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La
pivellina
Film
trifft Wirklichkeit
Mit
Menschen, die niemand anderen spielen als sich selbst, erzählen die Filmemacher
Tizza Covi und Rainer Frimmel in "La pivellina" von einem Kind, das
einfach so im Leben eines älteren Paars auftaucht.
Ercule, Herkules, heißt der Hund, der verschwunden ist.
Eine nicht mehr junge Frau mit feuerrotem Haar, die im Film und im richtigen
Leben Patti (Patrizia) heißt, ruft nach dem Hund. Wir müssen aber
erst einmal sehen, wo wir da sind. Wenig anziehendes Wohnsiedlungsgelände.
Am Rande Roms wohl, aber so ganz klar wird das nicht. (Einmal gibt es einen
Ausflug nach Ostia, ans Meer.) Liebloser Spielplatz.
Begrünungsversuche, aber alles ist irgendwie grau. Auch das
Grün ist grau. Der Hund taucht erst einmal nicht wieder auf. Pitta ruft
Ercule, es erscheint aber Aia, oder Asia, die auch im richtigen Leben so heißt.
Aia ist der Name, den sie selber sich auf Nachfrage gibt, aber sie ist erst
zwei Jahre alt, also wagt Pitta, die mit ihr auf dem Spielplatz auf eine erziehungsberechtigte
Person (die Mutter am ehesten) wartet, die Konjektur, dass das Kind Asia heißt.
Andererseits: auch eine Aneignungsgeste.
Ercule, der Hund, taucht nicht auf. (Später dann.) Auch die
Mutter bleibt aus. (Bis zuletzt, Ende offen.) Pitta nimmt Asia mit nach Hause.
Dieses Zuhause ist ein Wohnwagen im grauen Gelände. Dass ich oben "Wir"
schrieb, möchte ich rechtfertigen mit Blick auf die Kamera, die uns zeigt,
was wir sehen (das graue Gelände, Asia und Pitta auf der Schaukel, auf
den Spielplatzreifen). Diese Kamera ist eine Handkamera, die freilich eigen
geführt wird. Mancher denkt, vielleicht etwas vorschnell, an die Handkamerainsistenz
im Dardenne-Film "Rosetta". Dort bleibt die Kamera immer dran, heftet sich an die
Fersen der Titelperson und rückt ihr nicht von der Pelle. Die Handkamera
hier ist freier: Sie folgt, aber mehr aus Interesse. Sie drängt nicht,
sie strahlt diese Wut des Dranbleibenmüssens nicht aus. Was auch daran
liegt, dass eine Figur wie Rosetta, die von unten kommt und auf dem Weg Richtung
oben auch über Leichen geht, hier nicht in Sicht ist.
Die Macher dieses sehr schönen Films, Tizza Covi und Rainer
Frimmel, haben in zwei zuvor gemeinsam gedrehten Langfilmen dokumentarisch gearbeitet.
Sie tun es in gewisser Weise auch hier. Die Hauptfiguren, Pitta und ihr Mann
Walter, kamen schon im Vorgängerfilm "Babooska" vor: und zwar
als sie selbst. Nun heißen sie auch hier wieder, wie sie im richtigen
Leben heißen. Wie routiniert Walter auf Pitta mit Messern wirft, wie eingeübt
diese Choreografie ist, ihr Ausweichen, sein Werfen, das gehört zu den
Dingen, die man so wenig spielen wie man diese Gesichter, diese Körper
ausstatterisch herstellen kann. Ganz umgestellt auf Fiktion wird der Film also
nicht. Man merkt's an den Namen, man merkt's an der Kamera und man merkt es
vor allem daran, wie der Film seine Figuren mit einem Interesse und einer Neugier
beobachtet, die man nicht anders als berührend und echt und im besten Sinn
dokumentarisch nennen kann. Eine Form von unaufgeregter, ganz und gar nicht
ausgestellter Authentizität, die dieser Filme dankbar den Geschichten dieser
besonderen Menschenleben abgewinnt.
Dennoch aber sind die Mitwirkenden als Darsteller von Figuren
des Films ein Stück weggerückt von sich selbst. Sie spielen mit in
einer Geschichte, zu der es in Umrissen im Vorhinein schon ein Drehbuch gab.
Diese Geschichte sieht vor, dass ein zweijähriges Mädchen, von der
Mutter verlassen, in die Obhut von Pitta und Walter gelangt. Es geht in erster
Linie um die Situationen, in die dies Ereignis die beiden und dazu noch, als
weiteren Protagonisten, den Jugendliche Tairo (Tairo), auch ein Zirkuskind,
führt. Die Nähe suchende, unaufdringliche Handkamera beobachtet einfach,
und sie beobachtet im nie künstlichen Licht beispielsweise, wie Pitta das
Mädchen zu Bett bringt, wie Tairo die Raubtiere des Vaters in die Manege
geleitet, wie Asia lacht, trotzt und spielt, wie ein Zauberer unsichtbare Bälle
mit Knall in der Tüte fängt und wie ein anderer Zauberer Ballzaubertricks
vorführt.
Es geht, anders als manchem, der sehr bewusst auf der Grenze zwischen
"fiktional" und "dokumentarisch" arbeitet, den Filmemachern
Covi und Frimmel nicht so sehr um diese Grenze selbst und was es etwa bedeutet,
dass diese schlichte Differenz nur bedingt taugt zur Aufteilung der Wirklichkeit
in ihrer Darstellung im Bewegtbild. Nicht primär ein Theorie- und Meta-Interesse
also. (Nicht, dass etwas gegen ein solches Meta-Interesse gesagt sein soll.)
Eher, das ist mein Eindruck, geht es ihnen darum, zu sehen, wie Menschen, die
keine professionellen Darsteller sind, als sie selbst reagieren in Situationen,
in die sie, von einem Drehbuch und den Regisseuren zum Improvisieren aufgerufen,
versetzt sind.
Kein bisschen werden die Menschen und ihre "Echtwelt"
dabei aber ausgebeutet für diesen Film. Das Ganze ist sichtlich und spürbar
ein kollaboratives Projekt. Es spricht aus ihm ein gemeinsames Interesse derjenigen
vor und hinter der Kamera daran, eine Lebenswelt in Szene zu setzen. Film (Filmemacher,
Kamera, Ton) trifft Wirklichkeit (Patti, Walter, der Zirkus, Graugelände)
auf Augenhöhe, und zusammen probiert man aus, was passiert, gemeinsam
sieht man, was kommt, wartet man ab, wie die Elemente (Spiel, Realität,
Zirkuswelt, Kamera, Ton, Kleinkind, Winter, Tiere, Licht und Dunkelheit) aufeinander
und miteinander reagieren. Das Ergebnis ist nie spektakulär, dramatische
Aufgipfelungen gibt es nicht und Spannungserwartungen werden gezielt ins Leere
geschickt. Die Fülle, die diesen Film auszeichnet, liegt anderswo, nämlich
darin, wie er in der Skizze einer Fiktion und der Art, wie er sie zum Leben
erweckt, etwas findet, das sich so nicht erfinden lässt.
Ekkehard
Knörer
Dieser
Text ist zuerst erschienen im: www.perlentaucher.de
La
Pivellina
Österreich
/ Italien 2009 - Regie: Tizza Covi, Rainer Frimmel - Darsteller: Patrizia Gerardi,
Tairo Caroli, Walter Saabel, Asia Crippa - FSK: ohne Altersbeschränkung
- Fassung: O.m.d.U. - Länge: 100 min. - Start: 27.5.2010
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