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Last
Days
Von
den letzten Dingen
Gus Van Sant schließt mit Last Days
seine Trilogie über den Tod ab
Einer irrt durchs Gehölz, man weiß
nicht recht, was er sucht. Er wirkt abgerissen, derangiert, murmelt unverständliches
Zeug vor sich hin. Wenn wir in diesen Film, Last
Days von Gus Van Sant,
gehen, dann wissen wir, dass das in gewisser Weise Kurt Cobain ist, ein Schatten
von ihm jedenfalls. Die von Michael Pitt gespielte Figur im Film ist ein Rockmusiker
und heißt Blake, wie William Blake, der englische Dichter der Romantik,
von dem ein Namensvetter bereits die Jenseitsreise in Dead
Man von Jim Jarmusch
begleitete. Aber all dies erscheint angesichts der Naturbilder, in die einen
der hier durchs Gebüsch Stolpernde entführt, ohne weitere Bedeutung.
Das Elementare, das sich im Brausen und Rauschen des Wassers, im nassen Grün
der Pflanzen, im Blitzen und Flimmern des Lichts offenbart, entzieht diese versprengt
wirkende Gestalt den Fragen nach biographischen Hintergründen und konkreten
Zugehörigkeiten. Gus Van Sant erhebt dieses Abtun des Anekdotischen in
Last Days zum Programm, er hat die letzten Tage
Kurt Cobains vor dessen Selbstmord zwar zur Grundlage seines Films genommen,
verweigert sich aber beharrlich einer biographisch angelegten Behandlung des
Endes eines spektakulären und äußerst wirkungsreichen Musikerlebens.
Was man gezeigt bekommt, sind Szenen der Verstörung, ohne Kommentare, ohne
Erklärungen: Blake, der nach seinen Drogen sucht, der sich seltsame Mahlzeiten
zubereitet, der autistisch vor sich hinmusiziert, der mit seinen ihrer eigenen
Wege gehenden Bandmitgliedern das Leben in einem düsteren Haus teilt, den
es immer wieder hinaus aus dem Haus in die Landschaft treibt. Blake wirkt unansprechbar,
keiner nachvollziehbaren Kommunikation mehr zugänglich, einmal besucht
er einen Independent-Club, wo er ein wirres Gespräch mit einem abgefahrenen
Fan (Harmony Korine) führt, einmal empfängt er zu Hause den Besuch
eines Anzeigenacquisiteurs für ein Telefonbuch, ein ander Mal versucht
seine Managerin vergeblich an ihn heranzukommen.
Blake ist einfach nicht mehr richtig da,
der Film kreist ihn von außen ein, er folgt dabei keiner linearen Einsinnigkeit.
Gus Van Sant läßt hier wieder wie bereits in Elephant den Gang der Erzählung sich an bestimmten
Punkten überschneiden, er bildet Zeitschleifen, die eine zyklische Struktur
andeuten. Die normale Zeit ist wie aufgehoben, denn in Last
Days geht es überhaupt
um die letzten Dinge. Blakes Verzweiflung als suchender Musiker, als rastloser
Künstler, seine Verzweiflung als verlorener Mensch, diese Verzweiflung
kratzt die letzten Reste Transzendenz zusammen, derer sie habhaft werden kann
und die noch in der Kunst und der Haltung, der man ihr entgegenbringt, überdauern.
Wenn seine Mitbewohner und Bandmitglieder immer wieder »Venus in Furs«
von Velvet Underground auflegen, dann tun sie das fast ritualhaft, zeremoniell.
Das Mitsingen des Textes hat etwas Gebethaftes, die Zeile »down on your
bended knee« mit der Unterwerfungsgeste bekommt einen Beigeschmack religiöser
Inbrunst. Und Blake schaut sich im Fernsehen ein triviales Musikvideo von Boys
2 Men an, der Song heißt »On Bended Knee«, er handelt von
einer zu Ende gegangenen Beziehung, in dem Text bettelt der Verlassene darum,
wieder geliebt zu werden: »I'm down on bended knee«. Blake, in Frauenkleidern,
versucht zu dieser Textzeile auf groteske Weise in die Knie zu gehen, er wirkt
hölzern, verkrampft, er bleibt mitten in der Bewegung stecken, verharrt
in der unbequemen Haltung recht lange: Er versucht in dieser fast quälend
anzusehenden Szene vergeblich einen Kniefall, eine religiös konnotierte
Geste, die ihm nicht gelingen will. Und das Tragen der Frauenkleider, ist es
nicht das Probieren einer anderen Hülle, das erst mit dem Abstreifen der
leiblichen Hülle gelöst wird? Nicht umsonst wählt Gus Van Sant
bei der Darstellung des Selbstmordes am Ende dieses ätherische Bild eines
Entschwindens der Seele aus dem Materiellen, Stofflichen.
Dieser Film schließt nach Gerry und Elephant eine Trilogie Gus Van Sants ab, eine
Trilogie, die vom Tod handelt. In Last
Days geht es dabei mehr
noch als in den beiden voraufgehenden Filmen um die letzten Dinge, nicht nur
bezüglich des Todes, sondern auch bezüglich der Kunst. In seiner Herangehensweise
erinnert der Film dabei an eine der berühmtesten Künstlernovellen
aus dem 19. Jahrhundert, an Büchners »Lenz«. Das Zerrissene,
Verstörte, das Rastlos-Suchende, mit dem der Rockmusiker Blake in den ersten
Einstellungen herumwandert, könnte auch Büchners durch das Gebirg
gehenden Lenz illustrieren: »Müdigkeit spürte er keine, nur
war es ihm manchmal unangenehm, dass er nicht auf dem Kopf gehn konnte.«
Der Zufall will es, daß eine aktuelle
Lenz-Verfilmung von dem Schweizer Thomas Imbach gerade im Kino läuft. Dort
ist es Milan Peschel, der der Gestalt des Lenz eine flackernde, irrlichternde
Präsenz verleiht: Er jagt in den ersten Szenen mit einer Perücke durch
die Berge, die ihn merkwürdigerweise dem Cobain/Blake von Michael Pitt
ähneln läßt. In einer späteren Szene sehen wir ihn gar
die Cobain-Tagebücher lesen…
Wolfgang Lasinger
Dieser Text ist zuerst erschienen bei:artechock
Zu diesem Film gibt's im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Last Days
USA 2005 - Regie:
Gus Van Sant - Darsteller: Michael Pitt, Lukas Haas, Asia Argento, Scott Green,
Nicole Vicius, Ricky Jay, Ryan Orion, Harmony Korine, Kim Gordon, Adam Friberg,
Thadeus A. Thomas - Fassung: O.m.d.U. - Länge: 96 min. - Start: 11.1.2007
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