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Lancelot,
Ritter der Königin
»Wieviel
Blut, wieviele Tote!« In Nahaufnahme der Schwertkampf zweier Gestalten,
keine Individuen, nur Rüstungen, die im Mondlicht vor der dunklen Kulisse
des Waldes metallisch-blau glänzen; ein Kopf fällt, Blut schießt
aus dem Rumpf; Skelette von Gehenkten; verbrannte Leichen; Verwüstungen,
Verstümmelungen, Tod. Dazwischen immer wieder die gesichtlosen Gestalten
in Ritterrüstungen, wie Roboter, unterbrochen von dem ruhigen Bild eines
Pferdeauges. Der Anfang ist von unerhörter Gewalt: Bilder einer Zerstörung,
unverständlich, fremd, nicht Teile einer begreifbaren Geschichte, eines
geschichtlichen Kontinuums, in dem Menschen und Geschehen in Zusammenhang stünden.
Die Geschichte, die offiziellen Taten, die sie definieren, ist eine der Zerstörung,
nicht das liberale Bild des Fortschritts, der mit Opfern und verständigem
Zwang erkauft werden muß. Die Unterscheidung zwischen notwendiger und
zusätzlicher Unterdrückung ist immer fragwürdig. Die Opfer, die
im Namen der anerkannten Werte, Ziele und Strategien gefordert werden, stellen
jeden »Sinn« in Frage. Geopfert wird die Basis der Geschichte, die
Menschen, die jene machen, ihre Körper. Alle Opfer des Alltags sind davon
abgeleitet. Der Materialismus Bressons, nicht durch kodifizierte Begriffe verstellt,
hat diesen Zusammenhang, der sich erstmals für Nietzsche stellte, in Bildern
erfaßt: die Zurückweisung und Vernichtung der Sinne, des Körpers,
sogar der Phantasie und des Bewußtseins durch die offiziellen Werte der
Moral, des formellen, bloß strategischen Denkens, die Repräsentationen
des Vernünftigen und Einsichtigen. Das ist das Thema des Films.
Daher
die klappernden und scheppernden Rüstungen, welche die Menschen, die in
ihnen stecken, verschlucken, die Worte, die sie sprechen, übertönen,
die Gesten, die sie machen, erstarren lassen. Die Waffen, die Panzerungen, das
ist die Geschichte. Die Schauspieler haben körperliche Arbeit zu leisten,
sie müssen in Rüstungen gehen, die nur ungelenke Bewegungen erlauben;
alle Energie wird davon beansprucht, sprechen können sie nur, wenn sie
anhalten. Materiell werden die Opfer sichtbar, die Entfernungen der Menschen
voneinander; das Schweigen, das sich ausbreitet und vom Lärm übertönt
wird, die unüberbrückbaren Distanzen zwischen Denken und Sprechen,
Sprechen und Handeln. Lancelots (Luc Simon) Versuch einer Verständigung
mit seinem Rivalen Mordred ist hilflos, fast lächerlich und zum Scheitern
verurteilt; der Kampf um die Macht, um die Frau (die Königin Guenièvre)
determiniert unausweichlich die Entscheidungen. Die Opfer sind die Tiere (daher
jenes Bild des Pferdes, zugleich Opfer und in seiner Ruhe Natur, die über
die Taten der »Helden« hinausgeht), die Frauen (Guenière),
die Jugend (Gauvain), schließlich Lancelot und die Ritter selbst.
Was
ist also LANCELOT DU LAC: Ritterfilm? Historienfilm? Oder Science-fiction? LANCELOT
DU LAC war für Bresson, als er den Film schließlich realisieren konnte,
schon ein altes Projekt. Zuerst kam er durch ein Drama Cocteaus (Les
chevaliers de la Table Ronde,
1939) mit dem Stoff in Verbindung. Er geht zurück auf Lancelôt
ou La Charette
(um 1170), einem der fünf Romane um König Artus von Chrestien de Troyes,
der in der 1. Hälfte des 13. Jahrhunderts zum ersten deutschen Prosaroman
bearbeitet wurde, zum sog. »Prosa-Lancelot«. Bereits die Auswahl
ist bezeichnend: nicht die erfolgreiche, gemeinschaftsstiftende Suche Percevals
nach dem Graal, sondern die erfolglose, schmerzliche und mit vielen Toten bezahlte,
folglich sinnlose Suche Lancelots. Der Graal, ein Kelch, der nur der Schrift
nach dem Prolog als Bild unterlegt ist, bleibt abwesend: keine Hoffnung auf
eine Erlösung von außen. Aber der Film verfolgt nicht wie bei Wagner
die nach innen verlegten Konsequenzen jener Abwesenheit: Schuld, Selbsthaß,
Wut. Sein Thema ist die Macht und die Zerstörung der Liebe durch sie.
Lancelot,
Ritter der Königin, kehrt erschöpft zurück. König Artus
(Vladimir Antolek) will den Rittersaal schließen lassen: zu viele sind
gefallen, als daß sich noch Versammlungen sinnvoll abhalten ließen.
Lancelot geht zur Königin; diese verlangt von ihm seine Liebe. Er aber
ist gebunden durch einen Schwur, den er während seiner Suche tat, niemals
mehr Guenièvre (Laura Duke Andominas) zu berühren und durch die
Treuepflicht, die ihn mit Artus verbindet. Aber er kehrt zu ihr zurück:
schön der Moment, wenn er in der klappernden Rüstung die Holzstiege
zu ihr hinaufsteigt, vor der Kraft ihres Verlangens die Rüstung ablegt
und die Einzelteile achtlos auf einen Haufen wirft, Blechteile wie auf einem
Autofriedhof. Dem zugeordnet ist ein anderer Moment, wenn er nach einer Turnierverletzung
bei einer alten Bäuerin sich auskuriert hat, wieder aufbricht und seine
Rüstung verlangt; die Alte bringt sie ihm, er legt die Teile an: sichtbare
Utensilien seines Mannestums, seiner gesellschaftlich funktionalen Arbeitskraft
und zugleich das sichtbare Gefängnis seines Körpers, seiner Sinne,
seiner Liebe.
Zum
Turnier brechen alle auf, nur Lancelot bleibt zurück. Wie sein Rivale Mordred
anscheinend zu Recht vermutet, will er allein bei der Königin Guenièvre
sein. Unerkannt kommt er dann doch zum Turnier, nur Gauvain ahnt seine Identität.
Beim Turnier wird er verwundet. Man hält ihn für tot, da er nicht
ins Lager zurückkommt. Genesen kehrt er zurück, mit einem Gewaltstreich
will er nun den Knoten seines Schicksals durchhauen: er entführt Guenièvre.
Jetzt muß er gegen Artus kämpfen, im Kampf tötet er, wenn auch
unwissentlich, den Freund Gauvain (Humbert Balsan), welcher der Pflicht entsprechend
für Artus kämpft, obwohl »sein Herz auf der Seite Lancelots«
ist. Die Liebe selbst: auch tot, zerstört ohne Rettung.
Eine
unendliche Trauer liegt über der Abschiedsszene zwischen Lancelot und Guenièvre.
Eine Hoffnungslosigkeit ohne Ausdruck, darum von umso größerer Grausamkeit.
Schon ihre Haltungen deuten an: es ist alles bereits entschieden; Guenièvre,
wie erschöpft, sitzend; Lancelot, stehend. Sie sehen sich nicht an.
Lancelot
bittet Guenièvre, bei ihm zu bleiben, diese »unmögliche Liebe«
gegen das Schwergewicht der Geschichte durchzusetzen; er sagt: »Ich habe
Augen für das Unmögliche.« Die Möglichkeiten jenseits des
repetitiven Alltäglichen erreichen, ein neues Leben jenseits des geschlossenen
Zusammenhangs des Schicksals, der Gewalt, die über die Menschen dahinfegt:
größte Anstrengung und größte Hoffnung, Utopie des Reichs
der Sinne, des Geistes. Fast scheinen alle äußeren Hindernisse aus
dem Weg geräumt; aber sie selbst können sich der Gewalt nicht entziehen,
der Wunsch nach dem Sprung ins Unmögliche bleibt gefesselt an die Geschichte.
Guenievre sagt: »Wir leben in einer Welt, die eng geworden ist«,
und: »Ich habe nichts gewählt. « Es gibt keine Auswege mehr;
sie sind leer, lebendig, aber tot. Der Tod hat die erreicht, die sich ihm widersetzten.
So
bleiben am Schluß nur noch die unausweichlichen Rituale des Todes übrig:
der Kampf zwischen Mordred und Artus, den Lancelot pflichtbewußt unterstützt.
Der Anfang wiederholt sich, noch unfaßlicher und noch gespenstischer.
Wieder Schwerter, anonyme Truppen, die im Marschschritt durch den Wald ziehen,
Pferde, die herrenlos in verschiedenen Richtungen vorbeigaloppieren, Heckenschützen,
Blut, Tote, bis schließlich auch Lancelot, tödlich verwundet, über
dem Blechhaufen aus Rüstungen zusammenbricht.
Offensichtlich
ist das kein historischer Film; das Schlußbild könnte einem Science-fiction-Film
entstammen. Dem Historischen sind Grenzen gesetzt; Kleider und Räume legen
keinen Wert auf historische Exaktheit. Mehr als zur Illustration einer Geschichte
dienen die Rüstungen (wie die schweren Schuhe der Mouchette) zur
Vergegenständlichung von Arbeit, von Hemmungen und Deformationen. Der Zeitpunkt,
um den der Film kreist, ist nicht eine Vergangenheit, sondern die Aktualität;
er geht aus von der Präsenz des Todes im alltäglichen Ritual. Das
Historische hat die Funktion eines Modells, in dem die Themen konzentriert und
verdichtet werden. Wie zu einem Gedankenexperiment, in dem die Zeit ausgeschlossen
ist, versammeln sich die Motive. Im Augenblick, als die Entscheidung gefallen
ist und Guenièvre zu Artus zurückkehrt, langsam, am Arm von Lancelot,
scheint die Zeit stillzustehen: der Tod hat die Zeit ausgelöscht. »Die
Geschichte«, so schreibt Walter Benjamin, »ist Gegenstand einer
Konstruktion, deren Ort nicht die homogene und leere Zeit, sondern die von Jetztzeit
erfüllt bildet.«
Das
Turnier ist ein Kabinettstück von höchster Brillanz wie die Diebstahlsequenz
in PICKPOCKET. Ein
Ritual, dessen äußerste Strenge mit der Strenge der Komposition zusammenfällt:
Ritual der Macht, Ritual des Todes, in dem die Menschen als bloße Exekutanten,
Mittel vorkommen. Nach dem Signal des Dudelsacks wird die Flagge des Ritters
aufgezogen, gegen den Lancelot antritt. An einer Holzbarriere reiten die Turniergegner
gegeneinander, bis einer durch einen Lanzenstoß vom Pferd geworfen wird.
Lancelot besiegt alle. Wie bei einem Motorradrennen werden die Gestalten zu
Boden geschleudert. Mit größter Ökonomie verfolgt die Kamera
die Bewegungen, unterbrochen von den Bildern der Tribüne (Artus und Gauvain),
des Dudelsackpfeifers, der Flaggen, die im Wind wehen. Keine Totale schafft
einen sicheren Überblick, wir werden mitten in die Action versetzt. Wir
sehen nur Fragmente, Bruchstücke und Splitter von Bewegungen, Tieren, Menschen,
jeder Gang ist eine Variation des Gleichen. Die Kamera folgt der starr gehaltenen
Speerspitze; oder auf halber Höhe den Beinen des Pferdes; oder dem Gegner;
oder sie erwartet den Moment des Aufpralls. Aber es soll nicht aus diesen Fragmenten
eine neue Totalität (und sei's nur im Kopf des Zuschauers) zusammengefügt,
auch das »Wesentliche« in der Action soll nicht isoliert werden,
um die Physiologie eines Kampfes zu liefern.
Vielmehr
eröffnet sich eine Perspektive unterhalb der offiziellen Geschichte, welche
von der Kohärenz der Strategien bestimmt ist. Die ästhetische Form
wiederholt das Ritual, das die realen Vorgänge bestimmt. Repetition und
Formalismus der Einstellungen bilden die Zwangsläufigkeit, die Notwendigkeit,
den naturwüchsigen gesellschaftlichen Zusammenhang ab, dessen Gewalt der
Film thematisiert. Sie sind Ausdruck des Entsetzens des Subjekts vor dieser
Geschichte. Die Repetitionen des Rituals werden zur Trauer, weil sie vergeblich
sind und aus ihnen sich kein »Sinn« zusammensetzt. Es ist die Trauer
über die Gewalt, die der Natur und dem Menschen angetan wird, über
die Zerstörung der Sinnlichkeit. Noch in UN
CONDAMNÉ:
oder in PICKPOCKET gab es die Hoffnung, daß sich über die Techniken
der Fragmentierung und der Ellipse ein Zusammenhang, eine Identität konstituieren
könnte. In UN CONDAMNÉ wurden tatsächlich Details von Handlungen,
in PICKPOCKET die Erforschung einer Welt und die Phantasien gezeigt, in die
sich Michel zurückgezogen hatte. In LANCELOT dagegen dienen die Fragmentierungen
der Destruktion: nicht mehr sicherer Entwurf einer Strategie, sondern ein trauernder
Blick über die Geschichte, über die Zerstörung, die sich zu einer
Totalität abzuschließen scheint.
Aber
der Tod ist nicht nur in den Ritualen präsent. Er ist es genauso in der
Enge und im Objektivismus der Bilder. Das Zeltlager um die Burg herum, die Zimmer,
von denen nur Ausschnitte zu sehen sind, die Kämpfe im Wald, die sich zu
keinem Gesamteindruck schließen wollen, die Räume selbst sind erstarrt,
von exakten Linien durchzogen, eng geworden, wie Guenièvre sagt. Die
Menschen werden von den Gegenständen eingefaßt, überwältigt.
Die Komposition des Raumes wiederholt nochmals die Rüstungspanzer, die
den Männern umgelegt sind. Die Sequenzen, die im Zeltlager der Ritter spielen,
ergeben oft Momente von seltsamer Irritation: Erinnerungen an die Anfangszeiten
der Kinematographie, etwa wenn sich auf der weißen Leinwand des Zeltes
der Schattenriß eines draußen Vorbeigehenden abbildet, oder wenn
sich die verschiedenen Tönungen der Zeltwände in manchen Einstellungen
zu einem Flächenbild wie die Berge in Bildern von Cezanne zusammenfügen.
Die Dinge und Menschen werden für einen Moment m einem Bild, nature morte,
sie erstarren, auch ein Moment des Todes. Nur der Mond, im blauen Nachthimmel,
zu dem die Ritter schauen, begleitet von den zwei Tönen eines Dudelsacks,
eine fast unwirkliche Szene von großer Schönheit, transzendiert die
Enge des Lagers. Und später: die einzige Totale des ganzen Films auf den
Wald, von einer Wiese her gesehen, aber auch da ohne Hoffnung; die Rauchzeichen
über dem Wald deuten schon das Ende an.
LANCELOT
DU LAC ist ein Film über die Zerstörung des Lebens, über den
lebendigen Tod, aber auch ein Film über den Tod des Lebens in der Form,
in der Kunst. Die Menschen gerinnen zu Zeichen, Figuren in einem Tableau. Ende
des Lebens und negatives Ende der Kunst. Von den Anfängen des Kinos, der
Phantasie, die sich in bewegten Bildern artikuliert, bleiben nur die Schattenrisse,
die Formgerüste übrig. Die Form determiniert den Film. Gerade das
Historische erlaubt die Konstruktion, in der sich das Geschehen zur Totalität,
zum System abschließt; darin liegt seine letzte Funktion. Auch die Zeitstruktur
des Films, die Serialisierung, wiederholt durch das Einförmige, formal
Gleiche den Tod. Die negative Totalität, zu der sich die Gesellschaft abzuschließen
scheint, zwingt den Film zur Flucht in die Reinheit der Form; diese aber ist
selbst der Tod. Die Situation ist ausweglos, das Ende absolut. Mit LANCELOT
Du LAC folgt der Film selbst den Figuren, die er zeigt, dem Tod, in das Reich
der Schatten.
Stefan
Schädler
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Robert Bresson; Band 15 der (leider eingestellten) Reihe Film, herausgegeben in Zusammenarbeit mit der Stiftung Deutsche Kinemathek von Peter W. Jansen und Wolfram Schütte im Carl Hanser Verlag, München/Wien 1978, Zweitveröffentlichung in der filmzentrale mit freundlicher Genehmigung des Carl Hanser Verlags.
Lancelot,
Ritter der Königin
LANCELOT
DU LAC
Frankreich
1973
Regie
und Drehbuch: Robert Bresson. - Kamera: Pasqualino De Santis. - Schnitt: Germaine
Lamy. - Musik: Philippe Sarde. -Ton: Bernard Bats. - Szenenbild: Pierre Charbonnier.
-Kostüme: Grès. - Waffen und Rüstungen: Billy Callaway. – Regie-Assistenz:
Mylène van der Mersch, Bernard Cohn. - Darsteller: Luc Simon (Lancelot),
Laura Duke Condominas (die Königin), Humbert Balsan (Gauvain), Vladimir
Antolek-Oresek (König Artus), Patrick Bernard (Mordred), Arthur de Montalembert
(Lionel), Charles Balsan, Joseph Patrick de Quindre, Christian Schlumberger,
Jean-Paul Leperlier, Guy de Bernis, Philippe Chleq, Jean-Marie Bécar,
Antoine Rabaud, Marie-Louise Buffet, Marie-Gabrielle Cartron. - Produktion:
Mara Films/Laser Production/O. R. T. F./ Gerico Sound. - Produzent: Jean Yanne,
Jean-Pierre Rassam, François Rochas, Alfredo Bini. -Produktionsleitung:
Michel Choquet. - Gedreht von Ende Juni bis Anfang September 1973 in Noirmoutiers.
- Format: 35 mm, Farbe (Eastmancolor), Breitwand 1: 1,66. – Original-Länge:
2286 m = 83 min. 32 sec. - Uraufführung: Mai 1974, Cannes. - TV: 4.5.1975
(ARD), 19.6.1977 (HR III), 30. 11.1977 (WDR III). - Verleih: atlas film + av
(16 mm).
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