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Die
koreanische Hochzeitstruhe
Beim
heiligen Photoshop!
In
eine andere Welt entführt Ulrike Ottingers Doku "Die koreanische Hochzeitstruhe",
der zeigt: Sich-Binden will gelernt sein.
Bloß
keine Knoten! Ineinander geschlungen seien die Bänder, innig, aber ohne
Gewalt. Wir sehen zu, wie die koreanische Hochzeitstruhe gefüllt wird mit
Beuteln und anderen Dingen. Dann wird der Deckel zugeklappt und die Truhe mit
weißen Bändern umwickelt, auf dass der Träger sie umgürten
und an ihren Bestimmungsort tragen kann. Um diese Truhe herum entwirft Ulrike
Ottingers dokumentarisch gestimmter Film ein Bild vom Heiraten in Südkorea.
Nicht nur hier will Sich-Binden gelernt sein. (Auch das Loslassen, wie man in
Im Kwon-Taeks großartigem Spielfilm-Gegenstück "Chukje"
lernen kann: da sehen wir Beerdigungs-Rituale.)
Was
Ulrike Ottinger daran interessiert: Wie das Traditionale seinen Ort in der Gegenwart
findet. Wie die Gegenwart die Formen der Tradition übernimmt und verwandelt,
indem sie sie integriert. Wie also Gegenwart Form gewinnt, indem sie mit hergebrachter
Form umgeht. Wie das im Korea der Gegenwart zugeht, wird in spielfilmähnlicher
Dramaturgie vorgeführt. Am Anfang sieht man: Einen Tempel der Wunscherfüllung.
Zettel mit Wünschen werden an Wände gesteckt. Dann sieht man: Kleine
Schlösser werden von Paaren an einen Drahtzaun gehängt. Diesig im
Hintergrund Seoul. Im Vordergrund: Tausende Schlösser, Symbolik, die auf
der Stelle einsichtig ist. Ähnlich die Sache mit dem Knotenverbot. Erklärungsbedürftiger
die Einzelheiten der Hochzeitstruhenverpackung. Erklärungsbedürftig,
aber nicht wichtig: Schließlich kommt es einzig drauf an, dass alles genauestens
geregelt ist. Das bindungswillige Paar muss nicht wissen, was es tut, sondern
nur, was es zu tun hat (und was zu lassen).
In
klaren Bildern führt der Film seine Beobachtungen vor. Schickt den Hochzeitstruhenträger
als roten Faden durch die den einzelnen Gewerken erstaunlich einheitlich gewidmeten
Straßen des alten Seoul. Wir nehmen Einblick in ein traditionelles Hochzeitsgeschäft.
Prächtige Kleider werden wie auf einem Laufsteg präsentiert. Dies
und jenes wird dazu erklärt. Draußen schneit es und man ist fast
froh: Das hat wohl nichts zu bedeuten, das war beim Drehen halt so. Zuletzt
landet die Truhe auf dem Reistopf, wo sie auch hingehört. Wir wüssten
es nicht, hätte man's uns nicht gesagt.
Das
Moderne an der koreanischen Hochzeit, die uns Ottinger exemplarisch dokumentiert:
der Fließbandbetrieb. Das Ruck-Zuck-Ritual. Es gibt einen Hochzeitspalast,
da werden Paare frisch gebacken. Fotos sind wichtig. Zu Beginn des Films sahen
wir schon einen Automaten, der digitale Bildüberzeichnung a la Michelangelo
oder Raffael annonciert. (Beim heiligen Photoshop, ich seh' keine Ähnlichkeit.
Trotzdem das zentrale Versprechen schon im Kleinen: Du erkennst dich als armer
Gegenwartstropf in großer Tradition wieder. Wie für Rituale im allgemeinen
gilt hier: Die Behauptung, bei Lichte besehen ein Blödsinn, allein schon
genügt.) Bildförmig jedenfalls geht, was vor, während, nach der
Hochzeit geschieht, vonstatten. Nicht das Ereignis zählt - es ist ja auch
kein Ereignis -, sondern das Stattfinden, das sich durch Nachblättern im
Album nachweisen lässt.
Dazu
hat, etwas überdeutlich vielleicht, Ulrike Ottinger eine kleine Legende
geschrieben, vom Ginseng-Paar, die sie aus dem Off selbst erzählt. Darin
diese Passage: "Da sagte eines Tages die Ginseng-Frau zum Ginseng-Mann:
'Lass uns wieder in die Welt ziehen und sehen, was im Alten neu und im Neuen
alt ist." Das ist, wie manches an diesem Film, ein klein wenig betulich.
Aber man ist natürlich im ganzen sehr dankbar dafür, dass die Filmemacherin
ihre Augen an einem fremden Ort offen gehalten hat.
Ekkehard
Knörer
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: www.perlentaucher.de
Die
koreanische Hochzeitstruhe
Deutschland
2008 - Regie: Ulrike Ottinger – Mitwirkende: Kim Keum-hwa, Boseong, Kim Min-ja,
Ahn Baek-seung, Yun Min-kyung, Yoo Hee-jong, Lee Hyae-kyoung, Yang Gil-seung,
Lee Sun, Dr. Lee Dae-kyu, Lee Hye-lim - Länge: 82 min. - Start: 1.10.2009
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