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Der
Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber
Fressen und gefressen werden. So lautet seit fast zwei Jahrhunderten
das Evolutionsprinzip des Kapitalismus. Die Reichen und Mächtigen verschlingen
und stopfen. Das gemeine Volk suhlt sich allenfalls in dem, was hinten wieder
rauskommt. Peter Greenaway nahm dieses Bild mit „Der Koch, der Dieb, seine Frau
und ihr Liebhaber“ ganz wörtlich – sein Film spielt in einem in einer Fabrikhalle
untergebrachten Nobelrestaurant. Vorne, in blutrotes Licht getaucht, delektiert
sich das Bürgertum. In der Küche schuftet das Dienstpersonal. Die
Logik der Gentrifizierung, die klassenverdrängende geografische Ausdehnung
der Besserverdienenden, klingt in der Wahl des Handlungsortes mit an. Die gesellschaftlichen
Eliten haben in „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“ den angestammten
Ort der Arbeiterschaft übernommen. Doch die wahren Schweinereien passieren
bei Greenaway vor den Augen des zahlenden und speisenden Publikums.
Jeden Abend hält der Gangster Albert Spica mit seiner barbarischen
Entourage (darunter ein junger Tim Roth) Einkehr an diesem kulinarischen Ort.
Es ist ein Affront des guten Geschmacks. Aber Geld kennt keinen Geschmack, nur
ein ständiges Völlegefühl, das sich durch alle Körperöffnungen
Bahn bricht. Der Dieb kann sich die Köstlichkeiten, die der Koch zubereitet,
leisten – aussprechen kann er sich deswegen noch lange nicht. Das ist seiner
Frau Georgina vorbehalten, die die Demütigungen Alberts würdevoll
erträgt. Denn ihr ist ein Wissen zu eigen, das der alte Bildungsbürger
Greenaway über das banale Gedächtnis des Geldes stellt. Ihr tischt
der Koch die wahren Delikatessen auf, für die der Dieb nur Hohn und Spott
übrig hat. Auf der (klinisch weiß ausgeleuchteten) Toilette des Restaurants
treibt sie es dafür mit einem anderen Gast: Michael, der sich an einem
Nachbartisch mit seinen Büchern zurückgezogen hat.
Auch dem Liebhaber ist ein Wissen zu eigen, das Albert fremd ist.
Und wie Georgina muss auch er Spott erdulden. Dafür nehmen sie gemeinsam
auf der Toilette Rache. Später auch, mit Hilfe des Kochs, der die unzivilisierten
Anwandlungen Alberts mit stiller Verachtung straft, im Hinterzimmer der Küche.
„Essen und Sex liegen dicht beieinander,“ philosophiert Albert in einem seiner
wenigen lichten Momente – und meint dabei doch bloß die Körperöffnungen
des Menschen. Greenaway versteht den Vergleich jedoch ganz buchstäblich.
Als die Frau und ihr Liebhaber vor dem rasenden Albert flüchten müssen,
verstecken sie sich in einem Kühltransporter voll verwesendem Fleisch.
Es ist die Zuspitzung von Greenaways Körperbildern: die nackten Liebenden
in einer Wagenladung voll stinkender, faulender Tierleichen.
Das Wissen um Essen und Literatur unterscheidet in „Der Koch,
der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“ die Guten von den Bösen. Greenaway
zieht damit auch einen Trennstrich zwischen der Kultur und der korrupten Gewalt
der Macht. Es ist ein ewigwährender Kampf, von Greenaway versinnbildlicht
in dem berühmten Gemälde “Festmahl der Offiziere der Sankt-Georgs-Schützengilde”
(1616) von Frans Hals, das großformatig über dem Gelage von Alberts
Sippe hängt. Das Festbankett war schon immer eine Inszenierung von Macht.
Die, die es zubereiten, verfügen zwar über das kulinarische Wissen,
der Genuss jedoch bleibt ihnen verwehrt.
Greenaway strukturiert seinen Film nach visuellen Systemen: die
farbliche Ausleuchtung der Räumlichkeiten, die Kleidung der Darsteller
(entworfen vom 80er-Modepapst Gaultier), die die Farbe des jeweiligen Raumes
annimmt, die Zubereitung der Speisen (die tägliche Menükarte fungiert
als Kalenderblatt zwischen den Kapiteln des Films); sie schaffen eine ästhetische
Ordnung, die er dem Gewaltprinzip des Diebes entgegenstellt. Greenaways malerische
Plansequenzen, die selbst museumswürdig sind, vermessen den Handlungsort
mit langen Kamerafahrten durch Wände und Türen hindurch und brechen
damit auch die Hierarchien dieses Szenarios - vom Gelage im Restaurant
bis hinunter zur Arbeit des Küchenpersonals - auf.
Im Mittelpunkt steht jedoch die Nahrungsaufnahme. Essen erfüllt
in „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“ zweierlei Funktion: Als
Ausdruck von Kultiviertheit und höchstem Genuss, die unkorrumpierbare Verschmelzung
von Sinneseindrücken - und damit auch eine zutiefst bürgerliche Wunschvorstellung.
Und gleichzeitig dessen Umkehrung: totale Dekadenz. Der Exzess der Macht, die
noch alles Verwertbare in sich hineinstopft. Greenaway findet für diese
Obszönität natürlich die passende Schlusseinstellung. Die Frau
zwingt den Dieb, ihren getöteten Liebhaber vor den Augen der feinen Gesellschaft
zu verspeisen.
Andreas Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen in: www.fluter.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber
LE CUISINIER, LE VOLEUR, SA FEMME ET SON AMANT
THE COOK, THE THIEF, HIS WIFE AND HER LOVER
England / Frankreich / Niederlande - 1989 - 125 min.
– Scope - Verleih: NEF 2, Atlas (Video), Erstaufführung:
23.11.1989/27.5.1992 Video - Produktionsfirma: Allarts
Cook Ltd./Erato Films/Films Inc. - Produktion: Kees Kasander
Regie: Peter Greenaway
Buch: Peter Greenaway
Kamera: Sacha Vierny
Musik: Michael Nyman
Schnitt: John Wilson
Darsteller:
Michael Gambon (Albert)
Richard Bohringer (Richard)
Helen Mirren (
Alan Howard (Michael)
Tim Roth (Mitchel)
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