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Knight of Cups
Aus dem Off der Flüsterstimmen
Terrence Malick verlegt seine pantheistisch beseelte Lobpreis-Ästhetik
in "Knight of Cups" nach Los Angeles.
Ein kümmerlicheres Erdbeben hat selten die Wände eines kalifornischen
Films zum Wackeln gebracht: Hollywood-Drehbuchautor Rick (Christian Bale) treibt
es zwar aus seinem Kingsize-Bett und hinaus auf die Straße, doch mit schwankenden
Regalen und ein paar auf dem Asphalt zerberstenden Blumentöpfen hat sich
der Spuk auch schon wieder erledigt. Als wolle er glauben, dass im Schoß
der Erde doch noch erschütterndere Kräfte ruhen müssen, horcht
der an allem übersatte, trotzdem dauerhungrige Karrierist in Terrence Malicks
neuem Film "Knight of Cups" am heißen Beton von Los Angeles.
Doch selbst die Natur verweigert den traumatischen Hieb, der das Leben vom Kopf
auf die Füße stellen und das Bewusstsein zur Auseinandersetzung mit
dem Sein zwingen könnte.
So bleibt alle Wirklichkeit ein einziges Verschleißangebot: Rick taumelt
im Folgenden wie benommen aus den Schößen von Prostituierten in die
Arme seiner Ex-Frau (Cate Blanchett) und anderer Gespielinnen, schleudert die
Dollarscheine zum offenen Cabrio-Dach heraus, verfolgt beiläufig verdrogte
Parties auf unwirklichen Landsitzen und lässt sich von einer Kartenlegerin
das Tarot-Spiel ebenso unbeeindruckt erklären wie von einem Priester die
Lehren der Kirche. Dazwischen rufen die Malick-typischen Stimmen aus dem Off
den verlorenen Pilger auf den Weg der beharrlichen Sinnsuche zurück: Finde
die Perle, komm ins Eigentliche. Doch vor allzu bohrenden Fragen und dem ewig
ungelösten Konflikt mit Vater und Bruder flüchtet Rick sich lieber
in die beengende Weite der Wüste. Als müsse er gelegentlich in jenes
dornige Gestrüpp zurück, aus dem der sentimentale "Ritter der
Kelche" auf der titelgebenden Tarot-Karte geritten kommt.
Rick und seine mondäne Welt beginnen in "Knight of Cups" schleichend
und von innen wie Hülsenfrüchte zu verfaulen, während die Schale
unter den zauberschönen lens flares der Sonne Kaliforniens noch ungebrochen glänzt.
Terrence Malick, der viel verehrte, viel gehasste Chronist der (Selbst)Entfremdung
des modernen Menschen, hat daraus einen verblüffenden Film im Modus permanenten
Kippelns entworfen. Noch ist nicht alles verloren, doch längst ist kaum
mehr etwas zu retten.
Die Dichtereinsicht indes, dass das Rettende vor allem dort wächst,
wo auch Gefahr ist, dekliniert der Regisseur erstmals mit spürbar mehr
Lust an der Gefahr durch: Ein süßlich-schwerer Duft, betörend
wie Sirenen-Gesang, geht von diesem Film aus. Das entkernte Leben des Mannes
im Designer-Sportsakko sieht zu gut aus, als dass es gänzlich verkehrt
sein könnte. Alles lockt, alles bietet sich an. Die Wege zum Glück
stehen offen und die gedealten Waren des entgrenzten Kapitalismus erfüllen,
was sie versprechen: Die Drogen befeuern, die Autos sind schnell, die vielen,
zur Rettung des Helden erneut vitalistisch herbeitanzenden Frauen aufreizend
und/oder tiefgründig, ein süßlicher Spiritualitätscocktail
soll die Seelenscham lindern. Da der existentielle Absturz ausbleibt und die
nackten Mädchen immerfort durch champagnerfeuchte Hotelbetten tollen, wandert
Christian Bale als Rick mit einem ataraktischen Dauerlächeln durch den
Film: Es ist ein etwas schaler Spaß, aber dafür ein großer.
Die jeden Erdenwinkel pantheistisch beseelende Lobpreis-Ästhetik,
von Malick und seinem großartigen Kameramann Emmanuel Lubezki seit "The New World"
(2005) kontinuierlich entwickelt, erprobt sich erstmals an den opaken Texturen
zeitgenössischer Urbanität - und wird ausgerechnet darin in ungeahnter
Ambiguität bezwingend. "Knight of Cups" ist ein erratisch montierter
Bilderstrom aus reflektierenden Glasfassaden, Sichtbeton, Infinity-Pools und
riesigen LCD-Reklamen. Ein doppelzüngiges Hohe- und Spottlied auf Los Angeles
als jenem Traumort, der seinem Protagonisten wohlständige Lebensfülle
und depressive Leere gleichermaßen gegeben hat. In dieser reizvollen Unentschiedenheit
entwirft Malick das genaue Gegenteil zu einer Verhöhnung des "schönen
Scheins": Die Obdachlosen der Stadt setzt er ins hellste Licht des Films.
Zugleich ist das Wasser in den Pools tatsächlich kristallklar, die Palmen
sattgrün, der Blick über die Lichter von LA durch bodentiefe Fenster
wirklich toll. Dass die Wohnungen dahinter so leer sind, dass selbst Einbrecher
in Ricks Appartement sich wundern, weil das kühle Herz des Wanderers an
nichts sich hängen möchte, gehört zur anderen Seite derselben
Sache.
Die vielleicht faszinierendste Sequenz dieses an Faszinierendem reichen Films
führt Rick an der Hand einer street-smarten Stripperin (Teresa Palmer)
nach Las Vegas, von Malick gefilmt als gäbe es auf Erden keinen schöneren,
poetischeren Ort. All die kitschigen Engelsfiguren, Hotelkasernen und Eiffelturm-Nachbauten
scheinen in den Neonlichtfluten gen Himmel zu streben wie die geflügelten
Platon-Seelen aus dem Off der Flüsterstimmen. Auf dem Höhepunkt dieses
glücklichen Plastikzaubers wird der Tod selbst im Rahmen einer irren Party
auf dem elektrischen Stuhl durchgebraten. Las Vegas als grandiose Kulturleistung,
als Schlummertrunk gegen die Gewissheit, dass sterben muss, was da ist. In Malicks
Bildern ist das qualitativ nicht verschieden von den feingeistigen Galerien,
die Rick an anderer Stelle mit seiner Teilzeitgefährtin Elizabeth (Natalie
Portman) besucht. Beides will gelebt und geliebt sein, kann Authentizität
annehmen oder sich verbrauchen, abnutzen und leer werden.
Insofern ist "Knight of Cups" auch eine Wanderung durch den notwendigen
Schlaf der Todesvergessenheit und das dazugehörige Traumreich. Der Kelchritter
beim Tarot-Spiel ist schließlich mit träumerischen Attributen belegt,
die Musik verweist immer wieder auf Peer Gynt, Ibsens ewigen Phantasten. Ob
Rick wie Letzterem die Erlösung durch die Liebe einer Frau zuteil werden
kann, lässt der Film offen. Das Erwachen ist schließlich eine eher
einsame Angelegenheit und die Träume stemmen sich besonders in dieser Phase
gegen ihr Verschwinden. Hier droht ihr Glanz bereits, dem Träumenden das
Atmen schwer werden zu lassen. Kaum zumutbar eigentlich, dass erst am Anfang
steht, wer damit durch ist.
Janis El-Bira
Dieser Text ist zuerst erschienen in:www.filmgazette.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Knight of Cups
USA 2015 - 118 min. - Regie: Terrence Malick - Drehbuch: Terrence Malick - Produktion:
Nicolas Gonda, Sarah Green, Ken Kao - Kamera: Emmanuel Lubezki - Schnitt: A.J.
Edwards, Keith Fraase, Geoffrey Richman, Mark Yoshikawa - Musik: Hanan Townshend
- Verleih: Studiocanal - FSK: ab 6 Jahre - Besetzung: Christian Bale, Natalie
Portman, Imogen Poots, Cate Blanchett, Teresa Palmer, Jason Clarke, Wes Bentley,
Nick Offerman, Joe Manganiello, Joel Kinnaman, Ben Kingsley, Freida Pinto, Antonio
Banderas, Isabel Lucas, Nicky Whelan - Kinostart (D): 10.09.2015
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