zur startseite
zum archiv
Die
Klavierspielerin
Gefühlspunk
Panzer. Musikpanzer. Masken gegen Mütter
und ihre Stellvertreter. Unfreiwillige Komik von Anfang an. Manchmal wünschte
man sich, dass Schriftsteller, Regisseure und andere erfinderische Menschen
aus ihrer Haut schlüpfen könnten. Ein bisschen Temperamentwechsel.
Diese Thematik hätte wohl das Zeug zum Komischen gehabt: Eine Frau, Erika
Kohut, irgendwie alterslos, aber wohl um die 40, wohnt nicht nur noch bei ihrer
Mutter, sondern schläft sogar im selben Zimmer mit ihr, ja, man soll es
nicht glauben, im Ehebett. Dieser seltsame Ehemann als Wiedergänger eines
Kleinkindes wird des Nachts, wenn’s mal unangekündigt später geworden
ist, gewissermaßen mit dem Nudelholz von der Stiefmutter als Gattin empfangen.
Michael Haneke, das merkt man gleich,
ist es leider todernst mit dieser Ausgangslage. Nicht erwachsen gewordene Frau,
terrormäßig behütende Mutter. Dieser Kindergartenhorror überträgt
sich auf alle Beziehungen, in denen Erika, die Klavierspielerin, steht. Schlichtes
Input/Output-Prinzip. Wie du mir, so ich den anderen. Mediale Existenz, durch
die der Hass fließt. Plötzlich trifft der Hass auf die Liebe. Die
hat auch einen Namen, Walter Klemmer. Die Liebe liebt die Musik, Eishockey,
Schwachstrom und eben Erika Kohut. Sie sagt ihr das auch. Aber der Hass stößt
die Liebe zurück. Obwohl die Liebe fantastisch Klavier spielt und beim
Hass sogar als Meisterschüler anfangen darf. Zwischendurch erfährt
der Zuschauer, dass der Hass nicht rein ist. Schon die Mutterbeziehung ist klassischerweise
eine der Hassliebe. Nach dem Gezänk die Versöhnung. Bis in alle Ewigkeit.
Insgesamt wird natürlich viel verdrängt.
Vor allem Sexualität. Deshalb muss der unreine Hass in Pornoläden
gehen, wo er sich unsaubere Taschentücher beim Glotzen vor die Nase hält.
Beim Autokino wird anderen nicht ganz heimlich beim Ficken zugesehen und dabei
kräftig uriniert, denn irgendwo muss es ja abgehen. Auf der Damentoilette
bekennt der schöne Walter seine Liebe. Der Hass aber zieht ihn auf und
lässt ihn nicht kommen. So was tut richtig weh. Fortsetzung der Klavierstunde
mit anderen Mitteln. Die Spielregeln will ausschließlich der Hass diktieren.
Hass. Sade. Aber das sehr traurig, ohne Lust, klar, dass Walter da nicht mitspielen
will. Das Drehbuch der Klavierspielerin ist ein in der Puppenstube hingemachter
Haufen Scheiße.
Dann will Sade à l’envers die missglückte
Verführung wiedergutmachen, aber ein Oralverkehr nach dem Eishockeytraining
bringt ganz andere Ergüsse. Die Liebe wird dann zum Psychiater. Nimmt probeweise
das Drehbuch ernst. Zuhause, im Beisein des Mutterdrachens, setzt es Schläge.
Vielleicht hilft ein etwas aggressiver Sex? Nein? Keine Reaktion beim Haufen
Elend. Beim Überwrack. Beim Monster. Bei ihrer letzten Handlung, die man
sieht, anlässlich eines Konzerts, zeigt die Klavierspielerin zum ersten
Mal etwas Gesicht, das man sonst bei den zahlreichen Nahaufnahmen sich hinzudenken
muss. Erika hat ein Messer dabei, das sie vielleicht Walter in dem Leib rammen
will, aber dazu kommt es nicht. Eigentlich sollte sie für eine ihrer Schülerinnen
einspringen, die sie selbst, aus hehren ästhetischen, vor allem aber aus
Walter-Bestrafungs-Gründen, durch Glasscherben an der Hand verletzt hatte.
Kurz vor Konzertbeginn steht Erika Kohut allein im Foyer, zückt das Messer
und sticht sich damit in die Schulter. Man sieht eine Fratze. Die Fratze verlässt
das Gebäude. Man wartet auf quietschende Reifen. Aber nichts passiert.
Ein paar Taxen fahren vorbei. Dann ist der Film aus. Sehr lustiges Marionettentheater.
Dieter Wenk
Dieser
Text ist zuerst erschienen im Oktober 2001 in:
Zu diesem Film gibt es im archiv der filmzentrale mehrere Kritiken
Die Klavierspielerin
von Michael Haneke, Österreich/F 2001, 130 Min.
mit Isabelle Huppert, Benoît Magimel, Annie Girardot
nach dem gleichnamigen Roman von Elfriede Jelinek,
Literaturverfilmung
Start: 11.10.2001
zur startseite
zum archiv