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Kinatay
Lola
Diese Filme lügen nicht
Die Filme Brillante Mendozas wollen das Versprechen
erfüllen, dass man im Kino anderswo sein kann, vielleicht sogar ein anderer
werden kann. Nun laufen zwei neue Filme des Philippiners an, "Kinatay" und "Lola"
Es ist ein großes Versprechen des Kinos, den Zuschauer
in seinem Dunkel an Ort und Stelle einer fremden Welt zu versetzen. Dinge zu
zeigen, die man nicht kennt, Gegenden, in die man niemals gelangen wird. Das
Kino verspricht dem Zuschauer privilegierten Zugang in Tönen und Bildern.
Es verspricht sogar, dass man ein anderer werde, während man in Wahrheit
ganz auf sich selbst zurückgeworfen im dunklen Saal sitzt.
Selbstverständlich lügt das Kino, wenn es diese
Gegenwart einer anderen Wirklichkeit verspricht. Zumindest schneidet es auf.
Mehr als überzeugende Darstellung geht nun mal nicht im Rahmen eines Dispositivs,
das anderswo aufgenommene Bilder auf eine zweidimensionale Leinwand projiziert.
Nicht zuletzt nimmt jeder Mensch, der ins Kino geht, unweigerlich seine Vorurteile
und Prägungen, sein Wissen und seine Bildlektüregewohnheiten mit.
Das Kino des philippinischen Regisseurs Brillante Mendoza
freilich geht sehr weit in der Erfüllung des Versprechens (beziehungsweise
der Drohung), den Zuschauer mit allen Sinnen in die Gegenwart eines anderen
Orts zu versetzen. Dies gilt auch für Mendozas jüngste Filme "Kinatay" und "Lola", beide aus dem Jahr 2009, die nun zeitgleich
bei uns in die Kinos kommen. Es war ihm, der als Regisseur ein furioser Spätstarter
ist, mit beiden schon das Kunststück gelungen, im selben Jahr hintereinander
in Cannes und Venedig im Wettbewerb vertreten zu sein. In Cannes gewann Mendoza
für "Kinatay" den Preis für die beste Regie, während
sich der US-Kritikerpapst Roger Ebert entsetzte, dass dies der schlechteste
aller je im Wettbewerb gezeigten Filme sei.
Aufsehen hatte Mendoza bereits im Vorjahr erregt. Da
war er mit "Serbis" in Cannes. Dieser Film spielt fast komplett in
einem heruntergekommenen Pornokino und unternimmt alles, die Geräusche
der Stadt draußen und die Gerüche, die Atmosphäre, das Lebensgefühl
der Menschen drinnen geradezu physisch spüren zu lassen.
Vielen war das zu viel Stimmung und Schmutz und vorsätzliche
Begrenzung, zu wenig Handlung und Licht und gesellschaftlicher Kontext. Andere
aber zeigten sich fasziniert von der Konsequenz und Genauigkeit, mit der Mendoza
sich ganz und gar einlässt auf die wenigen Quadratmeter Wirklichkeit, die
er so gründlich wie möglich ausschreiten will.
Es geht ins Dunkle
Ohne große Umstände stoßen einen auch
"Lola" und "Kinatay" mit den ersten
Bildern schon mitten hinein in die betäubend aktive Großstadtgegenwart
von Manila. In "Kinatay" lernen wir gleich zu Beginn Peping kennen.
Der junge Mann ist auf dem Weg zu Kirche und Standesamt, um seine Freundin,
mit der er ein kleines Kind hat, zu heiraten. Darauf sehen wir ihn in der Schule,
er macht eine Ausbildung zum Polizisten. Dann aber geht es ins Dunkle. Peping verdingt sich, um etwas Geld zu verdienen, in einer von Polizisten
betriebenen Unterweltbande, die eine Prostituierte mit Namen Madonna verschleppt,
weil sie ihre Drogenschulden nicht beglichen hat.
In einem Kleinbus fährt die Gruppe von Männern
hinaus aus der Stadt, zu einem verlassenen Haus, wo die Frau erst vergewaltigt,
dann mit der Machete zerhackt wird. Auf der Fahrt zurück nach Manila wird
ihr Körper in Stücken auf den Straßen verteilt. Die Identifikationsfigur
ist Peping, der ein so erschreckend routiniert ausgeführtes
Verbrechen zum ersten Mal miterlebt, als zweites Kapitel seiner Rites de Passage. Er ist schockiert und unternimmt doch nichts, steht abseits,
zögert, hilft dann wieder mit.
Der Film verschließt, wie Peping, nicht
die Augen und auch nicht die Ohren. Minutenlang wird der Zuschauer mit der Bande
von Kriminellen in den Kleinbus gesperrt und muss miterleben, wie unterwegs
schon die Prostituierte Madonna übel zugerichtet wird. Mendoza deutet nicht
nur an und schneidet nicht gnädig weg. Er besteht auf der Tatsache, dass
es furchtbar und qualvoll ist, was hier geschieht. Er besteht darauf, dass es
in seiner nüchternen Bestialität unerträglich ist und dass diese
Unerträglichkeit sich auch auf den Zuschauer, der gerne wegsähe und
weghörte, übertragen muss.
Das Versprechen der Gegenwart einer anderen Welt schlägt
um in Naturalismus als Folter: mitgefangen, mitgehangen,
mitgetreten, mitzerhackt. Nur gelegentlich nimmt "Kinatay"
Auszeiten von diesem rohen Realismus; dann stellt Mendoza seinen Film beinahe
still und nimmt mit meditativen Soundscapes Abstand. Es
ist ein Abstand, nach dem man sich einerseits sehnt. Andererseits stellt sich
die Frage, ob nicht gerade diese Form der musikalisch untermalten Besinnung
Züge des Spekulativen in eine Anordnung trägt, die aus ihrer eigenen
ästhetischen Logik heraus Distanzierungen dieser Art eigentlich nicht erlaubt.
Auch in "Lola" geht es um Mord. Ein junger
Mann hat einen anderen jungen Mann niedergestochen. Von den näheren Umständen
erfährt man nicht viel, nur dass es etwas mit Drogen zu tun hat. Die Großmutter
des Toten will nun Gerechtigkeit - und als sie sieht, dass die sich so oder
so nicht herstellen lässt, wenigstens genug Geld, um ein halbwegs ordentliches
Begräbnis zu finanzieren. Dabei lernt sie eine andere alte Frau kennen
("Lola" heißt Großmutter, die beiden Frauen werden von
jedermann ständig so adressiert), es ist die Großmutter des mutmaßlichen
Täters. Von der Bewegung der beiden erzählt der Film: durch die belebten
Straßen der Stadt, ins Gefängnis, zu den Behörden, gegeneinander
zunächst, dann aufeinander zu. Für die Kriminalgeschichte als solche
interessiert sich Mendoza wiederum nicht, sehr dagegen für Mittel und Wege
der in Armut lebenden Menschen, für die Milieus, für die Institutionen.
Es geht ums Dabeisein
Die Signatur des Filmemachers Mendoza, der die Drehbücher
nie selber schreibt, findet man nicht in den Plots, sondern in der filmischen
Form der Aufzeichnung philippinischer Wirklichkeit. Es geht ums Dabeisein, mit
Ton und Kamera, um die Bewegung durch Räume, die mit Klang, Bewegung, Licht
und Dunkelheit gesättigt sind. Sei es, wie vielfach in "Lola",
auf Booten im Wasser, sei es auf Gängen und Fluren, in Gassen der Stadt,
auf der Straße mit Händlern, Jeepneys, motorisierten
Gefährten aller Art. Es entsteht kaum einmal der Eindruck des Inszenierten,
obgleich man niemals vergisst, dass man es mit einem Spiel- und nicht etwa einem
Dokumentarfilm zu tun hat. Mit der ganz eigenen Bewegungsform der Videokamera
hat dieser Eindruck sehr viel zu tun.
Diese Kamera ist fast nie ganz statisch, sie sucht auch
nie die Künstlichkeit jener glatten Bewegung, die man mit der Steadycam produziert. Vielmehr ist sie etwas wie ein eigener Körper, leicht
bewegt, wie Körper nun einmal sind, solange sie leben, weil sie atmen und
zittern. So wackelt die Kamera immer ein wenig, aber nie so sehr, dass sie die
Aufmerksamkeit auf sich selbst lenkt. Sie haftet sich auch nicht, wie etwa in
den Filmen der Brüder Dardenne, auf die Spuren der Charaktere, sie ist schweigend präsent,
neutralisiert sich nie völlig und wird so zum eigentlichen Kronzeugen des
Versprechens, das dieses Kino uns gibt.
Brillante Mendoza ist nur einer von vielen wichtigen
Regisseuren, die das philippinische Kino zum vielleicht aufregendsten und vielfältigsten
der Gegenwart machen. Neben ihm gibt es da etwa den großen politischen
Zeitphilosophen Lav Diaz. Dann noch das Junggenie Raya Martin
("Independencia"), der der Wirklichkeitsfindung dienenden Künstlichkeit
abgeneigt ist, und den Punk Khavn de la Cruz, der ohne Rücksicht auf Verluste kurz
und klein filmt, was ihm vor die Kamera kommt. Alle mischen sie sich ein, prangern
Korruption und Missstände an und arbeiten mit staunenswerter Radikalität
an sehr unterschiedlichen Ästhetiken zur Darstellung von Politik und Gesellschaft. Ins Kino
kommt davon hierzulande wenig. Immerhin das Werk von Mendoza wird nun auch im
Weltkino-Entwicklungsland Deutschland etwas sichtbarer.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen in der: taz
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Kinatay
Frankreich / Philippinen 2009 - Regie: Brillante Mendoza
- Darsteller: Coco Martin, Julio Diaz, Mercedes Cabral, Maria Isabel Lopez,
John Regala, Jhong Hilario, Lauren Novero - FSK: keine Jugendfreigabe
- Fassung: O.m.d.U. - Länge: 105 min. - Start: 15.7.2010
Lola
Frankreich / Philippinen 2009 - Regie: Brillante Mendoza
- Darsteller: Anita Linda, Rustica Carpio, Tanya Gomez,
Jhong Hilario, Ketchup Eusebio, Benjie Filomeno
- FSK: ohne Altersbeschränkung - Fassung: O.m.d.U. -
Länge: 110 min. - Start: 15.7.2010
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