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Kleine
Verbrechen
Der junge Polizist Leonidas verfügt
über hinreichend professionelle Energie und Idealismus, um es mit der gesamten
Unterwelt Athens aufnehmen zu können. Leider aber wird er auf einer kleinen,
friedlichen griechischen Insel eingesetzt, was ihn rasch als eine lächerliche
Figur erscheinen lässt. Das Leben auf der Insel geht seinen alltäglichen
Gang, sodass der Gesetzeshüter eher als Störenfried erscheint, wenn
er Temposünder auf kaum befahrenen Straßen zur Rechenschaft zieht
oder der Landessprache unkundige Touristen darauf aufmerksam macht, dass Nudisten
hier nicht wohl gelitten sind. (Die Kamera von Yorgos Giannelis spricht da übrigens
eine entschieden andere Sprache.) Weil Leonidas’ exekutive Autorität also
in der insularen Alltagspraxis quasi durch Nichtbeachtung konsequent dekonstruiert
wird und er vom sozialen Status noch unterhalb des Insel-Lehrers angesiedelt
ist, träumt er von der großen Stadt. Dort hat Angeliki, schönste
Blüte des Eilands, als Moderatorin beim Frühstücksfernsehen eine
Karriere gemacht, an der die Inselbewohner lebhaft Anteil nehmen, indem sie
sich regelmäßig vor dem televisionären Lagerfeuer zum kollektiven
(An-)Beten versammeln.
Gerade hat man sich als Zuschauer an die
Mischung aus leicht klamottiger Polizistenkomödie und mediterranem Schlendrian
gewöhnt, da wird eine Leiche gefunden. Der bekannte Säufer und ehemalige
Fußballprofi Zacharias wird unterhalb eine
Klippe tot aufgefunden. Ein Unfall im Suff? Selbstmord? Ein Mordanschlag? Bis
auf Leonidas, dessen große Stunde unvermittelt geschlagen zu haben scheint,
sind die Inselbewohner seltsam desinteressiert an den Todesumständen; sogar
Leonidas’ Vorgesetzter wiegelt entschieden ab. Was den jungen, ehrgeizigen Polizisten
nur noch misstrauischer macht. Bei seinen Ermittlungen stößt er auf
mehr heiße Spuren und Verdächtige als in einem Agatha-Christie-Krimi,
wobei die Motive von Tat im Affekt über Grundstücksspekulation bis
zum US-Geheimdienst reichen. Als plötzlich auch noch die schöne Angeliki
auftaucht, die sich als Einzige wirklich für die Umstände von Zacharias’
Tod zu interessieren scheint, kippt der Film widerstandslos von der leicht surrealen
Nervensägen-Groteske in eine romantische Komödie um, die dann irgendwann
sogar noch das absehbare griechische Hochzeitsfest mitnimmt. Während für
Leonidas immer deutlicher wird, dass alle Inselbewohner unter einer Decke stecken
und seine Ermittlungen allmählich wirklich lästig zu werden beginnen,
trifft die Nachricht mit seiner Versetzung aufs Festland ein. Ein Traum wird
wahr! Oder will man nur den unbequemen Schnüffler los
werden? Zudem kommt die Versetzung auch ungelegen, weil sich gerade die
Liebesgeschichte zwischen ihm und Angeliki abzeichnet.
Über diverse Wendungen kommt der
etwas sehr spannungslos und sommerlich vor sich hin plätschernde Film schließlich
zu einem Schluss, der meilenweit von seinem schrägen Beginn entfernt ist.
Käme diese in vielem vorhersehbare, aber nicht unsympathische Provinzkomödie
aus Skandinavien, Frankreich oder Italien, könnte man wohl von einem in
die Jahreszeit passenden Geheimtipp sprechen. Da aber seit Jahren – abgesehen
vom Schwergewicht Theo Angelopoulos – so gut wie keine griechischen Filme ihren
Weg in die hiesigen Kinos gefunden haben, darf man auf die Resonanz des Publikums
gespannt sein. Allerdings: Abgesehen von Landschaft und Architektur (und, glücklicherweise,
der Sprache) ist nicht mehr sehr viel spezifisch Griechisches in „Kleine Verbrechen“
im Spiel. Aber vielleicht existiert das so auch gar nicht mehr.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: film-Dienst
Kleine
Verbrechen
Griechenland / Deutschland / Zypern 2008 - Originaltitel: Mikro eglima - Regie: Christos Georgiou - Darsteller: Aris Servetalis, Viki Papadopoulou, Antonis Katsaris, Panayiotis Benekos, Evgenia Dimitropoulou, Dimitris Drosos - FSK: ab 6 - Länge: 85 min. - Start: 11.6.2009
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