geht er bestimmt. « Elisabeth aber will ihn als Mieter, den sie ausbeutet, halten. Helga und Paul wollen heiraten, zuerst, weil sie ein Kind erwartet, dann, obwohl sie einen Abgang hat. Erich geht zur Bundeswehr: »Ist besser als arbeiten.« Die Zukunft von Jorgos und Marie bleibt offen.
KATZELMACHER basiert auf dem Theaterstück gleichen Titels, das
in Fassbinders eigener Inszenierung im antiteater 1968 nur etwa 20 Minuten dauerte.
Im Stück geht es ausschließlich um den Griechen, den »Katzelmacher«.(Bayerischer Ausdruck: Kollektivschelte für südländischen
Gastarbeiter. - Volksetymologisch: Südländer, der deutschen F'rauen
Kinder macht, häufig und unkompliziert (wie die Katzen); korrekte Etymologie:
Bezeichnung für Hersteller hölzerner Schöpfkellen (der Gatzeln)
aus dem Grödnertal.) Das erste Drittel
des Films, vor dem Eintreffen des Fremden, fehlt im Stück. Auf einem Dorfplatz
treffen sich die Bewohner, in immer wechselnden Gruppen, umkreisen den Fremden,
stoßen zu, ziehen sich zurück. Die Choreographie ist so wichtig wie
die Sprache.
Der Film, als ich ihn 1969 zum ersten Mal sah, kam mir leblos und abstrakt vor
neben dem Theaterstück. Die Bewegungen auf der Bühne sind durch ein
starres Arrangement ersetzt. Wenige Schauplätze, fotografiert in immer
denselben Einstellungen: Ein Geländer vor einem Haus, auf dem in wechselnden
Gruppierungen die Personen sitzen, ein Wirtshaustisch, ein Hinterhof, einige
wenige Zimmer, alle bis zur Ununterscheidbarkeit karg möbliert. Das Milieu
nicht mehr Dorf, sondern Vorstadt, Giesing vielleicht. Die Personen liefern
Sätze ab, Sprechblasen, Zitierbares (die sogenannte Fassbinder-Sprache
ist am reinsten, fast bis zur Selbstparodie, verwirklicht in KATZELMACHER).
»Aus all dem ergibt sich eine fast terroristische Herrschaft des toten
Inventars und des Arrangements über die Personen« (Peter W. Jansen,
Frankfurter Rundschau 4.10. 69), während auf der - leeren - Bühne
das Arrangement mit der Bewegung der Personen identisch war. Ich war damals
ganz der Meinung von Wim Wenders: »Das Grauenvolle an diesem Film ist,
daß er bis ins kleinste Detail lustlos ist. Die Schnitte sind wie ein
mißmutiges Wechseln vorn ersten aufs zweite Programm am Samstagabend,
wenn einen jeder neuerliche Programmwechsel nur noch wütender und trauriger
macht. Und daß alle Darsteller so verbissen schauen, liegt nicht an der
Provinz, die sie darstellen, sondern an dem verbissenen Schema, das sie am liebsten
nur noch als Marionetten vorführen möchte, höchstens noch als
Fotoroman, aber dann mit schwarzen Balken über den Augen, wie die Leute,
die in den Illustrierten nicht wiedererkannt werden wollen. - Aber von einer
Zärtlichkeit ist keine Rede bei der, sagt eine in dem Film. - Nur Hanna
Schygulla bleibt in diesem Totenfilm lebendig, daß man meint, sie in Farbe
zu sehen.« (Filmkritik 12/69; S. 751 f.)
Als ich KATZELMACHER 1974 wiedersah, die Erinnerung an die Bühneninszenierung ist verblaßt, kam mir der Film weit lebendiger vor als vor fünf Jahren; trotzdem mag ich ihn nicht. Was sich überträgt (auf mich übertrug), ist eine unglaubliche Wut. Diese so kalt und lieblos gezeichneten Personen stoßen ja mit ihren hilflosen Redensarten, mit ihren Schlägen, wenn sie nicht weiterwissen, an Grenzen (ihres Bewußtseins und ihres Selbstbewußtseins). In den Einstellungen und im Film insgesamt, ist immer eine Zündschnur gelegt, aber die Ladung geht nie los, der Film explodiert nicht, an keiner Stelle. Selbst wenn die Männer den Griechen zusammenschlagen, ist das keine Befreiung, nicht im Kontext der Handlung, erst recht nicht für den Zuschauer. Daraus resultiert die kalte Wut, die der Film vermittelt.
Daß Menschen voneinander abhängig sind und diese Abhängigkeit
ausnützen, daß Liebe in Ausbeutung umschlägt, daß alles
käuflich ist und wer Geld hat, alles kann (jedenfalls fast
alles), daß man sich gegen einen Fremden zusammentut, ihn aber schließlich
doch gewähren läßt, wenn man ihn ausnützen kann (später
ein Hauptmotiv in ANGST ESSEN SEELE AUF): das sind Einsichten, die so aggressiv
vorher wohl in keinem deutschen Film formuliert wurden. Dennoch bleiben Zweifel
an der Wirksamkeit des Films: Denn diese Einsichten werden als Modell vorgeführt,
nicht als Erfahrung. Nimmt man dagegen das Paar Emmi / Ali in ANGST ESSEN SEELE
AUF, ein menschliches, differenziert gezeichnetes Paar, wird Fassbinders Fortschritt
als ein Geschichtenerzähler, der zum Nachdenken anregen will, deutlich.
Ich habe den Verdacht, daß die relative Popularität des KATZELMACHER,
gerade auch nördlich des Mains, vor allem dem kuriosen Kunst-Bayerisch
zu verdanken ist, das die Personen sprechen: »Eine Liebe und so, das hat
immer mit Geld was zum tun« - »Die hat Geld. Und die wo Geld haben,
die können alles« - »Da wo der herkommt, da gibts Kommunisten
« - »Ein Kommunist ist das und gehört verboten.«
Wilhelm Roth
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: Rainer Werner Fassbinder; Band 2 (5. Auflage) der (leider eingestellten) Reihe
Film, herausgegeben in Zusammenarbeit mit der Stiftung Deutsche Kinemathek
von Peter W. Jansen und Wolfram Schütte im Carl Hanser Verlag, München/Wien
1985, Zweitveröffentlichung in der filmzentrale mit freundlicher Genehmigung
des Carl Hanser Verlags und des Autors Wilhelm Roth.
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale
mehrere Texte
Katzelmacher
Deutschland
1969, 88 Minuten
Regie:
Rainer Werner Fassbinder
Drehbuch:
Rainer Werner Fassbinder, nach seinem Bühnenstück
Musik:
Peer Raben, nach Franz Schuberts „Sehnsuchtswalzer“
Kamera:
Dietrich Lohmann
Schnitt:
Franz Walsch (= Rainer Werner Fassbinder)
Hauptdarsteller:
Hanna Schygulla (Marie), Lilith Ungerer (Helga), Elga Sorbas (Rosy), Doris Mattes
(Gunda), Rainer Werner Fassbinder (Jorges), Rudolf Waldemar Brem (Paul), Hans
Hirschmüller (Erich), Harry Baer (Franz), Peter Moland (Peter), Hannes
Gromball (Klaus), Irm Hermann (Elisabeth), Katrin Schaake (Frau im Restaurant)
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