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Kleine Morde
Ein Kind wurde in einem Einkaufszentrum entführt, in einem verfallenen Landhaus gefoltert und mit einem aufgesetzten Kopfschuss getötet. Hauptkommissar Schaller ist zunächst ratlos, dann aber kommen ihm die Aufnahmen einer Überwachungskamera zu Hilfe, auf denen zwei Jungen zu sehen sind, die mit dem Opfer reden. Die Verdächtigen verwickeln sich bei der Befragung in Widersprüche. Einer der Jungen ist Martin, der 13-jährige Sohn eines angesehenen Richters, dessen Kamera in der Nähe des Tatorts gefunden wurde. Martin, so sein selbstgefälliger Vater, hat einen IQ von 150, hört hauptsächlich Klassik und spricht besser Latein als sein Lehrer. Letzteres ist im Haus des Richters offenbar Usus, denn der Richter und sein altkluger Sprössling hauen sich gerne mal Seneca-Sentenzen um die Ohren. Als Mordanklage erhoben wird, sorgt sich der Junge, der seine Unschuld behauptet, primär darum, dass er die beste Verteidigerin erhält. Da er jahrelang den Prozessen des Vaters beiwohnte, ist er mit dem juristischen Prozedere eines Strafprozesses bestens vertraut und spielt ein böses, manipulatives Spiel mit den ermittelnden Polizisten und Psychologen. Wäre da nur nicht dieses neue Gesetz; denn „in naher Zukunft“, in der „Kleine Morde“ spielt, ist die Strafmündigkeitsgrenze in Deutschland aufgehoben; auch Kinder werden jetzt strafrechtlich wie Erwachsene behandelt.
Begründet wird diese Gesetzesnovelle im Film nur indirekt: Offenbar hat die Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen stark zugenommen. Der Film könnte das Gesetz durchaus legitimieren, aber die Hauptfigur will es offenbar ad absurdum führen. Was nicht recht zu passen scheint. Es geht einiges durcheinander in diesem Film, der selbst nicht recht zu wissen scheint, was er sagen will. Die Story ist äußerst konfus entwickelt, schwankt von Szene zu Szene atmosphärisch unentschieden zwischen Problem-, Horror- und Polizeifilm; ein „Coming of Age“-Feelbad-Movie, dessen Erzählfluss durch Rückblenden und ausgemalten Gewaltfantasien zusätzlich gehemmt wird. Der Film ist mit Uwe Ochsenknecht oder Ann-Kathrin Kramer zwar recht prominent besetzt, doch die chargieren hier so unterirdisch, dass lediglich der junge Hauptdarsteller Paul Falk sowie Udo Schenk und Günther Kaufmann unbeschädigt daraus hervorgehen.
Letztlich ist „Kleine Morde“ (schon der Filmtitel scheint logisch
zumindest missglückt formuliert) nur eine Variation des bekannten Stoffs
vom scheinbar genialen Mörder, der sein perfides Spiel mit Ermittlungsbehörden,
Anwälten und Freunden treibt, um sich selbst als „Übermensch“ zu stilisieren.
Wobei der Film auch diesbezüglich inkonsequent ist, indem willkürlich
doch immer wieder psychologisierende Elemente einbezogen werden, wenn vom Verlust
geliebter Menschen die Rede ist, auf den mit Wut statt Trauer reagiert wird.
Durch eine stilistisch ambitionierte Kameraarbeit und den großzügigen
Einsatz unheilvoll dräuenden Filmmusik wird das hölzerne Laienspiel
künstlich zum Kinofilm aufgeblasen, der durch seinen unfreiwilligen Humor
bestenfalls für Trash-Freunde interessant sein dürfte.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen in: film-Dienst
Kleine Morde
Deutschland 2011 - Regie: Adnan G. Köse - Darsteller: Paul Falk, Ann-Kathrin
Kramer, Uwe Ochsenknecht, Günther Kaufmann, Jimi Blue Ochsenknecht, Jasmin
Schwiers, Udo Schenk, Olaf A. Krätke, Andreas Joachim Hertel - FSK: ab
16 - Länge: 93 min. - Start: 20.9.2012
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