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Landstück
Was Frösche schaffen
Dokumentarfilm In „Landstück“ begegnet Volker Koepp in der
Uckermark den Storys von früher und der Ökonomie von heute
Das ist doch mal ein lustiger Titel für einen Volker-Koepp-Film: "Landstück". Der verweist direkt aufs Werk, denn Volker-Koepp-Filme sind Landschaftsfilme, sie durchqueren Landstriche und porträtieren Bewohner, jeder dieser Filme wäre mit dem aktuellen Titel folglich treffend beschrieben. Zumeist heißen die Filme nach dem Landstück, das sie erzählerisch vermessen, weshalb man sich aus Koepps Werkverzeichnis einen Atlas zusammenstellen kann: "Memelland", "Berlin-Stettin", "Pommerland", "Livland", "Kurische Nehrung", "In Sarmatien".
Koepps dokumentarisches Projekt, zu dem mittlerweile über 50
Filme gehören, zielt allerdings nicht darauf, möglichst viel Land
und irgendwann die ganze Welt filmisch kartografiert zu haben, sondern konzentriert
sich auf den historischen Kernraum des Zweiten Weltkriegs, den Osten Berlins,
den Westen Moskaus, das geografische Dazwischen, den Schauplatz von zwei gewaltigen
Bewegungen. Es geht Koepp nicht nur um den Raum, sondern auch um die Zeit, und
das bedeutet, dass dasselbe Gebiet mehrfach dokumentiert werden kann. Was demnach
die pragmatische Lesart des Titels wäre: "Uckermark"
konnte "Landstück" schlecht heißen (auch wenn der Film
durch die dünnbesiedelte Gegend nordöstlich von Berlin reist), weil
das der Name eines Koepp-Films von 2002 ist.
Schnapsgrundiert gesellig
Einigermaßen programmatisch darf man die Entscheidung verstehen, dass "Landstück seine Erzählung von einem Gebiet, das als Wochenend-Arkadien des Berliner Bürgertums für seine Schönheit geschätzt wird, mit einem DDR-Altneubau und den dazugehörigen Garagenanlagen eröffnet – einem Wohnungsbau, der zu groß und unromantisch erscheint für die Gegend. Als vor dem Abriss bewahrter Atelierraum für Künstler wird das Gebäude hier als schätzenswertes Bauwerk perspektiviert, das in seiner Überdimensioniertheit eben auch Zeugnis einer Geschichte ist.
In solchem Sinne sind Volker Koepps Filme dissident und besonders, weil die Uckermark hier weder als Kulisse von Standortmarketing und Ausflugscafé-Tipps herhält wie in putzigen RBB-Dokumentationen, noch die Berliner Medienprominenz auf dem Landsitz besucht wird, um zu fragen, wie’s mit der Kreativität so läuft, wenn der Blick schön ist. Die Protagonisten von Landstück sind Leute, die man zumeist nicht kennt, denen das Recht auf eine, ihre Geschichte aber zugestanden wird.
Jene Frauen etwa, die ihr Leben in den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften der DDR zugebracht haben und die nun länger leben als ihre Männer. Da finden sich, noch immer, tiefsitzende Gefühle gegenüber den „Russen“ nach dem Ende der Nazizeit und hübsche Anekdoten über den informellen Handel mit Westberlin vor dem Mauerbau. In ihrer Summe verdichten sich die Lebensbilanzen der trinkfreudigen Ladys auf Chroniken, in denen das Leben als Abfolge von mühsamer Arbeit und grundsätzlicher Feierbereitschaft erinnert wird. Gerade das Austauschbare erweist sich hier als das Interessante, weil der Blick in das Gesicht der menschlichen Existenz nicht verstellt ist von der Schminke eines Individualismus, der sich mit der eigenen Bedeutsamkeit über den Umstand seiner Vergänglichkeit täuschen will.
Diese Allerweltsbiografien, in denen sich die potenzielle Klage über die Schwere der Zeitläufte in schnapsgrundierter Geselligkeit auflöst, laufen Koepp scheinbar vor die Kamera, die erstmals Lotta Kilian führt. "Landstück" kombiniert mit leichter Hand verschiedene Fragmente, trifft hier auf wieder zurückgekehrte Nachkommen zweier Protagonisten aus "Uckermark" und lässt sich dort die Machtverhältnisse auf einem Bauernhof erklären: „Ich bin der Chef, was meine Frau sagt, wird gemacht“, scherzt der angebliche Patriarch.
Daneben nimmt der Film auch eine gesellschaftliche Entwicklung in
den Blick, die aus der Vollautomatisierung der Landwirtschaft resultiert. Die
riesigen Flächen, die von internationalen Konzernen gekauft und monokulturell
oder mit Geistergeflügelfarmen bewirtschaftet werden, in denen noch ein
Mitarbeiter gebraucht wird, wenn überhaupt. Prominentester Kritiker dieser
Geschäftspraxen ist Michael Succow, der im letzten DDR-Kabinett stellvertretender
Umweltminister war und dort für ein strenges Nationalparkprogramm verantwortlich.
An Succow kann man sehen, was Individualität ist, einen solchen Menschen
wird man nicht noch einmal finden: Er referiert aus der Hüfte agrarökonomische
Globalzusammenhänge, die er aus eigener Anschauung kennt, so wie er kurzerhand
sämtliche Pflanzen auf der Wiese bestimmen kann (auch am Geschmack). Und
verfügt über Skills vom Schafehüten in den Kindertagen, die Eindruck
machen wie die hohe Kunst des Ohrenwackelns.
Man kann "Landstück" an dieser Stelle vorhalten, dass er die ökologische Gefahrenanalyse seiner Protagonisten teilt. Koepp bemüht sich nicht, einen Wiesenhof-Pressemenschen herbeizutelefonieren, der Sätze über die Sachzwänge der profitorientierten Massentierhaltung sagt. Dem Film liegt vielmehr daran, die eigenwilligen Blicke auf die Welt zu bewahren, wie sie etwa ein zarter Druckereibesitzer äußert, der beim ökologischen Bewirtschaften von Land mehr Solidarität erfahren hat als in dem Gewerbe, in dem er sein Geld verdient. In diesem Sinne ist "Landstück" ein eminenter Koepp-Film: Es soll aufgehoben werden, was gewesen war.
Dabei hat der Film ein feines Verständnis von seinen Möglichkeiten, in den gesellschaftlichen Diskurs zu intervenieren. Vergnügt wird die schöne Geschichte, wie ein DEFA-Naturfilmer einst tatsächlich etwas bewirkte: Er legte plausibel dar, dass eine bestimmte Maßnahme zur Verdrängung von Fröschen führen würde, die pro Tag einen Gegenwert von 5,22 Mark produzierten. Die zuständige Instanz überlegte – und ließ die Frösche weiterhin ihre wertvolle Arbeit tun.
Matthias Dell
Dieser Text ist zuerst erschienen in: der freitag
Landstück
Deutschland 2016 - 127 Min. - Start(D): 03.03.2016 - FSK: ohne Altersbeschränkung
- Regie: Volker Koepp - Drehbuch: Volker Koepp, Barbara Frankenstein - Produktion:
Volker Koepp - Kamera: Lotta Kilian - Schnitt: Christoph Krüger - Musik:
Ulrike Haage - Verleih: Salzgeber & Company Medien
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